11. Okt. 2017

Antibiotikaresistenz: Politik hat Hoffnung im Keim erstickt

ANTIBIOTIKA – Wenn wir so weitermachen, sterben 2050 mehr Menschen an multiresistenten Keimen als an allen anderen Krankheiten zusammen, warnt Biochemiker Dr. Welz. Mehr Kontrolle sei aber agrarpolitisch nicht erwünscht. (Medical Tribune 40/17)

Foto: Dr_Microbe/GettyImages

Laut WHO sterben jährlich bereits mindestens 25.000 Menschen in Europa an Antibiotika-Resistenzen. Eine große Rolle spielt der Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung. Derzeit läuft eine parlamentarische Anfrage an das Gesundheitsministerium (Frist bis 20.11.2017)* betreffend „Faschiertes ist stark mit antibiotikaresistenten Keimen belastet“. Die AGES hatte vor wenigen Wochen in drei von sechs Proben ESBL-Keime gefunden, in einer davon zusätzlich MRSA. Das überrasche ihn nicht, sagt dazu Biologe Dr. Walter Welz gegenüber MT. Der international anerkannte Analytiker, der erst kürzlich von der WHO mit der Weiterentwicklung und Neuregistrierung eines Schlüsselantibiotikums gegen Tuberkulose beauftragt worden ist, engagiert sich seit Jahren gegen die „missbräuchliche“ Verwendung von Antibiotika.

Herr Dr. Welz, Sie sprechen von Antibiotika-„ Missbrauch“. Ein starkes Wort. Wieso?

Walter Welz: Wir wissen, dass das Idealste das Zuschneiden der antibiotischen Therapie auf den Mikroorganismus ist. Die Bestimmung dauert aber meistens eine Woche, manchmal auch 14 Tage. Bis dahin kann das für den Patienten schon unangenehm werden. Man setzt also ein Breitbandantibiotikum ein, das mehrere Wirkmechanismen abdeckt. Darin liegt zwar die Gefahr einer Resistenzbildung. Das ist aber noch kein Missbrauch. Ein leichter Missbrauch ist hingegen schon das zu rasche Geben von Antibiotika bei viralen Infekten, um banale bakterielle Zusatzinfektionen wegzuräumen. Und der echte Missbrauch passiert natürlich in der Landwirtschaft.

Aber es gibt doch Dokumentationspflichten und Kontrollen?

Ja, aber auch einen riesigen Schwarzmarkt. Wenn Antibiotika missbräuchlich – also prophylaktisch, damit die Tiere die Massentierhaltung überstehen – gegeben werden, und sie werden gegeben, weil es keine Massentierhaltung ohne prophylaktische Antibiotika gibt, sind sie nach einigen Tagen nicht mehr im Urin nachweisbar. Man könnte sie in den Schweinehaaren, Federn, etc. nachweisen: Mit nur drei Proben aus jedem Mastbetrieb könnte man alle Betriebe flächendeckend analysieren, weil die Antibiotika ins Futter gemischt werden.

Warum wird das nicht gemacht?

Dazu muss ich etwas ausholen: Vor Jahren hat mich der Gerichtsgutachter und Tierpathologe Hofrat Dr. Michael Schönbauer gefragt: Er habe ein mit Sulfonamiden behandeltes Schwein auf dem Seziertisch liegen, ob ich die Sulfonamide in den Schweinehaaren nachweisen könne? Ich habe sie im Labor aufgearbeitet, wie bei menschlichen Haaren für Drogentests bei Führerscheinentzug, und finde tatsächlich Sulfonamide. Da habe ich mir gedacht: Das ist ja ein Hit! Man kann alles nachweisen, was das Schwein jemals gefressen hat: Hormone, Antibiotika, Tranquilizer. Gemeinsam mit Dr. Ernst Pittenauer, einem exzellenten Analytiker, mit dem ich für die EU auch eine Methode zum Nachweis von verbotenen Substanzen im Tiermastfutter entwickelte habe, reichte ich einen Projektantrag beim Ministerium ein. Es tat sich nichts. Nach einer parlamentarischen Anfrage wurde das Projekt zwar gelobt, landete aber in der Schublade, weil Österreich ohnehin weit über EU-Standards hinaus kontrolliere. Hintenherum habe ich erfahren: Man will gar keine flächendeckenden Kontrollen, weil permanent etwas gefunden würde. Was das für agrarpolitische Folgen hätte!

Und der Schwarzmarkt?

