18. Nov. 2020SARS-CoV-2-Monitoring

Schul-Gurgeltests: Jüngere & ältere Kinder gleich häufig infiziert

Nun ist es auch in Österreich amtlich, was international schon viele von den Dächern pfiffen: Volksschüler haben gleich viel SARS-CoV-2-Infektionen wie Schüler in Mittelschulen bzw. AHS-Unterstufen. Das ergab die erste Auswertungsrunde der SARS-CoV-2-Monitoringstudie mittels Gurgeltest: 40 von 10.000 waren positiv – macht hochgerechnet eine Dunkelziffer von 400/100.000. Beunruhigend: An „Brennpunktschulen“ mit Kindern aus sozial benachteiligten Familien war das Infektionsrisiko um das 3,6-Fache höher. Auf der Website des Bildungsministeriums ist das Resultat nachzulesen, mehr Schutzmaßnahmen in den Schulen gibt es jedoch vorerst nicht.

Fröhliche Geschwister in Schutzmasken mit Schulrucksäcken
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Freitag, der 13. Einen Tag vor Ankündigung des Lockdowns 2, der vier Tage später, am 17.11.2020, in Kraft trat, wurden die Ergebnisse per Aussendung bekanntgegeben. Exakt 40 von 10.156 auswertbaren Gurgel-Proben waren positiv, was einer Gesamtprävalenz von 0,39 Prozent entspricht. Die Schwankungsbreite betrug 0,28 bis 0,55 Prozent, das Konfidenzintervall 95 Prozent.

Solide Daten für die Politik liefern – das ist das Ziel der groß angelegten Monitoringstudie an Volksschulen, Mittelschulen und AHS-Unterstufen, medonline berichtete. Für die repräsentative Studie an 243 Schulen in Österreich sollten an die 15.000 Schüler und Lehrer (SuL) zehnmal während des gesamten Schuljahrs gurgeln. So viele wurden es dann doch nicht, 10.464 Proben konnten gewonnen werden (davon waren 308 nicht auswertbar). Das erste Gurgeln zog sich auch ganz schön in die Länge und fand zwischen 28. September und 22. Oktober statt. Jeweils rund die Hälfte der Getesteten war aus einer Volksschule bzw. Mittelschule/AHS-Unterstufe (49,7 vs. 50,3 Prozent).

Die allermeisten der 308 nicht verwertbaren Proben waren deshalb nicht verwertbar, "da bei diesen Proben von den Schulärztinnen und Schulärzten versehentlich ein zu geringes Probenvolumen in das Testgefäß überführt wurde", erklärt Wagner gegenüber medonline, das habe also nichts mit dem PCR-Test zu tun. Jede Probe wurde auch mit mehreren unabhängigen PCR-Tests untersucht: "Darum sind falsch positive Proben so gut wie auszuschließen."

Erstmals Daten über Dunkelziffer an Schulen

„Wir haben damit zum ersten Mal Daten über die Dunkelziffer von Infektionen an Schulen“, erläutert Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Michael Wagner, Mikrobiologie-Dekan an der Uni Wien und Mitentwickler der Gurgeltests, die auch bei Corona-Verdacht an Wiener Schulen eingesetzt werden (nicht zu verwechseln mit der vorliegenden Monitoring-Studie). Denn bei den positiv Getesteten handelt es sich asymptomatische Personen, unterstreicht der wissenschaftliche Koordinator der Studie, die von den Universitäten Wien und Linz (Prof. Bernd Lamprecht) sowie den Medizinischen Universitäten Graz (Prof. Robert Krause) und Innsbruck (Prof. Peter Willeit) durchgeführt wird.

Zu diesen Getesteten kämen daher noch jene Kinder und Lehrer dazu, die bereits anderweitig positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden oder an den Testtagen aufgrund von Symptomen einer nicht diagnostizierten Infektion daheim blieben. Daher lasse sich die Gesamtprävalenz des Monitorings von 0,39 Prozent nur sehr schwer in einen Kontext setzen, warnte Wagner davor, „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“, sprich die nun erhobene Prävalenz mit dem Anteil der im gleichen Zeitraum akut Infizierten an der Gesamtbevölkerung zu vergleichen. Dieser sei natürlich mangels Screening in ganz Österreich niedriger.

Es hinke auch der Vergleich mit der Positivitätsrate unter den durchgeführten Tests, „weil zu den Teststraßen ja primär Leute mit Symptomen gehen oder K1-Personen“. Auch könne man die Prävalenz des Monitorings nicht mit den kürzlich präsentierten Ergebnissen des Gurgeltests an Wiener Schulen vergleichen, weil es sich um Verdachtsfälle gehandelt habe.

Keine signifikanten Unterschiede zwischen Schülern und Lehrern

Zu den Details: Es zeigten sich in der Prävalenz keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen Volksschulen (0,38 Prozent) und Mittelschulen/AHS-Unterstufe (0,41 Prozent) sowie zwischen Schülern (0,37 Prozent) und Lehrern (0,57 Prozent). Die Testergebnisse würden also das oft gehörte Argument, wonach jüngere Kinder weniger Infektionen hätten, „nicht stützen“, wie sich Wagner ausdrückt.

