PVZ Enns: Smells like Team Spirit
600 Patienten strömen jeden Tag in das neue Primärversorgungszentrum (PVZ) in Enns. Die erste Bilanz ist positiv: Das Teamwork funktioniert, Patienten sind großteils zufrieden, wie ein Lokalaugenschein der Medical Tribune ergab. (Medical Tribune 9/2017)
Bei manch einem Patienten wäre es im alten System bestimmt anders verlaufen. Ein 17-jähriges Mädchen etwa sucht mit ihrer Mutter ihren Hausarzt auf: Dieser heißt Dr. Wolfgang Hockl und ordiniert seit 9. Jänner 2017 nicht mehr in der Sportplatzstraße, sondern im neugebauten 800 m2 großen „Gesundheitszentrum“ in der Kathrein-Straße. Hockl ist der Initiator des PVZ, seit 2011 fließt sein Herzblut in das Pilotprojekt. Es ist Abend, 19 Uhr, die junge Frau will sich krankschreiben lassen, die Lehre abbrechen, nicht mehr in die Berufsschule. Eine Patientin, wo Hockl weiß, „jetzt könnte man eine Stunde drüber reden“. Das macht dann der Sozialarbeiter auch. Am nächsten Morgen, nur eine Tür weiter. Tatsächlich findet Hermann Eglseder, MA, durch ein Gespräch heraus, dass hinter den somatischen Beschwerden ein familiäres Problem steckt. Er vermittelt die Patientin zu einer Psychotherapie und einem Jugend-Jobcoaching.
Keine Standesdünkel
Über diese organisierte Hilfe ist Hockl froh: „Das bringt wirklich etwas. Sonst ist es ein Krankschreiben mit dem fahlen Gefühl, jetzt hast du etwas getan, aber nicht wirklich geholfen.“ Dass sich diese Zusammenarbeit auszahlt, bestätigt der – getrennt befragte – Sozialarbeiter, der zuvor in einem Spital tätig war. Dort seien Hierarchiestrukturen oft „hinderlich, wirklich das Beste für den Patienten herauszuholen“. Standesdünkel gibt es im PVZ mit den zehn verschiedenen Berufsgruppen (siehe Kasten) nicht. Im Gegenteil: Anfangs hat die OÖGKK zehn Stunden Sozialarbeit finanziert, dann wegen der hohen Nachfrage die Stunden verdoppelt. „Doch die Ärzte wollten noch mehr, weil es so viele Patienten gibt, die genau in diese Richtung etwas brauchen – jetzt bin ich 40 Stunden da“, freut sich Eglseder.
[column grid=”2″ span=”1″]Hier können Sie mit zusätzlichen Bildern und Videos von Mitarbeitern und Patienten in das neue Primärversorgungszentrum eintauchen[/column]
Die nicht-ärztlichen Berufsgruppen des PV-Teams sind entweder angestellt oder ihre Leistungen werden über die Ärzte-GmbH – die Rechtsform des PVZ – zugekauft. Für die Ärzte ist der durchschnittliche Verdienst in den letzten Quartalen plus fünf Prozent für die Mehrleistung (Öffnungszeiten, Zusatzangebote) vereinbart. „Die multiprofessionelle Zusammenarbeit funktioniert super“, schwärmt auch eine der drei diplomierten Krankenschwestern, deren Namen, Daniela Blauensteiner, sicher keiner vergesse, wie sie verschmitzt meint. Sicher, einige Abläufe müsse man noch adaptieren. So schickten ihnen Dr. Hockl und Dr. Katharina Winkler besonders viele Patienten, sodass die Schwestern mit der Arbeit (u.a. Blut abnehmen, Wunden versorgen, Infusionen anhängen, EKG schreiben, impfen) kaum nachkämen. Künftig wolle man daher schauen, „dass von uns noch zusätzlich jemand da ist“, wenn die beiden Dienst haben.
Blauensteiner erzählt, wo sich erst jüngst die Teamarbeit ebenfalls bewährt hat: Ihrer Kollegin, DGKS Judith Pell, einer erfahrenen Intensivschwester, gefiel eine Wunde nicht, auch sei ihr ein „komischer Geruch“ in die Nase gestiegen. Daraufhin wurde ein Wundabstrich gemacht und akkurat ein Keim gefunden, der auf das vom Spital vorgeschlagene Antibiotikum nicht sensitiv war. Dr. Hockl, der selbst eine Wundmanagement-Ausbildung hat, freute sich über die Unterstützung der Schwestern: „Das war etwas, wo du dich früher gewundert hast, warum die Wunde nicht verheilt.“ Denn in der Ordi ohne Schwester sei eine solche Vorgehensweise nicht immer möglich gewesen.
Kurze Wartezeiten
Noch jemand hat sich in der kurzen Zeit zwischen Start und offizieller Eröffnung mit Politprominenz am 15. Februar für das Team unentbehrlich gemacht und bekommt Lob von allen Seiten: Wolfgang Gruber, der Geschäftsführer oder „Zentrumsmanager“. Er checkt alles Organisatorische, sei es der Nachkauf von Druckerpatronen oder wenn er mit typischem Oberösterreicher-Schmäh die Therapeuten aus ihrer Pause aufscheucht, weil Journalisten auf der Matte stehen. In einem Kraftakt hat er innerhalb von drei Wochen das PVZ auf eine Bestellpraxis umgestellt – keiner der Patienten wartet nun länger als 15 Minuten.
Das taugt auch Frau Yasar, 61, die im Wartezimmer gerade ihrer Enkelin ein Fläschchen gibt. Neben den kurzen Wartezeiten gefallen ihr „die Ordnung und die Sauberkeit“ im Zentrum. Eine andere Patientin hebt die „super Lage“ hervor. Hingegen kritisiert eine Mittvierzigerin den Anmeldungsbereich, weil er nur mit Sichtschutz versehen ist: „Die Anonymität geht verloren, da steht ja halb Enns vor der Budel.“
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer und OÖGKK-Obmann Albert Maringer preisen das PVZ als „Österreichs erste voll ausgebaute Primärversorgung“ an, da hier im Gegensatz zum Wiener PHC (Primary Health Care) „Medizin Mariahilf“ wirklich alle Gesundheitsberufe unter einem Dach seien. Bei der Eröffnungsfeier rügten die beiden auch gleich den Bund: „Wenn wir auf das PHC-Gesetz gewartet hätten, täten wir heute noch warten.“ Ein Raum ist übrigens noch frei. Hier soll eine Apotheke einziehen. „Die Konzessionsverfahren laufen noch“, erklärt Oberösterreichs Apothekerkammer-Präsidentin Mag. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr auf MT-Anfrage. Hockl will indes auch Studierende ins Haus holen und für den Hausarztberuf begeistern.
Im PVZ Enns arbeiten sechs Allgemeinmediziner, drei Diplomkrankenschwestern, vier Ordinationsassistentinnen, ein Psychotherapeut, zwei Physiotherapeuten und ein Sozialarbeiter, ergänzt durch Teilzeitstellen für Diätologie, Ergotherapie, Logopädie und Geburtshilfe. Im ersten Stock sind sechs Fachärzte eingemietet. Die Finanzierung teilen sich OÖGKK, Land OÖ und Stadt Enns.
Öffnungszeiten: Mo–Fr 7–19 Uhr, Mi, Do bis 21 Uhr.
www.ghz-enns.at
www.diehausaerzte.at