3. Juli 2024Wege in die ärztliche Selbstständigkeit – Teil 19

Besondere Situationen im Versicherungsdschungel

Wie kann es dazu kommen, dass eine Versicherung gekündigt wird, und wann wird Kulanz gewährt? Das erfahren Sie in diesem Beitrag.

Vektor eines medizinischen Personals, einer Gruppe selbstbewusster Ärzte und Krankenschwestern
Feodora Chiosea/GettyImages

Wie bereits im letzten Beitrag wird mein Laienwissen wieder durch fundiertes Fachwissen von Joachim Zieger, Akademischer Versicherungsmakler (WU), ergänzt.

Was tun, wenn der Versicherer kündigt?

Eine Risikogemeinschaft unterliegt, wie auch andere Geschäfte, einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Deshalb ist jeder Versicherer gefordert, seine Vertragsbestände unter diesem Aspekt einer laufenden Prüfung zu unterziehen. Dies führt in Einzelfällen zu Sanierungen des Vertragsbestandes, woraus manchmal Vertragskündigungen resultieren.

Kündigungen von Versicherungsverträgen erfolgen meist dann, wenn eine hohe Schadenhäufigkeit vorliegt, große Schadenbeträge ausbezahlt werden oder auch, wenn entsprechende geschäftspolitische Entscheidungen getroffen werden. Im Regelfall versucht der Versicherer mit einem Sanierungskonzept das aus seiner Sicht bestehende Problem zu lösen, was jedoch nicht immer gelingt.

Nach einer Kündigung oder einer einvernehmlichen Vertragslösung wieder einen Versicherer zu finden, kann problematisch werden. Der neue Versicherer muss eine penible Risikoeinschätzung vornehmen, die einerseits die Vergangenheit berücksichtigt und andererseits zukünftige Schäden und Vorerkrankungen bewerten muss. Gute Versicherer sind auch in solchen Fällen um eine Lösung bemüht, die einen adäquaten Versicherungsschutz bietet. Für eine Versicherungsgesellschaft ist die Risikoprüfung ein wichtiger erster Schritt für eine Vertragsgestaltung. Daher hat die Antragsprüfung hohen Prioritätscharakter. Der Antrag soll dem Versicherer alles Wissenswerte über seinen zukünftigen Vertragspartner vermitteln, um eine bestmögliche Risikoeinschätzung vornehmen zu können. Schließlich soll eine langjährige Partnerschaft gewährleistet sein.

Bei einer Risikoprüfung erfolgt zunächst die Erhebung der allgemeinen Daten wie Versicherungssumme, Prämie, Selbstbehalt oder medizinische Fachrichtung. Danach sind zwecks Beurteilung des Gesundheitszustandes zahlreiche Gesundheitsfragen zu beantworten. Diese stellen einen wesentlichen Bestandteil des Antrags dar. Sie sind für den Versicherer die einzige Möglichkeit zur Einschätzung eines zukünftigen Risikos und deshalb im Antrag sehr umfangreich angelegt.

Was passiert, wenn die Gesundheitsfragen nicht vollständig oder falsch beantwortet oder Krankheiten bzw. Unfälle nicht angegeben wurden? Diese Situation kann für die Kundin und den Kunden höchst unangenehm werden, da eine mögliche Leistungsverweigerung durch den Versicherer droht.

Freiwillige Deckung durch den Versicherer

Begibt man sich auf die Suche nach einer Definition für „Kulanz“, so finden sich unter anderem die etwas trockenen, aber doch treffenden Formulierungen „entgegenkommende Behandlung eines Geschäftspartners aus kaufmännischen Erwägungen“ oder „Auszahlung von Versicherungsleistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht“. Versicherer sind mit diesem Thema naturgemäß häufig konfrontiert. Aufgrund der Vielfalt mancher vertraglichen Leistungen, aber auch wegen der Komplexität so manches Bedingungswerkes kann auch jede Kundin und jeder Kunde früher oder später in die Situation kommen, von seinem Versicherer eine Kulanz einzufordern.

Die Entstehungsgründe für Kulanzen sind ebenso vielfältig wie die Formen ihrer Gewährung. Regelmäßig wird Versicherungsnehmenden der Gedanke an eine Kulanzlösung dann kommen, wenn dem Versicherer ein Schaden gemeldet wurde, der im Vertrag keine Deckung findet.

Dafür kann es aber mehrere Gründe geben, denn allzu oft ist die geforderte Leistung schlichtweg nicht versichert. Beispiele sind Kosten für ein neues Schloss nach einem Einbruchdiebstahl in der Haushaltsversicherung, die Zahlung von Taggeld in der Unfallversicherung für mitversicherte Personen, Kollisionsschäden in der Teilkaskoversicherung oder Neuwertersatz in der Leitungswasserversicherung. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Oft besteht zwar Versicherungsschutz, aber nicht ausreichend. Klassiker sind die Unterversicherung oder das Erreichen von Haftungshöchstsummen in der Haftpflichtversicherung. Manchmal kommt es auch zu Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers: Als Beispiele seien verspätete Schadensmeldungen, Anerkenntnis einer Schadenersatzforderung im Haftpflichtbereich oder Alkoholisierung am Steuer genannt. Folgen davon sind in der Regel gänzliche oder teilweise Ablehnung der versicherungsmäßigen Deckung durch den Versicherer, was eine finanzielle Einbuße für die Versicherungsnehmenden bedeutet.

