17. Juli 2024Zusammenschluss für Kinderagenden

#besserbehandelt.at: Inklusion kann gelingen!

Die Pharmazeutin Dr. Irene Promussas, Obfrau von Lobby4Kids, sprach mit medonline über die neu gegründete österreichweite Plattform und Kampagne #besserbehandelt.at, die auf gravierende Mängel in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen aufmerksam macht. Nach einem erfolgreichen Auftakt am 11.7. erzählte sie im Interview, wohin die Reise gehen sollte.

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#besserbehandelt.at/KUBRIK

medonline: Frau Dr. Promussas, Sie beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren mit den Anliegen von Kindern – im Rahmen Ihrer Tätigkeit bei Lobby4Kids besonders mit denen von Kindern mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Warum kam es nun zur Gründung der neuen Plattform?

Irene Promussas: #besserbehandelt.at ist eine Plattform und Kampagne unter der Federführung der „Politischen Kindermedizin“ (PKM), in der ich ebenfalls Mitglied bin. Die PKM gibt es seit ungefähr 18 Jahren, zuerst als offene Plattform, dann als Verein. In den vergangenen Jahren veranstalteten wir Jahrestagungen zu unterschiedlichsten Gesundheitsthemen, die Kinder und Jugendliche betreffen – z.B. zu Therapien, Aufwachsen in der digitalisierten Welt etc. Am Ende jeder Tagung haben wir eine Resolution verfasst und der Politik konkrete Forderungen gestellt, was getan werden muss. Leider waren wir damit nur mäßig erfolgreich. Daher wurde dieses Jahr keine Tagung gehalten, sondern stattdessen die Kampagne #besserbehandelt.at gestartet. Diese soll eine Art Graswurzelbewegung werden und sich durch die Verbreitung durch Organisationen und Einzelpersonen verselbstständigen. Die Agentur KUBRIK hat zu diesem Zweck Sujets erstellt, die unsere Botschaften transportieren.

Erfreulicherweise haben sich uns zusätzlich zu den vielen großen Organisationen, die schon bei der Präsentation der Kampagne dabei waren, auch zahlreiche weitere angeschlossen. Nun wollen wir die Zeit bis zur Nationalratswahl nutzen, um unsere Themen prominent zu platzieren und zuständige Politikerinnen und Politiker zu suchen, denen wir diese umhängen können.

Worum geht es genau bei dieser Kampagne?

Hauptsächlich geht es natürlich um medizinische und therapeutische Themen. Also z.B., dass es zu wenige niedergelassene Kinderärztinnen und Kinderärzte mit Kassen gibt oder auch zu wenige kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder in allen Bereichen von Physio- über Ergotherapie bis hin zur Psychotherapie. Ein Schwerpunkt der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, die ebenfalls in der Plattform vertreten ist, ist die psychosoziale Versorgung. In einigen Teilen Österreichs funktioniert sie, in anderen kaum. Auch die Inklusion ist ein großes Thema.

Das ist ja das Steckenpferd Ihrer Organisation?

Genau. Bei Lobby4Kids arbeiten wir direkt mit den betroffenen Familien daran, dass ihre Kinder in der Gesellschaft, aber auch in Kindergärten, Schulen und der Nachmittagsbetreuung besser behandelt werden. Speziell Kinder mit Behinderungen oder auch chronischen Erkrankungen bekommen häufig keinen Kindergartenplatz, weil niemand die medizinischen und pflegerischen Handgriffe machen kann oder will. Es gibt zwar schon viele Gesetze, wie den Paragraph 50a, wonach medizinische Tätigkeiten auch an Laien in einer Schulung übergeben werden dürfen. Aber es wird dennoch oft diskutiert, wie die Haftungsfrage ist, obwohl das bereits geregelt ist.

Der Personalmangel wird hier wohl auch eine Rolle spielen, oder?

Es zeigt sich deutlich, dass wir in Österreich einen Mangel an Pädagoginnen und Pädagogen haben. Aber oft erleben wir auch eine negative Haltung gegenüber diesen Kindern. Es will niemand etwas mit ihnen zu tun haben, weil alles als mühsam empfunden wird. Wir hören einfach viel zu oft, dass etwas nicht geht. Wir wissen seit Jahren, dass die Pensionswelle kommt und auch, dass der Beruf der Elementarpädagoginnen und -pädagogen einfach wahnsinnig unterschätzt wird und die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen.

Dabei brauchen wir Pädagoginnen und Pädagogen, die wertgeschätzt sind, die gut bezahlt sind und die Arbeitsbedingungen vorfinden, mit denen sie sich auch identifizieren können. Nachdem ich eben hauptsächlich für Kinder mit chronischen Erkrankungen oder auch Behinderungen eintrete, erlebe ich zu oft, dass diese Kinder gar keinen Kindergartenplatz bekommen. Das ist von Bundesland zu Bundesland besser oder schlechter. Wir von Lobby4Kids sitzen bereits mit den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern an runden Tischen zusammen, um Lösungen zu erarbeiten, die dann aber auch umgesetzt werden müssen.

Wie sind die Aussichten? Kommt es bereits zu Veränderungen und wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen für die Zukunft?

In Wien sieht es fürs Erste nicht schlecht aus. Die MA10/MA11 richtet eine Kompetenzstelle für Inklusion ein, und es gibt eine Gesetzesnovelle für Kindergärten. Ab Herbst 2024 sollte es Fördergeld und Personal geben, sobald in einer Gruppe 1–2 betroffene Kinder aufgenommen werden. Diese Förderung ist an eine Diagnose nach ICD-10 oder -11 geknüpft – einerseits um Missbrauch zu verhindern, aber auch um zu wissen, welche Unterstützungsleistungen gebraucht werden. Oft brauchen diese Kinder ja nicht mal eine ausgebildete Pflegekraft, sondern es reicht schon die Unterstützung durch eine Schülerin im sozialen Jahr oder einen Zivildiener.

In den anderen Bundesländern sind die jeweiligen Gemeinden zuständig für die Kindergärten,  und es kommt immer auf den Good Will der einzelnen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an.

Aber nicht nur in der Kindergartenzeit brauchen diese Kinder Unterstützung. Gibt es auch Ideen, wie Inklusion auch in der Schule klappen könnte?

Eine Idee wäre die School Health Nurse, die es in Wien als Pilotprojekt bereits gibt und die es nun – nach Anstrengungen vieler Beteiligter – auch weiterhin geben soll. In den Gemeinden könnte die Community Nurse nicht nur das Management eines Kindes mit Behinderung übernehmen, sondern auch für kleinere Probleme aller Kinder Ansprechpartnerin sein. In Skandinavien hat sich die School Health Nurse bereits als Teil des Teams aus Bildungspartnerinnen und -partnern, der Sozialarbeit, der Schulpsychologie und der Schulärztinnen und -ärzte etabliert und ist fix am jeweiligen Standort eingesetzt.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie die Zeit bis zu den Wahlen optimal nützen möchten. Was sind die To Dos für die kommenden Wochen?

Uns geht es nicht nur um medizinische oder psychosoziale Themen im Großen, sondern um die individuellen Bedürfnisse der Kinder, die in unserer Gesellschaft einfach keine Stimme haben. Diese müssen wir ihnen nun umso lauter geben. Wir stehen den politischen Stakeholdern gerne mit unserer Expertise zur Seite und wollen nicht nur Probleme aufzeigen, sondern haben auch Lösungen in petto. Nun liegt es allerdings an den Wählerinnen und Wählern, bei Parteien das Kreuzerl zu setzen, die in ihrem Programm auch Kinderbedarf großschreiben, wenn uns als Gesellschaft das wichtig ist.

Und ich glaube, da muss man auch nicht unbedingt selbst Kinder haben, um zu erkennen, dass diese nicht nur unsere Zukunft, sondern auch unsere Gegenwart sind. Kinder haben sehr kurze Zeitfenster und wir müssen Ihnen jetzt ermöglichen, was sie jetzt brauchen, weil sie die Erwachsenen von morgen sind. Wenn wir ihnen nicht zukommen lassen, was sie jetzt brauchen, werden sie vielleicht die psychisch kranken Erwachsenen von morgen oder jene, deren Weg mit „Sonder-“ begonnen hat und mit „Sonder-“ in irgendeiner Werkstatt endet.

Das Geld für eine bessere Behandlung unserer Kinder und Jugendlichen wäre da. Zum Teil müsste es umverteilt werden. Aber wir müssten vielleicht unsere Prioritäten mal neu ordnen. Es kann nicht sein, dass wir über Nacht eine Bank retten können mit Millionen von Euro, aber die paar hunderttausend Euro für kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder nicht haben.

Gibt es auch konkrete Wünsche in Richtung Ärztinnen- und Ärzteschaft und die Pflege?

Ja, die gibt es. Ich bin jetzt Mitte 50 Jahre und verstehe die Bedeutung von Work-Life-Balance gut. Wir waren vielleicht eine Zeit viel zu sehr auf Leistung konzentriert. Aber ich wünsche mir, dass wieder viel mehr junge Menschen den Beruf der Kinderärztin bzw. des Kinderarztes ergreifen und auch als eine Berufung verstehen. Es gibt einfach viele Familien, die sich die Gebühren für Wahlärztinnen und -ärzte nicht leisten können, da brauchen wir das Kassensystem.  Mein Wunsch wäre einfach, diesen Beruf wieder aufzuwerten und auch dort für bessere Arbeitsbedingungen zu werben. Das gleiche Thema haben wir bei den Pflegeberufen, wo viele Menschen im Burn-out sind oder kurz davor die Krankenhäuser verlassen. Ich breche die eine Lanze dafür, ihnen mit der Ausbildung zur School Nurse ein neues Berufsfeld zu eröffnen und damit vielleicht wieder mehr Menschen für die Pflege zu gewinnen. Ich glaube, dass das ein Beruf der Zukunft ist und ich wünsche mir viele engagierte junge Menschen, die sich das überlegen.

Vielen Dank für das Gespräch!