Noch etwas war für eingelesene Experten wenig überraschend: Die lokale Inzidenz hat laut Wagner einen signifikanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen an der Schule. Wie zu erwarten, gibt es in Orten mit vielen Infektionen auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für positive Tests an den Schulen. Nachsatz: „Was dabei was treibt, also das Infektionsgeschehen im Ort jenes an der Schule oder umgekehrt, wissen wir aber nicht.“

Deutlich höhere Infektionsraten an Brennpunktschulen

Bemerkenswert hingegen die Unterschiede in der Prävalenz zwischen Schulen mit unterschiedlichem Index sozialer Benachteiligung. So war das Infektionsrisiko an Schulen mit vielen Kindern aus sozial benachteiligten Familien um das 3,6-Fache (Odds-Ratio) höher als an Schulen mit vielen Kindern aus sozial nicht benachteiligten Familien. Diese Unterschiede sind laut Wagner auch nicht auf die durchschnittliche Klassengröße, die Bevölkerungsdichte im Einzugsgebiet der Schule und das Bundesland zurückzuführen, da diese Parameter berücksichtigt wurden.

Da die erste Gurgel-Runde einen Konnex mit der lokalen Inzidenz bestätigt habe, geht Wagner davon aus, dass die Zahlen in der zweiten Testrunde auch an den Schulen in die Höhe gehen. Wissenschaftlich interessant sei auch, was die – ebenfalls vom Bildungsministerium in Auftrag gegebene – Prävalenz-Studie der Statistik Austria an zufällig ausgewählten Erwachsenen zeigen wird. Die Ergebnisse werden dieser Tage erwartet. Mit beiden Erhebungen werde es dann „faktenbasiert“ möglich sein zu sagen, „ob man an der Schule weniger, gleich viel oder mehr Infektionen hat als in der Gesamtbevölkerung“.

Mit der Studie liefere man der Politik auch Fakten für die Diskussion um Schulschließungen. Das würden aber auch Psychologen, Soziologen, Wirtschaftsforscher etc. tun, führt Wagner ins Treffen, „und es ist dann die nicht beneidenswerte Aufgabe der Politik, das zu integrieren und evidenzbasiert zu entscheiden“.

Bildungsminister hofft auf „Versachlichung der Diskussion“

Auch Bildungsminister Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann (ÖVP) erhofft sich von den ersten Ergebnissen des Schul-Monitorings einen „wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion“. Nur mit entsprechender Datengrundlage könne in den nächsten Monaten ein möglichst sicherer Schulbetrieb funktionieren, betonte der Minister in einem der APA übermittelten Statement. Die Ergebnisse der Erstuntersuchung der Schul-SARS-CoV-2-Monitoringstudie sind auch tatsächlich – wie angekündigt – auf der Homepage des Bildungsministeriums abrufbar (Link siehe unten).

Auswirkungen auf die Schutzmaßnahmen in Schulen hat das Monitoring einstweilen jedoch nicht. Das von Wagner bekanntlich empfohlene Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) im Unterricht ab der Volksschule – derzeit herrscht teils gut besuchter Notbetrieb in Schulen – wurde bei der Pressekonferenz von Faßmann am 14.11.2020 nicht verkündet. Freilich brauche es für den Schutz in Schulen mehr als nur MNS, betont Wagner. Der Mikrobiologe fände z.B. Luftreinigungsgeräte in den Klassenzimmern gut und auch gestaffelte Anfangszeiten. Und: „Es braucht für den Hort eine Lösung, damit sich dort nicht Kinder verschiedener Klassen mischen.“

ÖGKJ ad Corona und sichere Schulen

Von der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) wurden die Ergebnisse der Schul-Gurgeltests noch nicht in ihren Empfehlungen berücksichtigt, wie ein Blick auf die Website zeigt (https://www.paediatrie.at/covid). Die letzte Aktualisierung fand am 23.10.2020 statt. Demnach würden Cluster-Analysen der AGES „klar“ zeigen, dass die meisten Ansteckungen im häuslich-familiären Umfeld stattfinden. Auch das gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium vor Schulbeginn ausgearbeitete Dokument zum Vorgehen bei positiv getesteten Kindern unter zehn Jahren (übrige Kinder nicht automatisch K1-Kontaktpersonen), ist unverändert online. Auf Anfrage von medonline nach der Evidenz zu Corona und sichere Schulen verweist die ÖGKJ am 11.11.2020 auf mehrere Studien, insbesondere auf Laxminarayan et al.* (Figure 2, C11/12). Und: „Literatur zu Pro und Contra zu MNS bezüglich Effektivität und Nebenwirkungen gibt es (noch) nicht.“  

Freilich zeige gerade die Arbeit von Laxminarayan et al., dass sich Kinder unter 14 Jahren häufig bei Kindern anstecken, wie Wagner anmerkt. Die AGES-Zahlen zu Kindern seien so lange nicht aussagekräftig, solange nicht angegeben wird, wie viele Tests insgesamt (positiv und negativ) in jeder Altersgruppe durchgeführt wurden. 

https://science.sciencemag.org/content/370/6517/691

 

Studie auf:

https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/beratung/corona/gs.html