Die Ordinationshilfe als seelische Ersthelferin
Assistentinnen und Assistenten sind in der Praxis oft die erste Anlaufstelle für Sorgen und Ängste von Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen. Eine wertschätzende, einfühlsame Kommunikation und oft auch seelische Erste Hilfe tragen zur gelungenen Patientenbetreuung bei. Ebenso kann die Ordinationshilfe Stress und Ärger bei wartenden Patientinnen und Patienten abbauen und damit die Behandlungsqualität in der Praxis unterstützen.
Bei der Anmeldung werden die Weichen für die weiteren Maßnahmen gestellt: Kommt die Patientin mit Termin oder ist es ein Notfall? Braucht der Patient eine Wundversorgung oder ist eine Infusion vorzubereiten? Durch ihre Fachkompetenz geben Ordinationshilfen zunächst die nötigen Informationen und können einen Teil der Fragen schon vor dem Arztgespräch beantworten.
Oft geht es aber viel mehr darum, Unsicherheiten und Ängste abzufedern. Gerade Eltern von akut erkrankten Kindern kommen meist mit einem Paket an Sorgen: Schließlich ist außerhalb der städtischen Ballungszentren die Hausärztin/der Hausarzt auch für kranke Kinder die erste Anlaufstelle. Da heißt es, Kontakt zum Kind aufzubauen und es zu beruhigen. Spürt die Mutter oder der Vater: „Da kümmert sich jemand um mein Kind“, mildert das auch ihren Stress. Wenn sich ein Elternteil Vorwürfe macht und sich infolge einer kurzen Unaufmerksamkeit schuldig an der Verletzung des Kindes fühlt: Hören Sie sich als Assistentin bzw. Assistent in aller Ruhe die Geschichte an und versichern Sie, dass dem Kind mit allen Mitteln geholfen wird.
Ordinationsempfang als Stresspuffer
In ähnlicher Weise benötigen ältere Menschen meist mehr Zuwendung als andere Patientinnen und Patienten. Sie sind oft unruhig, mobil eingeschränkt und leiden unter Schmerzen. Die Arztpraxis ist für sie Anlaufstelle in allen gesundheitlichen, mitunter sogar in Lebensfragen. Da kann die Assistentin oder der Assistent am Schalter schon einmal durch praktische Tipps helfen und Wohlbefinden fördern. Achten Sie zugleich bei betagten Menschen darauf, deren Eigenverantwortung zu stärken – Gespräche mit Fingerspitzengefühl sind nötig!
Stärken Sie daher als Ordinationshilfe ihre eigene Stresskompetenz und strahlen Sie Ruhe aus! Äußern wartende Patientinnen und Patienten Unmut darüber, dass sie noch immer nicht drankommen, bleiben Sie gelassen! Noch besser: Gehen Sie aktiv auf die Menschen im Wartezimmer zu, bieten Sie Wasser an oder fragen, ob Sie das Fenster öffnen sollen. Vielleicht wäre auch eine Blutdruckmessung sinnvoll? (s.a. Psychologische Booster Teil 4, „Aggressionsmanagement und Deeskalation“). In den allermeisten Fällen werden Sie bemerken, wie die Spannung abfällt.
Schwierige Situationen abfangen
Emotional gefordert ist die Ordinationsassistenz, wenn es etwa heißt, auf Hygieneregeln hinzuweisen und erkältete Patientinnen und Patienten aufzufordern, aus Fairness gegenüber anderen und dem gesamten Team eine FFP2-Maske zu tragen. Beziehen Sie klar Position und denken Sie daran, dass der Verweis auf den Aushang im Wartebereich ein erklärendes Gespräch nicht ersetzt.
Noch fordernder ist es mitunter, stark ungepflegte Patientinnen und Patienten wertschätzend, aber bestimmt auf die Körperhygiene hinzuweisen, gerade wenn die Geruchsbelästigung für andere Wartende nicht zumutbar ist. Erstaunlicherweise zeigen sich die meisten einsichtig und sogar dankbar für ein entsprechendes Vier-Augen-Gespräch. So vermeiden Sie zusätzliche Schamgefühle durch eine Zurechtweisung vor anderen!
Besondere kommunikative Fertigkeiten fordern Patientinnen und Patienten mit akuten, schweren Erkrankungen. Ein Symptomkomplex mit Unwohlsein, Übelkeit und Kaltschweißigkeit, wo sofort ein EKG zu schreiben und die Sauerstoffsättigung zu messen ist, heißt für die Betroffenen enorme Angst und Sorge über den weiteren Verlauf. Hier kann die Assistenz unterstützen, in dem sie beruhigend einwirkt. Erklären Sie in Ruhe, dass mit der sofortigen Einweisung in ein Akutspital alle weiteren nötigen Untersuchungen an einem Punkt erfolgen und schnell wichtige Behandlungen eingeleitet werden. Selbst humorvoll vorgebrachte Katastrophenszenarien sind jedoch ein absolutes No-Go! Zu guter Letzt: Auch für die Assistentinnen und Assistenten heißt es nach einem anstrengenden Tag in der Praxis genauso wie für Ärztinnen und Ärzte: Abstand nehmen, emotional Belastendes abschließen und die guten Momente „abspeichern“, um daraus weitere Motivation zu schöpfen.
Unsere Gastautorin Birgit Chalupa ist Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester. Nach mehrjähriger Tätigkeit im stationären Bereich (Unfallchirurgie) und ihren Karenzzeiten wechselte die Mutter zweier erwachsener Töchter 2011 als Ordinationsassistentin in die Allgemeinmedizinische Kassenpraxis von Dr. Katrin Reitstätter in Wöllersdorf/Steinabrückl (NÖ). Zu ihrem Aufgabengebiet gehören etwa Erstgespräche mit Patientinnen, Patienten und Angehörigen, Verbandwechsel, Blutabnahmen, Infusionen oder EKG-Untersuchungen sowie medizinische Assistenztätigkeiten. Das Praxisteam besteht aus der Ordinationsinhaberin und insgesamt 4 Assistentinnen.
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