Patientinnen und Patienten motivieren
Immer wieder stehen Ärztinnen und Ärzte in der Praxis vor der Herausforderung, Patientinnen und Patienten zu einer dringend nötigen Lebensstiländerung zu motivieren. Aus psychologischer Sicht erweisen sich mangelnde Körpersensitivität und geringes Selbstvertrauen als die größten Stolpersteine. Ein mit ärztlicher Autorität verordnetes individuelles Bewegungscoaching rechnet sich jedenfalls im Sinne einer nachhaltigen Verhaltensänderung.
Zugegeben: Bis ins letzte Detail konnte die Psychologie noch nicht enträtseln, warum es manchen Menschen so schwerfällt, ihren Lebensstil nachhaltig zu ändern, während andere mit einem Lächeln im Gesicht mindestens 3-mal wöchentlich sporteln. Selbst Personen, die wissen, dass für sie moderate Bewegung und in der Folge Gewichtsreduktion lebensverlängernd sein kann, gelingt es oft nicht, sich dazu aufzuraffen. Hohe Dropout-Raten bei kardiovaskulären Rehabilitationsprogrammen unterstreichen dies.
Eine mögliche Erklärung ist jedoch das Phänomen der kognitiven Dissonanz, wonach bei widersprüchlichen Einstellungen wie „Ich sollte mich bewegen“ und „Das ist aber anstrengend“ eine Option durch innere Argumentation abgewertet wird. Die Betroffenen sagen sich vielleicht „Mein Großvater hat nie Sport gemacht und wurde 95 Jahre alt“. Vergessen wird dabei gerne, dass Menschen bis vor rund 50 Jahren sich üblicherweise im Alltag wesentlich mehr bewegten als Menschen in sitzenden Berufen der Gegenwart. Auch ein evolutionär begründeter Mechanismus, der körperliche Faulheit sinnvoll erscheinen lässt, spielt mit. Allerdings war in Steinzeitkulturen das Nahrungsangebot knapper und ein Haushalten mit körperlicher Energie lebenswichtig.
Individuelles Coaching
Vermeiden Sie es, bei Patientinnen und Patienten Scham- oder Schuldgefühle wachzurufen, dann reagieren diese womöglich erst recht mit Vermeidungsverhalten. Statt der einfachen Empfehlung „Machen Sie mehr Bewegung“ könnten Sie allein aufgrund ihrer knappen Zeitbudgets an Expertinnen und Experten mit entsprechender Qualifikation verweisen. Diese Coaches müssten Patientinnen und Patienten in ihrem Lebensumfeld gewissermaßen abholen. Bei vielen Personen wird ein sanfter Einstieg etwa durch einen Kurs für Pilates oder Yoga hilfreich sein, um überhaupt einmal ein Körpergefühl aufzubauen. Auch im Fitnessstudio sollte das Umfeld stimmen: Übergewichtige Personen werden schnell wieder aussteigen, wenn sie neben Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern oder Menschen mit trainierten Körpern am Ergometer sitzen.
Sehr schwer zu erreichen sind auch Menschen mit Depressionen: Wie aktuelle Studien der Universität Basel zeigen, konnte selbst ein 1:1-Coaching per Telefon oder Video-Call nur in seltenen Fällen zu mehr Bewegungsmotivation verhelfen.1,2 Bei psychisch Gesunden dagegen stieg im Vergleich zur Kontrollgruppe die wöchentliche Aktivität um mehr als 30 Minuten.3
Bei Personen mit Typ-2-Diabetes zeigte das individuelle Coaching einer weiteren Studie zufolge ebenfalls Effekte im Sinne von mehr Bewegung.4 Eine Auswirkung auf Stoffwechsel-Parameter wie HbA1c -Werte war allerdings noch nicht messbar – ein Hinweis darauf, dass immer nur eine Verhaltensänderung nach der anderen eingeleitet werden sollte, Bewegung UND Ernährung zugleich umzustellen bedeutet eine Überforderung!
Freude an der Bewegung ermöglichen
Es gilt vor allem möglichst positive Erlebnisse zu kreieren, anstatt nur das Motiv „Gesundheit erhalten“ in den Vordergrund zu stellen. Wer aber einmal sanft eingestiegen ist und über soziale Anerkennung Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit gestärkt hat, der wird mit höherer Wahrscheinlichkeit langfristig weiter trainieren. Genau hier könnten Sie bei den regelmäßigen Kontrollen in der Ordination unterstützen, indem Sie etwa neben besseren Cholesterin- und Blutdruckwerten auch die Entwicklung der Muskulatur im Sinne eines „Fitness-Checks“ überprüfen und rückmelden.
Bewegungscoaches haben zudem die Zeitressourcen dafür, um mit den Klientinnen und Klienten ganz konkrete Fragen nach der Umsetzbarkeit der gewählten Bewegungsprogramme im Alltag zu klären und den Umgang mit verlockenden Alternativen zu besprechen. Auch Wearables wie Fitnessuhren mit Übermittlung der Aktivitätsdaten könnten mit Einverständnis der Patientinnen und Patienten für das Bewegungsmonitoring genutzt werden.
Unser Gastautor Prof. Dr. Markus Gerber ist Departementsvorsteher a.i. und Leiter des Fachbereiches Sport und Psychosoziale Gesundheit am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit (DSBG) der Universität Basel. Zudem hat er an der Universität Basel ein Weiterbildungsangebot für Personal Health Coaching mitentwickelt. Einige schweizerische Krankenkassen übernehmen bereits die Kosten für eine Beratung, die von Coaches geleitet wird, welche ein solches Weiterbildungszertifikat erworben haben.
Weiterlesen
- Cody R et al. Mental Health and Physical Activity 2022; 23:100464. https://doi.org/10.1016/j.mhpa.2022.100464
- Kreppke JN et al. Transl Psychiatry 2024 ; 14:160. https://doi.org/10.1038/s41398-024-02885-0
- Fischer C, Malycha CP, Schafmann E. Frontiers in Psychology 2019; 10:137. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.00137
- Hohberg V et al., eingereicht