Ob und in welchem Umfang ein Versicherer letztlich Kulanz gewährt, hängt von einigen Faktoren ab. In der Regel erfolgt eine Gesamtbetrachtung der Kundenverbindung. Konkret betrifft dies die Dauer der Vertragsverbindung(en), die Anzahl der bisherigen Schadensfälle, die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Geschäftsbeziehung und natürlich auch die Frage, welches Risiko sich im aktuellen Fall verwirklicht hat. Anhand dieser Kriterien wird dann über Gewährung und Umfang der Kulanz entschieden.

Die Bereitschaft, einer langjährigen Kundin bzw. einem langjährigen Kunden mit vielen Verträgen und wenig Schadensfällen Kulanz – in einem vielleicht auch noch strittigen Fall – zu gewähren, wird daher höher sein als gegenüber jemanden, die oder der erst seit kurzem unter Vertrag ist und aufgrund eines schweren Unfalls mit Alkoholisierung eine Minderung des Regressbetrages wünscht.

Bester Adressat für ein Ansuchen um eine kulante Lösung ist die Versicherungsbetreuerin bzw. der Versicherungsbetreuer oder die Maklerin bzw. der Makler. Die endgültige Entscheidung obliegt dem Versicherer unter Berücksichtigung kaufmännischer und strategischer Gründe, aber auch der sozialen Verantwortung, die keinem Versicherungsunternehmen fremd sein sollte. Schließlich handelt es sich bei einer Versicherung um eine Risikogemeinschaft, die Schäden Einzelner leichter tragen kann als dieser selbst.

Nachhaftung und Nachhaftungszeit

Die Zahl der behaupteten ärztlichen Fehlleistungen, für die Patientinnen und Patienten und deren Anwältinnen und Anwälte immer höhere Schadenersatzforderungen stellen, nimmt stetig zu. In diesem Zusammenhang gibt es eine oft unterschätzte Problematik, nämlich dass kein Versicherungsschutz mehr besteht, obwohl die bzw. der Versicherte vom Gegenteil überzeugt sein kann.

Der Schadenersatzanspruch von Patientinnen und Patienten entsteht durch einen Beratungs- oder Behandlungsfehler. Dieser Anspruch kann aber erst dann geltend gemacht werden, wenn der Schaden als solcher erkannt und mit der ursprünglichen Behandlung in ursächlichen Zusammenhang gebracht wird. Erst ab diesem Zeitpunkt beginnt gegenüber Ärztinnen und Ärzten die Verjährungsfrist zu laufen, innerhalb derer die Forderung gerichtlich durchgesetzt werden kann.

Der Anspruch von Ärztinnen und Ärzten gegen seinen Haftpflichtversicherer unterliegt ebenfalls der Verjährung, wofür der Gesetzgeber die Frist auf ebenfalls 3 Jahre verlängert hat. Diese beginnt aber spätestens mit der Beendigung des Versicherungsvertrages zu laufen. Damit fallen Schadenersatzansprüche gegen Ärztinnen und Ärzte nicht mehr unter den Versicherungsschutz, wenn sie später als 3 Jahre nach Vertragsbeendigung erhoben werden. Jedenfalls ist dringend anzuraten, im Versicherungsvertrag die unbegrenzte Nachdeckung im Umfang der Bestimmungen gemäß § 52d ÄrzteG bzw. § 26c ZahnärzteG für Schäden zu vereinbaren, die erst nach Beendigung der Berufshaftpflichtversicherung eintreten.

Joachim Ziegers abschließender Tipp

Wie in der Medizin auch, gilt in der Versicherungsbranche das Spezialistentum. Es ist anzuraten, sich bei Beratungen an jemanden zu wenden, die oder der sich auf die Betreuung von Ärztinnen und Ärzten spezialisiert hat. Wenn beispielsweise eine Maklerin oder ein Makler das Auto oder die Wohnung versichert hat, bedeutet das meistens noch lange nicht, dass sie bzw. er Expertin und Experte für die Betreuung von Ärztinnen und Ärzten ist.

Zur Person

Die Zieger Ärzteberatungs GmbH wurde 1988 von Wilhelm Zieger gegründet, der sich schon damals auf das äußerst komplexe Versicherungsmanagement für Ärztinnen und Ärzte spezialisiert hat. Er gilt bis heute als Experte für die Abdeckung von wirtschaftlichen, zivil- und strafrechtlichen Risiken im Bereich der ärztlichen Haftung. Sein Sohn Joachim Zieger sagt, dass er durch die Erfahrung seines Vaters in den Betrieb hineinwachsen konnte und so selbst Referent bei Vorträgen und Seminaren zu diesem Thema wurde.

Joachim Zieger, Akademischer Versicherungsmakler (WU)
Geschäftsführer der Zieger Ärzteberatungs GmbH
Büro: +43/316/38 32 73-15
Mobil: +43/664/255 82 65
joachim.zieger@aerzteberatung.com

Was erwartet Sie im nächsten Teil der Serie?
Im nächsten Beitrag werde ich mich mit der Thematik Steuern auseinandersetzen.