13. Aug. 2025Erfahrungen mit CIRS am LKH Innsbruck

„Melde das!“ – Wie CIRS den Klinikalltag sicherer macht

Mit CIRSmedical wurde vor mehr als 15 Jahren ein Instrument geschaffen, die Patientensicherheit zu optimieren und eine Lernkultur zu schaffen. An den Tirol Kliniken am Landeskrankenhaus-Universitätskliniken Innsbruck (LKI) setzt man mit Erfolg auf ein internes CIRS-System, berichtet Qualitäts- und Risikomanagerin Yvonne Kremser.

Portrait Yvonne Kremser
Tirol Kliniken

Yvonne Kremser, Qualitäts- und Risikomanagerin in der Stabsstelle für Patientensicherheit, Qualitäts- und Projektmanagement der Tirol Kliniken.

Wann sind Sie in Ihrer Berufslaufbahn das erste Mal mit dem Berichtssystem über kritische Vorkommnisse - besser bekannt als CIRS (Critical Incident Reporting System) - in Kontakt gekommen?

Kremser: Nach meiner Ausbildung zur Klinischen Risikomanagerin gemeinsam mit verschiedenen Berufsgruppen aus dem Gesundheitsbereich war ich bei der Einführung von CIRS an den Tirol Kliniken von Anfang an dabei. Wir haben dazu auch Begehungen an den einzelnen Häusern bzw. Abteilungen durchgeführt.

Dazu ist zu sagen, dass CIRS an den Tirol Kliniken sehr niederschwellig aufgebaut ist und am LKI jede Abteilung ein eigenes hat. Zudem gibt es ein zentrales Meldesystem, das jeweils das ganze LKI betrifft. Jeder Fall wird primär von ausgebildeten Risikomanagern bearbeitet.

Wird es damit nicht schwierig, den meldenden Personen Anonymität zu garantieren?

Kremser: Natürlich könnte man in einzelnen Fällen nachverfolgen, wer etwa gerade im Dienst oder mit einem bestimmten Patienten oder einer Patientin betraut war. Doch nach unserer Erfahrung ist es am sinnvollsten die Probleme dort zu bearbeiten, wo sie passieren. Die involvierten Personen kennen die Strukturen und wissen am besten, welche Maßnahmen jeweils am besten greifen.

Wie sieht es dann mit dem Prinzip des Lernens und der Prävention durch Veröffentlichung der Fehler oder Beinahe-Fehler aus, das eine Grundlage von CIRS ist?

Kremser: Ein weiterer Schritt ist es sicher, an CIRS Medical zu melden. Schließlich soll etwas, das an einem Krankenhaus passiert ist, auch an anderen Krankenhäusern verhindert werden. Am LKI haben alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Einblick in die veröffentlichten Meldungen aller Abteilungen. Durch Vernetzungstreffen der Risikomanagement-Teams am LKI versucht man, ein organisationsweites Lernen voranzutreiben.

Wie sieht es generell um die Melde-Bereitschaft aus?

Kremser: Im Jahr 2024 wurden intern etwa 500 Fälle am LKH Innsbruck gemeldet. Es ist schwer festzumachen, ob tatsächlich ausreichend gemeldet wird. Über die Jahre hinweg sehen wir allerdings eine Steigerung.

2019 wurde an allen Tirol Kliniken nach Assessments CIRS eingeführt. Jede Person, die an der Patientenversorgung beteiligt ist, kann eingeben - also auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Medizinischen Universität.

Wie kann man dennoch die Motivation zur Meldung optimieren?

Kremser: Es muss in der Hierarchie von oben kommuniziert werden. Wenn verantwortliche Personen es für sinnvoll erachten und selbst vorleben, dann ist das günstig.

Ein Oberarzt kann beispielsweise bei einem Vorkommnis einen Kollegen gleich darauf hinweisen: „Melde das in CIRS“. Von Seiten des Qualitätsmanagements können wir da nur bedingt einwirken.

Wir geben natürlich regelmäßig Informationen, etwa bei Neu-Einstellungen oder in Form von E-Learnings. Die Grundeinstellung zum Fehlermanagement muss allerdings schon in der jeweiligen Ausbildung vermittelt werden.

Können Sie einen typischen CIRS-Prozess an einem Beispiel schildern?

Kremser: Da habe ich ein Beispiel, das zeigt, wieviel mit kleinen Veränderungen bewirkt werden kann. Auch nach der Covid-Pandemie blieb der Zugang zu den Abteilungen mit automatischen Türen verschlossen. Allerdings wurde bei der Einrichtung nicht ausreichend geprüft, wie lange z.B. Personen mit Gehbehinderung benötigen, bis die Tür sich automatisch wieder schließt.

Es passierte nun, dass eine Patientin eingeklemmt wurde, die mit ihrem Rollator nicht schnell genug nach Einlass passieren konnte. Zum Glück kam sie nicht zu Sturz und die Tür ging sofort wieder auf. Eine aufmerksame Pflegeperson hat den Vorfall gemeldet, sodass in Zusammenarbeit mit einem Team der Technik zunächst die Intervalle überprüft und angepasst wurden.

Kann es vorkommen, dass auch gemeldet wird, um – sagen wir – „Dampf abzulassen“?

Kremser: Generell wird jede Meldung angeschaut und da sind mitunter auch solche dabei, die keine echte CIRS-Meldungen, sondern eher Aufarbeitungen sind. Damit bekommen wir vom Qualitätsmanagement jedoch ein gutes Gespür für die Situation vor Ort. Es lassen sich mögliche Brennpunkte erkennen und vieles durch Gespräche mit der Pflegedienstleitung oder Klinikdirektion klären.

Wichtig ist für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen das Signal „Es kümmert sich jemand um Eure Anliegen.“ Und oft braucht es nur ein Gespräch. Damit zeigt sich, dass beim internen CIRS die Anonymität nicht das vordergründigste Thema ist.

Welche Maßnahmen bezeichnen sie als die bislang größten Erfolge seit Einführung des internen CIRS-Systems?

Kremser: Eine ganz wichtige Maßnahme war etwa nach Meldungen zu Fehlapplikationen an Observations- und Intensivstationen die Vereinheitlichung der Etiketten bzw. die Farbgebungen etwa für Injektionen. Diese wurden innerhalb der Tirol Kliniken mit einem „look alike“ gekennzeichnet und tragen ganz wesentlich zur Erhöhung der Sicherheit bei.

Auch die genauere Kennzeichnung der Wege innerhalb des Hauses ist eine kleine, aber unheimlich wirkungsvolle Maßnahme, etwa wenn z.B. jemand von der gynäkologischen Abteilung rasch in den Ortho-Trauma-Schockraum kommen muss, um eine verunfallte schwangere Patientin zu betreuen. Damit werden Irrwege und Stress für alle Beteiligten reduziert.

Viele CIRS-Meldungen führen auch zu Anpassungen beim Equipment. Ein Beispiel dafür ist der MR-Bereich. Wir haben erkannt, dass bei beatmungspflichtigen Patienten die Schläuche zu kurz waren und gleichsam dazu verleitet haben, dass Beatmungsgeräte zu nahe am MRT standen. Mit dem Austausch der Schläuche wurde diese Fehlerquelle behoben, das Risiko für die Patientinnen reduziert und Schäden an teuren Geräten verhindert. insgesamt führen CIRS-Meldungen oft dazu, Abläufe zu beschleunigen oder den Bedarf notwendiger Investitionen hervorzuheben.

Vielfach genannt wird CIRSmedical im Vergleich zur Luftfahrt: wo sehen Sie Parallelen oder Unterschiede?

Kremser: Oft hören wir, CIRS funktioniere in der Luftfahrt so gut, weil die Teams mit an Bord des Flugzeuges sind. In der Medizin erlebt das Personal zwar nicht die gleiche Situation wie Patienten und Patientinnen, dennoch kennen wir das Thema Second Victim, wenn etwas passiert ist.

Ein großer Unterschied zur Luftfahrt ist noch die Akzeptanz von Checklisten oder Standards, wo es Aufholbedarf gibt. Aber genau dazu kann CIRS einen wichtigen Beitrag leisten, in dem es die Notwendigkeit unterstreicht.

CIRSmedical

CIRSmedical ist ein anonymes, internetgebundenes Fehlermeldesystem. Wem Fehler und Beinahe-Fehler auffallen, kann und soll diese in CIRSmedical.at melden. Dort werden die Meldungen analysiert, zur Diskussion gestellt und Vermeidungsstrategien entwickelt. Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, bekommen damit die Chance, daraus zu lernen.

Wie Yvonne Kremser berichtet, war der Ausgangspunkt für die Entwicklung von CIRS in der Luftfahrt einer schwersten Zwischenfälle der zivilen Luftfahrt mit 583 Toten auf Teneriffa im Jahr 1977. Ein KLM-Flugzeug startete ohne Startfreigabe und stieß während des Abhebens mit einer noch auf der Startbahn rollenden Pan-Am-Maschine zusammen. Zum Unfall trugen eine durch dichten Nebel beeinträchtigte Sicht sowie die unzureichende und missverständliche Kommunikation zwischen Piloten und der Platzkontrolle im Tower bei. In der Folge wurden unter anderem verbindliche Formulierungen für den Funk eingeführt. Flughäfen wurden mit Bodenradar ausgestattet und die Zusammenarbeit der Besatzungsmitglieder verbessert. Quelle: wikipedia

Zur Person

Nach Studien in Betriebswirtschaft sowie in Non Profit Sozial- und Gesundheitsmanagement begann Yvonne Kremser, BA, MSc sich bei der Tirol Kliniken Holding in der Qualitätsentwicklung mit Strategischem Risikomanagement zu befassen und absolvierte selbst die Ausbildung zur Klinischen Risikomanagerin. Seit 2016 ist sie am LKH Innsbruck in der Stabsstelle für Patientensicherheit, Qualitäts- und Projektmanagement tätig.