24. Sep. 202121. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin

Wie Tabakentwöhnung in der Praxis in die Wege geleitet werden kann

Wie Tabakentwöhnung in der niedergelassenen Praxis erfolgreich in die Wege geleitet werden kann, zeigt der Berliner Pulmologe Dr. Thomas Hering. Seine im Erfahrungsalltag gereifte Liste der Dos und Don’ts der Raucherentwöhnung verdient sich auf dem Schreibtisch einen gleichwertigen Platz neben der aktuellen Leitlinie zu diesem Thema.

Erloschene Zigarettenkippe isoliert auf weißem Hintergrund
BrianAJackson/iStock

In einer Kassenordination, in der die Patienten das Behandlungszimmer im Sieben-Minuten-Takt betreten und verlassen, bleiben dem behandelnden Arzt abzüglich Begrüßung, Anamnese, Untersuchung, Befundbesprechung, Planung des Prozederes und Verabschiedung bestenfalls drei Minuten, um das Thema Rauchen anzusprechen. Als Pulmologe hat Hering den Vorteil, dass in der Regel bei seinen Patienten auch das Kohlenmonoxid gemessen wird und damit ein Nachweis vorliegt, ob in den letzten 24 Stunden geraucht wurde. „Ich frage den Patienten dann nicht, ob er raucht, sondern wie viel er raucht. Dadurch kommt er gar nicht in die Verlegenheit, mich anzulügen.“

Dos, Don’ts, No-Gos

Drei Minuten bleiben also im Schnitt Zeit, in denen der Arzt für sich klären muss, ob der Patient für das Thema Tabakentwöhnung empfänglich ist. Da die meisten Raucher Stammkunden in der Ordination sind, hält Hering nicht viel von Ungeduld: „Wenn es heute nicht passt, dann vielleicht beim nächsten Mal!“ Dennoch sei es wichtig – und damit sind wir schon bei den Dos – das Thema Rauchen bei jedem Besuch anzusprechen. „Nicht über das Rauchen zu sprechen, wird von Rauchern als Zustimmung zum Weiterrauchen wahrgenommen.“ Der Grundsatz lautet: Immer ansprechen, aber niemals drängen! Am besten steht dem Arzt die Rolle des geduldigen Unterstützers. Dem Patienten das eigene Wissen über das Rauchen aufzudrängen und zu missionieren, kommt hingegen meist schlecht an. „Da wird oft recht schnell körpersprachlich spürbar, dass der Patient in den Rückzug geht.“

Ein Türöffner ist manchmal – gerade bei Müttern oder jungen Paaren – die Frage, wem der Patient eine Freude machen würde, wenn er nicht mehr rauchte. Vielfach werden hier die Kinder genannt. Bei manchen Patienten funktioniert dann ein einfacher Trick: Die Kinder sollen einen schönen Stein suchen, den man als Kraftstein in die Hosentasche stecken kann. „Oft hilft es, bei einem Rauchimpuls dann den Kraftstein, den man von den Kindern bekommen hat, anzufassen. Manchen Menschen gelingt es dadurch sogar, mit dem Rauchen aufzuhören“, berichtet Hering. „Lobe auch kleine Schritte!“ ist für den Pulmologen ein weiterer wichtiger Punkt, den er als Mantra zu verinnerlichen sucht. Oft geht es gar nicht so sehr um den großen Fortschritt, sondern darum, dem Patienten das Gefühl zu vermitteln, dass man auf seiner Seite steht und seine Partei ergreift.

Zum absoluten No-Go-Vokabular sollten im Zusammenhang mit dem Rauchen Begriffe wie „Schwäche“, „Laster“ oder „… bin zu dumm“ gehören. Hier muss dem Patienten klargemacht werden, dass Rauchen kein Persönlichkeitsdefizit ist, sondern eine Sucht.

Drei Mörder ...

Die Gefahren des Rauchens verdeutlicht Hering seinen Patienten mit dem Bild von drei konkurrierenden Mördern (Lungenkrebs, Herz-infarkt und COPD), die lebenslang an ihrer Seite sind und immer näher kommen. „Wir wissen, dass die Zigarette zehn Lebensjahre kostet, können aber nicht vorhersagen, welcher der drei Mörder gewinnt.“

... und drei Kurven

Was eine Tabakentwöhnung bringt, illustriert der Pulmologe mit einfachen Zeichnungen, in denen die Erkrankung und der Verlauf der Lebenserwartung mit und ohne Rauchen skizziert werden: Das Bronchialkarzinomrisiko wird durch Rauchen um das Zwanzigfache erhöht. Ab dem Rauchstopp halbiert sich dieses Risiko alle fünf Jahre, ist also nach zehn Jahren im Vergleich zu Niemalsrauchen nur noch um das Fünffache erhöht.

Noch besser ist das Angebot beim nächsten Mörder: Raucher haben ein 2,5-fach höheres Herzinfarktrisiko als Menschen, die nie zum Glimmstängel gegriffen haben. Dieses Risiko halbiert sich ab dem Rauchstopp alle drei Jahre, ist also nach neun Jahren kaum mehr erhöht. „Das ist schon ziemlich sexy“, findet Hering. „Diesen Mörder kann man in relativ kurzer Zeit wirklich in die Flucht schlagen!“

Etwas anders ist der Kurvenverlauf bei der COPD: Ab dem Beginn des dritten Lebensjahrzehnts beträgt der normale Lungenfunktionsverlust 25ml pro Jahr. „Bei Gesunden bleibt aber genug Luft übrig, um am Ende des Lebens noch fröhlich Seniorensport betreiben zu können.“ Bei COPD ist der jährliche Verlust deutlich größer, das Konto also wesentlich rascher leergebucht. Hier hält die Wissenschaft für den Patienten nur das Angebot bereit, den verstärkten Lungenfunktionsabfall durch einen Rauchstopp wieder zu bremsen.

Und wie antwortet der Experte, wenn Patienten mit dem Helmut-Schmidt-Argument daherkommen? „Ich sage dann immer: Wenn Sie wissen, dass Sie die Helmut-Schmidt-Gene haben, dann herzlichen Glückwunsch! Wenn Sie das nicht wissen, dann seien Sie lieber vorsichtig. Denn für jeden Helmut Schmidt, der 96 Jahre alt geworden ist, gibt es einen Raucher, für den das Leben schon mit 56 vorbei ist.“

„Behandlung von Rauchern in der Praxis: Dos and Don̓ts“,
21. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin, München, 3.7.21

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum neuropsy