10. Apr. 2024Psychologische Booster Teil 9

Feste feiern in der Ordination

In allen medizinischen Bereichen sollen und dürfen Feste gefeiert werden. Sie unterstützen im Idealfall den Team-Zusammenhalt und stärken die zwischenmenschliche Beziehung zu Patientinnen und Patienten. Voraussetzung dafür sind allerdings Fingerspitzengefühl und der Respekt vor persönlichen Grenzen.

Christina Lechner Psychologische Booster TSP Praxisgründung
Maria Stavreva/GettyImages

Die Osterferien sind vorbei, doch bald lockt der Sommer mit (möglichen) Sommerfesten und über kurz oder lang werden Sie sich wohl Gedanken über die Weihnachtsfeier mit Ihrem Team machen. Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt, ob es überhaupt angebracht ist, in der Ordination Feste zu feiern? Dabei sollte es keinen Lebensbereich geben, wo NICHT gefeiert werden darf! Selbst in Palliativ- und Hospizeinrichtungen werden Feste auch unter Einbeziehen von Patientinnen, Patienten und Angehörigen mit Würde begangen. Lachen und Fröhlichsein gehören ebenso zum Leben wie das Leid.

Es zeigt auch die menschliche Seite des Ordinationsteams, wenn die Patientinnen und Patienten im Wartebereich merken, dass vielleicht eine langjährige Mitarbeiterin gerade einen runden Geburtstag feiert und sie zu einem Glas Saft eingeladen werden. Patientinnen und Patienten nehmen es gerne an, wenn sie einmal „hinter die Kulissen“ des Ordinationsbetriebes blicken dürfen und freuen sich womöglich, wenn sie sich den Glückwünschen anschließen dürfen. Das gibt jedenfalls die Gelegenheit zu Small Talk beim nächsten Praxistermin.

Doch wie überall im Leben gilt auch hier: Takt und Anstand, Respekt und Fingerspitzengefühl sind gefordert. Sich vor Patientinnen und Patienten mit einem Glas Prosecco zuzuprosten ist ein No-Go. Sie wären wohl auch ein wenig beunruhigt, wenn sich Pilot und Co-Pilot vor dem Start noch ein Gläschen genehmigen.

Wenn das Team zu Halloween oder im Fasching die Ordination gerne dekorieren möchte, dann sollten Sie sich selbstkritisch fragen, was und wie viel davon durch die Patientenbrille noch als passend erlebt wird und was schon übergriffig wirkt: also lieber keine Gespenster und schon gar keine Skelette rund um Halloween.

Interkultureller Austausch 

Auch wenn es Bestrebungen gibt, religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, bieten die dazugehörigen Rituale kultur- und konfessionsübergreifend eine wunderbare Gelegenheit, die Buntheit der Gesellschaft zu zeigen. Wünschen Sie zum Fest des Fastenbrechens (Zuckerfest) „ein frohes und gesegnetes Fest“ oder fragen Sie vielleicht nach, wie Mitarbeitende oder Patientinnen und Patienten jüdischen Glaubens das Laubhüttenfest im Oktober begehen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich einbringen dürfen und das interkulturelle Miteinander bereichern.

Firmenausflüge mit dem Team des Ordinationsbetriebes sind ebenso eine gute Möglichkeit, einander abseits des Arbeitsalltags näher kennenzulernen. Aber Achtung: Wenn Sie oder jemand aus Ihrem Team eine solche gemeinsame Aktivität organisieren, denken Sie daran, dass es keine Verpflichtung geben kann, außerhalb der Dienstbetriebes Zeit miteinander zu verbringen. Seien Sie nicht gekränkt, wenn Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Wochenende lieber mit den Kindern einen Ausflug machen als mit dem Chef bzw. der Chefin und den Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie ohnehin die ganze Woche Seite an Seite arbeiten. 

Weihnachtsfeier:  Ja, gerne oder „nicht schon wieder“?

Gleiches gilt für die in heimischen christlich geprägten Organisationen übliche Weihnachtsfeier. Sie gilt als Chance, sich einmal über andere Themen als über die der Patienten und Patientinnen auszutauschen, vielleicht sogar private Beziehungen zu intensivieren – unter Einhaltung aller gesetzlichen und moralischen Grenzen! Doch nicht jeder kann und will einen langen und vielleicht launigen Abend mit dem ganzen Team verbringen. Respektieren Sie, wenn jemand lieber „nach Dienst“ zu Hause seinen privaten Weihnachtsvorbereitungen nachgeht. 

Es kann gut und gerne bei passendem Anlass – etwa einer Auszeichnung der Ordinationsinhaberin bzw. des Ordinationsinhabers oder eben in der feierschwangeren Weihnachtszeit – knapp vor oder nach der Arbeitszeit eine kurze gemeinsame Feier geplant werden. Einen „sozialen Zwang“ für Feiern außerhalb der Arbeitszeit darf es aber ebenso wenig geben wie bei Firmenausflügen. Abgesehen davon sind wir Menschen eher bereit, an Aktivitäten teilzunehmen, die freiwillig sind, als an jenen, zu denen wir uns verpflichtet fühlen. Bei zu viel an wahrgenommenen Druck von außen entsteht Reaktanz, ein unangenehmes Gefühl des inneren Widerstandes, das sich wiederum nicht förderlich auf das Teamklima auswirkt. 

In den Pausengesprächen am Tag nach der Feier oder dem Ausflug sollte es jedenfalls nicht vorwurfsvoll heißen: „Wieso warst du nicht dabei?“, sondern wertfrei erzählt werden, wie jeder und jede den Abend oder das Wochenende verbracht hat. 

Unser Gastautor Dr. Ronny Tekal ist Arzt für Allgemeinmedizin, Medizinkabarettist, Buchautor und Radiomacher in Ö1 als „Radiodoktor“. Mit dem von ihm mitbegründeten Medizinkabarett-Comedy-Duo Peter&Tekal konnte er schon rund 500.000 Zuseherinnen und Zuseher „gesundlachen“. Er tritt auch als Keynote-Speaker, Kommunikationstrainer und Moderator bei medizinischen Symposien und Kongressen auf.

Richard Varadappa

Die nächsten Termine für das aktuelle Programm „Wechselwirkung“ in Wien: 7.4. Orpheum; 11.4. Casanova; 23.4. Kulisse.

https://www.ronnytekal.com/