Rezepte gegen volle Ambulanzen

Zahlreiche funktionierende Maßnahmen, um den Ansturm der Patienten auf die Notfallambulanzen in den Griff zu bekommen, wurden bei einer Veranstaltung der Ärztekammer vorgestellt. (Medical Tribune 23/2017)

„Jede Fehl-Selbstzuweisung zwischen 22 und sechs Uhr ist eine zu viel.“ Dr. Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), spricht eine zunehmende Problematik an: Die Anzahl der Patienten, die in die Notfallambulanzen der österreichischen Spitäler strömen – vor allem in der Nacht und an Wochenenden –, wächst ständig. An den Notfallaufnahmen in Graz zum Beispiel ist die Frequenz von rund 36.000 Patienten im Jahr 2007 auf rund 45.000 Patienten im Jahr 2014 angestiegen. Wie Krankenhäuser dieser Herausforderung begegnen können, stand im Mittelpunkt der zweiten Auflage der Veranstaltung IN FUSION, die vor Kurzem in Wien stattfand. Unter dem Titel „24 Stunden Ambulanz. Wer macht’s? Wer zahlt’s? Wer braucht’s?“ wurden Modelle präsentiert, mit denen Spitäler auf den Patientenansturm reagieren.

Der Grazer Weg

In Graz hat man eine Einrichtung namens EBA (Erstversorgung, Beobachtung, Aufnahme) am Universitätsklinikum und am LKH West installiert. Dort werden alle Patienten nach dem Manchester-Triage-System ersteingeschätzt, echte Notfallpatienten vorrangig behandelt, die Wartezeit aller anderen richtet sich nach der Dringlichkeit. „57 Prozent unserer Patienten sind Selbstzuweiser“, berichtet Dr. Eiko Meister, der als Oberarzt an der EBA arbeitet. Unter diesen sind vor allem zwei Gruppen stark vertreten: Junge, gebildete Menschen aus der „One-Stop-Shop-Generation“, die in die Ambulanz kommen, um alles gleich in einem Aufwasch zu erledigen, sowie Menschen mit Migrationshintergrund. „Diese sind es aus ihren Herkunftsländern gewohnt, bei gesundheitlichen Problemen in ein Krankenhaus zu gehen“, erläutert Meister.

Manchester in Wien

Eine dritte problematische Gruppe sind geriatrische Patienten, die vorzugsweise am Freitagnachmittag von Pflegeeinrichtungen an die Grazer Spitäler überwiesen wurden. Um dies einzudämmen, hat die Stadt Graz den Geriatrischen Konsiliardienst (GEKO) ins Leben gerufen: Jeden Donnerstag und Freitag fährt ein Facharzt für Innere Medizin mit ÖÄK-Diplom Palliativmedizin alle geriatrischen Pflegezentren ab, um sich um etwaige Problemfälle zu kümmern. „Seit Einführung des GEKO tendieren die Überweisungen geriatrischer Patienten am Freitagnachmittag gegen null“, berichtet Meister.

Am Wiener AKH strömen jährlich 90.000 Patienten in die Notfallaufnahme. „Etwa die Hälfte davon benötigt keine Spitalsbetreuung“, weiß Univ.-Prof. Dr. Gabriela Kornek, Ärztliche Direktorin des AKH. Daher wurde Ende des Vorjahres in Kooperation mit dem Ärztefunkdienst und der Wiener Gebietskrankenkasse eine Allgemeinmedizinische Akutversorgung (AMA) installiert. Auch hier werden die eintreffenden Patienten nach dem Manchester-Triage-System eingeschätzt. Um die Patienten, deren Dringlichkeit als niedrig eingestuft wurde, kümmert sich während der Wochentage ein Allgemeinmediziner, an den Wochenenden zwei.

Für eine nicht-akute fachärztliche Behandlung werden die Patienten niedergelassenen Fachärzten zugewiesen. An der Wiener Kinderklinik werden die Patienten schon seit Längerem gemäß klinischer Dringlichkeit eingestuft und eine maximale Wartezeit festgelegt. Vor drei Monaten ist man dazu übergegangen, Fälle ohne Dringlichkeit konsequent an niedergelassene Pädiater zu verweisen. „Das spricht sich herum“, berichtet Kornek: „Mittlerweile kommen dramatisch weniger Kinder in die Kinderklinik, die nicht dorthin gehören.“

Ausnahmefall Tirol

In Tirol gibt es zwei Projekte, um den Patientenansturm auf die Ambulanzen abzufedern. Nachdem es nicht gelungen war, die Kassenstelle für Kinder- und Jugendheilkunde in Reutte zu besetzen, wurde eine kinderärztliche Versorgungseinrichtung innerhalb der Mauern des Bezirkskrankenhauses Reutte geschaffen. Nun stellt Fachpersonal, das im Außerferner Spital angestellt ist, eine umfassende ambulante Basisversorgung für Kinder sicher. „Damit kann eine umfangreiche Palette an Leistungen angeboten werden, die ein einzelner Arzt gar nicht anbieten könnte“, erklärt Dr. Arno Melitopulos, Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK), welche die Versorgungseinrichtung gemeinsam mit dem Gesundheitsfonds Tirol finanziert. Wie in Graz und Wien wurde auch an der Uniklinik Innsbruck, an deren Notfallambulanz sich zuletzt 22.000 Menschen jährlich wandten, eine Erstaufnahmeeinheit installiert. Auch hier werden die Patienten triagiert.

Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, ist die TGKK bereit, über ihren eigenen Schatten zu springen. In einem Tiroler Wintersportort war es zu der Situation gekommen, dass der dortige Allgemeinmediziner alleine die Versorgung nicht mehr aufrechterhalten konnte. Die Gebietskrankenkasse erlaubte es dem Mediziner ausnahmsweise, einen Kollegen anzustellen – eine Forderung, die auch im Rahmen von IN FUSION mehrmals vorgebracht wurde. „Am Ende des Tages war für uns relevant, dass es eine zufriedenstellende Lösung gab“, begründet Melitopulos die Ausnahmeregelung.

Ordination in Linz

In Linz schließlich wird gerade von der Oberösterreichischen Ärztekammer, der Gebietskrankenkasse und dem Land eine sogenannte vorgelagerte Versorgungseinheit (VVE) geplant, die an den Tagesrandzeiten und am Wochenende Patienten abfangen soll. Dabei soll es sich rechtlich um eine Ordination handeln. Die beiden geplanten Standorte sollen – je nach Aufnahmetag – beim Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Linz und bei der Blutzentrale des Roten Kreuzes liegen und haben den Zweck, die Patienten unmittelbar zur richtigen Versorgungsstruktur zu lenken. „Es handelt sich nur um einen Mosaikstein, aber wir hoffen, dass dadurch die Ambulanzen entlastet werden“, sagt Dr. Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe, die das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern betreibt.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune