Lernen von Menschen mit Behinderungen

M. kommt regelmäßig zu mir auf Besuch in die Apotheke. Sie kommt mit ihrer Mama, die sie an der Hand führt, weil sie sich alleine räumlich nicht orientieren kann. M. ist Mitte zwanzig. Wenn sie mich erblickt, geht ein breites Grinsen über ihr Gesicht. Sie macht einen Laut der Freude und streckt mir ihre Hand entgegen. Im Übrigen ist sie die Einzige, der ich es erlaube, sich ums Plexiglas zu wickeln. Solange ich sie bediene und ihrer Mutter ihre Medikamente aushändige, verfolgt sie mich mit ihren Augen, ihrem Lächeln und bietet mir immer wieder ihre Hand an.

Cartoon Stick Zeichnung konzeptionelle Illustration eines lächelnden behinderten Mannes, der auf einem Rollstuhl sitzt.
Zdenek Sasek/GettyImages

Herr. H. ist ein Kunde, der einen Rollstuhl benutzt. Und nein, er ist nicht an ihn gefesselt, wie in Medien immer gern beschrieben wird. Er ist ein fescher, sportlicher Mann, der sich bemüht, nicht dick zu werden, seinen Oberkörper fit zu halten und seine Wege selbst zu erledigen. Will man ihm behilflich sein, winkt er meist dankend ab: „Danke, aber heute muss es schnell gehen.”

A. ist ein Teenager, der nonverbal ist. Trotzdem ist er gut zu verstehen. Sein Gesicht ist wie ein Bilderbuch, jede seiner Regungen spiegelt sich darin wider. Wenn ein anderes Kind in der Apotheke weint, wird er sofort empathisch und will auf es zugehen. Immer wenn ich A. beobachte, frage ich mich, woher die unsägliche Bezeichnung „geistige Behinderung” kommt, die immer noch weit verbreitet ist und sogar in der Medizin verwendet wird. Woher wollen wir wissen, ob sein Geist behindert ist? Vielleicht wird er einfach nur behindert? Vielleicht ist er viel freier als unserer?

„Was siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?”, wird eine junge Frau mit Down-Syndrom in einem derzeit gefeierten Film gefragt. Und: „Wie findest du dich?” Die Antwort ist verblüffend offen und ehrlich: „Ich sehe eine junge, schicke Frau. Mein Lippenstift passt heute genau zu meinem Kleid. Mit meinen Haaren habe ich mir heute besonders Mühe gegeben. Ich finde mich schön.” Und eine andere auf dieselbe Frage: „Viele sagen mir, ich soll abnehmen. Aber ich mag mich, so wie ich bin. Ich bin glücklich.”

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