Sie können übers Internet alles bestellen, was Sie wollen. Ich habe das einmal versucht und habe es ohne Probleme bekommen. Die meisten Geschäfte laufen gar nicht über den Zoll, sondern über illegale Kanäle. Hauptumschlagplätze für Antibiotika sind Autobahnstationen. Das muss einem zu denken geben: Die Hälfte der offiziell produzierten Antibiotika landen in der Tierzucht. Wenn man die Verschreibungen der Tierärzte hernimmt, kommt man nicht auf diesen Betrag. Das heißt, auch viel von dem, was legal hergestellt ist, muss illegal auf den Markt kommen. Und auf dem Schwarzmarkt hergestellte Antibiotika, die meisten in China, kann kein Mensch kontrollieren.

Wie entstehen überhaupt Resistenzen durch die Tierzucht?

Die konkrete Gefahr besteht darin, dass nicht alle gleich viel vom Antibiotikum über das Futter bekommen. Die Keime der Tiere, die weniger bekommen, haben eher eine Chance, zu überleben. Die nächste Gefahr: Über die Gülle gelangen Antibiotika bzw. deren Metaboliten in den Boden. Im Boden, der auch von vielen Mikroorganismen bevölkert ist, können sich wieder Resistenzen bilden. Zusätzlich werden resistente Bakterien ausgeschieden und kommen wieder in den Kreislauf. Durch das Essen, z.B. schlecht oder ungewaschenes Obst und Gemüse, rohe oder nicht ganz durchgegarte Lebensmittel, und durch die Luft kommen resistente Bakterien in den Menschen. Das ist ein Kreislauf, der ist höchst gefährlich. Wenn wir so weitertun und nichts dagegen unternehmen, sterben 2050 auf der Welt mehr Leute an multiresistenten Keimen als an allen anderen Krankheiten zusammen.

Was wäre eine Lösung?

Man darf eines nicht vergessen: Unser Agrarsystem ist in den letzten 40, 50 Jahren so gewachsen, wie es heute ist. Wir können natürlich nicht mehr zurück zur klassischen bäuerlichen Haltung mit 20 Milchkühen, fünf Schweindln, wo jede Sau einen Namen gehabt hat und der anderen auch kein Ohrwaschl abgebissen hat.

Apropos Wunden: Fördert Blauspray auch Resistenzen?

Bei allen Einsätzen von Antibiotika, die nicht ganz genau dosiert sind und wo auch die Dosis nicht genau erforscht ist, also Antibiotika, die „frei Schnauze“ eingesetzt werden, ist die Gefahr der Resistenzen sehr hoch. Die Bauern, auch die Tierärzte, haben ja keinen Pharmamischer. Also, nachdem das Agrarsystem nicht von heute auf morgen entstanden ist, wäre die Lösung, das System sozusagen wieder schrittweise zurückzufahren, mit viel Informationsarbeit: Sparsamer mit Fleisch umgehen, Preise anpassen, damit der Bauer davon leben kann. Wir müssen die Landwirtschaft wieder kleinteiliger strukturieren und von der Massentierhaltung wegkommen.

Was können Ärzte gegen den „leichten Missbrauch“, wie Sie sagen, tun?

Mein Hausarzt ist hier ein Vorbild: Empfehlen, die ersten Tage zu Hause zu bleiben, Ruhe zu geben, das Bett zu hüten. Wenn es dramatisch schlechter oder nach drei, vier Tagen nicht besser wird, dann erst ein Antibiotikum verschreiben. Natürlich ginge es mit einem Antibiotikum schneller. Wenn Sie ein hochdosiertes Penicillin schlucken, zerreißen Sie nach zehn Stunden wieder die Welt! Aber in Wahrheit schädigt man seinen Körper, das ist nicht ungefährlich. Es ist leider auch ein soziales Problem: Keiner will den Arbeitsplatz verlieren. Und viele Ärzte wollen ihre Patienten nicht verlieren und verschreiben ein Antibiotikum. Vielleicht sollte man in der Gesundheitspolitik andenken, den Leuten näherzubringen: Es ist nicht immer gut, wenn man gleich mit der chemischen Keule zuschlägt. Antibiotika sind eine wichtige Waffe im Kampf gegen Infektionskrankheiten, aber man muss sie mit Bedacht und vernünftig einsetzen.

*https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_14079/index.shtml 

Zur Person: Dr. Walter Welz ist Lektor an der FH Wels, Leiter einer Arbeitsgruppe im Auftrag der WHO zur Neuregistrierung eines Antibiotikums gegen Tuberkulose und hat ein eigenes Pharmaunternehmen. Außerdem initiierte er das „Amazonasprojekt“: Mit der FH Wels, der Oxford University und brasilianischen Universitäten werden unbekannte Pflanzen (erst 5000 von 500.000 sind erforscht) systematisch auf neue Substanzen wie Antibiotika, Onkologika oder Entzündungshemmer gescreent und bei Erfolg synthetisiert. Für das Forschungsprojekt werden noch Wissenschaftler, Mediziner und Pharmazeuten gesucht.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune