Die Cannabis-Debatte ist neu entflammt

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Dealer, Arzt oder Apotheker: Deutschland erlaubt Cannabis auf Rezept für Schwerkranke – prompt keimt unter Österreichs Liberalisierungs-Befürwortern Hoffnung auf. (Medical Tribune 6/2017)

Kritiker fürchten, dass eine medizinische Freigabe erst der Anfang einer Entwicklung hin zur völligen Legalisierung von Marihuana sein könnte.
Kritiker fürchten, dass eine medizinische Freigabe erst der Anfang einer Entwicklung hin zur völligen Legalisierung von Marihuana sein könnte.

Nach jahrelangem Hin und Her hat der Deutsche Bundestag eine Gesetzesnovelle verabschiedet, die Schwerkranken Cannabis auf Kassenkosten zugesteht. Damit flammt die Debatte auch in Österreich wieder auf. Das deutsche Modell sieht vor, dass nur schwerkranke Menschen Cannabis als Medizin erhalten können. Und das auch nur unter der Voraussetzung, dass ihnen nicht anders geholfen werden kann. Der Eigenanbau von Cannabis bleibt verboten. Im März tritt die Novelle in Kraft, dann erhalten Patienten im Fall des Falles getrocknete Cannabisblüten und -extrakte auf ärztliche Verschreibung (bis zu 100 Gramm als Kapsel, in Blütenform oder als Liquid) in Apotheken.

Politischer Diskurs

Auch hierzulande sollte Cannabis als Medizin erlaubt sein, verlangt die Gesundheitssprecherin der Grünen, Dr. Eva Mückstein. In Österreich ist Cannabis als Medikament nur in (halb)synthetischer Form erhältlich, die hohen Kosten werden sehr eingeschränkt von den Krankenkassen ersetzt. „Ich fordere die Gesundheitspolitik auf, Cannabis nicht länger als Suchtmittel zu stigmatisieren und schwerkranken Menschen wie in Deutschland in natürlicher Form als Medizin zur Verfügung zu stellen“, forderte die Politikerin in einer Aussendung.

„In Österreich sind bereits seit einigen Jahren Präparate auf Cannabisbasis erhältlich“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium: „Im Gegensatz zu Deutschland sind den behandelnden bzw. verschreibenden Ärzten keine Indikationen vorgegeben, bei denen Dronabinol zum Einsatz kommen darf.“ Meistens werde es bei Spastizität, Multipler Sklerose, Appetitlosigkeit und Übelkeit bei Krebspatienten oder bei chronischen Schmerzen, die auf keine andere Therapie ansprechen, verschrieben.

Rauchzeichen aus Übersee

Die USA gehen mit Cannabis freizügiger um. Rein rechnerisch hat bereits jeder fünfte Amerikaner die Möglichkeit, legal Marihuana zu kaufen – dafür haben im November 2016 die Wähler in mehreren Bundesstaaten gesorgt. Allen voran im bevölkerungsreichen Kalifornien, wo künftig jeder Bürger über 21 Jahre kleinere Mengen der Substanz besitzen und selbst bis zu sechs Pflanzen anbauen darf. Der Bundesstaat war einst ein Pionier in der Legalisierungsbewegung und erlaubte Marihuana für medizinische Zwecke schon 1996.

Heute verweisen Befürworter der Legalisierung gern auf das Erfolgsmodell Colorado. Dort ist die Zahl der Drogendelikte seit 2014 gesunken. Außerdem wächst ein Milliardenbusiness, das die öffentliche Hand mit zusätzlichen Steuereinnahmen erfreut. In Österreich ist indes sogar der medizinische Nutzen natürlicher Cannabinoide umstritten. Ein bekannter Vorkämpfer in Sachen Cannabismedizin ist der Wiener Allgemeinmediziner Dr. Kurt Blaas. Er hofft, dass hier „bald Ähnliches beschlossen wird wie in Deutschland.“ Blaas wird dieser Tage ein Buch zu dem brisanten Thema präsentieren.

Natur versus Chemie

Worin liegt seiner Meinung nach der Vorteil bei der ärztlichen Anwendung natürlicher Cannabinoide? „Eine natürliche Substanz ist dem menschlichen Körper und seinen biologischen Abläufen näher als eine rein chemisch produzierte Substanz“, erklärt Blaas. In Studien mit rein synthetischen Cannabinoiden sei gezeigt worden, dass Nebenwirkungen auftreten können, die bei natürlichen Cannabino­iden nicht auftreten würden. Abgesehen davon sei etwa das aus natürlichem Tetrahydrocannabinol (THC) hergestellte Dronabinol für viele Patienten unerschwinglich, was am aufwendigen Herstellungsprozess liege.

Die Folge sei ein neuer Trend: „Patienten besorgen sich am Schwarzmarkt natürliche Hanfprodukte. Sie kommen dann mit mehreren eigenen Arzneien in die Ordination und bitten um die richtige Verordnung. Das ist in der Praxis natürlich nicht möglich.“ Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar vertritt eine andere Meinung: „Ich bin eher für die hergestellten Präparate, weil die ja auch erforscht sind.“ Die Wirkung hänge immer davon ab, wie viel THC und wie viel Cannabidiol (CBD) drinnen ist, „die anderen Substanzen in der Pflanze brauche ich nicht“, argumentiert der Vorstand des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin (ZISOP), Klinikum Klagenfurt.

Ein „großer Fortschritt“ für Österreich wäre es schon, sich darauf zu einigen, dass hochgereinigte Cannabinoide nicht Suchtmittel-rezeptpflichtig sind. Derzeit gelte reines Dronabinol, „nur weil es aus der Pflanze gewonnen wird“, als Suchtgift  – im Gegensatz zu vollsynthetischen THC-Analoga. Zudem brauche es klare Indikationslisten. Likar ist auch gegen eine generelle Freigabe von Cannabis. Selbst die medizinische Therapie erfordere viel Wissen in puncto Dosis und Titrierung („start low, go slow“). Und es gebe absolute Kontraindikationen wie Psychosen, erinnert Likar. Tatsächlich könnte eine rezente Studie* die Legalisierungswelle dämpfen: Demnach erhöhe Cannabiskonsum das Schizophrenie­risiko um 37 Prozent – ursächlich.

Expertengruppe ante portas

Im Ministerium verweist man indes darauf, dass die Forschungslage im Zusammenhang mit den Wirkmechanismen von Cannabis „leider noch zu dürftig“ sei. „Wir verfolgen die Entwicklungen in Deutschland daher mit besonderem Interesse, insbesondere die Ergebnisse der Begleitstudie, die parallel zum Start der Cannabisabgabe auf Rezept durchgeführt werden soll“, heißt es aus dem Büro von Dr. Sabine Oberhauser auf Anfrage der MT. Die Gesundheitsministerin wird darüber hinaus eine „ExpertInnengruppe“ einsetzen, die sich in den nächsten Monaten vor allem mit fachlichen Fragen rund um das Thema Cannabis auf Rezept beschäftigen wird.

* Vaucher J et al., Molecular Psychiatry, 24 January 2017; doi: 10.1038/mp.2016.252

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune