10. Sep. 2019

„Wir sind auf dem besten Weg in eine 3 bis 4 Grad wärmere Welt“

EFA / Andrei Pungovsch

Der Klimawandel war ein präsentes Thema im Rahmen der Gesundheitsgespräche des Europäischen Forum Alpbach. Sogar eine eigene Session hatte man der Frage gewidmet, ob Europas Gesundheitssysteme auf die Klimakrise vorbereitet sind. 

Am Podium diskutierten Dr. Veronika Huber, Vorstand der Universidad Pablo de Olavide in Sevilla, Umweltmediziner Assoc. Prof. Dr. med. Hans-Peter Hutter und Dr. Werner Kerschbaum, ehemaliger Generalsekretär des Roten Kreuz.

Veronika Huber ging mit einer plakativen Keynote gleich in medias res: Von ganz Europa sei Westeuropa in diesem Jahr am stärksten von den Hitzewellen im Juni und Juli betroffen gewesen. In Frankreich und Deutschland wurden die bisherigen Hitzerekorde um zwei Grad übertroffen, und in Belgien und den Niederlanden wurde erstmals seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen die 40-Grad-Marke geknackt. Auf die Frage, was dies für die Gesundheitssysteme bedeute, verwies Huber auf die Auswirkung von Hitzewellen auf die Sterblichkeit und zitierte eine Untersuchung nach dem Hitzesommer im Jahr 2003. So hätte die Kurve der Sterbefälle in Frankfurt im Sommer 2003 stark nach oben ausgeschlagen. In ganz Europa seien damals schätzungsweise insgesamt 70.000 Personen der Hitzewelle zum Opfer gefallen. Meist litten die Betroffenen unter Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen, die Hitze führte zu Verschlechterungen und tödlichen Ereignissen. Aber um genau sagen zu können, wie viele Sterbefälle tatsächlich auf die Hitze zurückzuführen seien, brauche noch es exakte Statistiken und neue Modelle der Erfassung, so die Expertin.

Trübe Aussichten

Ein weniges erfreuliches Bild präsentierte Huber hinsichtlich der Auswirkungen des Klimawandels, die zum Teil jetzt schon spürbar seien:

  • Mehr Tote: Bei zwei zusätzlichen Grad ist mit einer Verdopplung der Hitzetoten zu rechnen. Bei 3–4 Grad mit bis zu einer Verdreifachung der hitzebedingten Mortalität.
  • Mehr Antibiotikaresistenzen: Steigende Temperaturen müssen bei der Ausbreitung von resistenten Erregern mitzudenken sein. Das beruhe, laut Huber, auf Untersuchungen zur geographischen Ausbreitung von Resistenzen in den USA, wobei ein klarer Zusammenhang zwischen den örtlichen Temperaturen und der Ausbreitung der Resistenzen gefunden wurde, und das über verschiedene Antibiotikaklassen hinweg.
  • Mehr Pollenallergiker: Auch im Bereich der Pollenallergien wird der Klimawandel zu spüren sein. Experten schätzen bis 2050 eine Verdopplung von derzeit 40 Prozent der Pollenallergiker in Europa.
  • Mehr Tropenkrankheiten: Die asiatische/ägyptische Tigermücke, die Überträgerin des Chikungunyafiebers, habe sich bereits in Südeuropa angesiedelt.
  • Mehr Depressionen: Ein sehr komplexes Feld sei der Einfluss des Klimawandels auf die mentale Gesundheit, so Huber, die dabei speziell vom Konzept der Umwelttrauer, dem Ecological Grief, spricht. Veränderte Lebensbedingungen würden sich demnach auf die Verfassung betroffener Bevölkerungsgruppe auswirken. So haben Psychologen herausgefunden, dass es z.B. bei australischen Landwirten, die von Dürren betroffen sind, vermehrt zu Depressionen und Ängsten kommt. Dazu Huber: „Die Frage ist jetzt: Was wird hier auf uns zukommen? Auch wir werden in den nächsten Jahrzehnten starke Veränderungen unserer Heimat erleben und das wird nicht ohne Auswirkung auf die psychische Gesundheit vonstatten gehen.“

Szenarien für die Zukunft

In welche Richtung geht diese Entwicklung weiter? Huber zeichnete diesbezüglich zwei Szenarien: „Status quo ist, dass sich die Erde im letzten Jahrhundert um ein Grad erwärmt hat. Ein Szenario wäre nun, das Pariser Abkommen, das die Erwärmung auf unter zwei Grad begrenzt, umzusetzen. Das zweite denkbare Szenario wäre, weiterzumachen wie bisher, die Emissionseinschränkungen nicht umzusetzen und damit vor einer Erderwärmung zu stehen.“ Um Letzteres zu vermeiden, müsse in allen Bereichen gehandelt werden. Huber: „Einerseits müssen wir uns fragen, wie wir die Systeme CO2-neutral gestalten können, auf der anderen Seite müssen wir über Extremszenarien nachdenken – nämlich wenn es um Anpassung an die Erderwärmung oder auch um Katastrophenschutz geht, denn derzeit sind wir auf gutem Wege in eine 3 bis 4 Grad wärmere Welt.“

Podiumsdiskussion – was ist zu tun?

Die an den Vortrag anschließende Diskussion behandelte sowohl die akuten Gefahren des Klimawandels als auch die notwendigen Maßnahmen dagegen. Einhelliger Tenor aller Diskutanten: „Weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen.“

„Wir haben tonnenweise Evidenz dafür, dass eine Einschränkung von Mobilität und Fleischkonsum sowohl für das Klima als auch für die Gesundheit etwas bringt.  Zum Beispiel kann ein Fünftel weniger Fleischkonsum CO2 um 30 Prozent und das Dickdarm- und Diabetesrisiko um zehn Prozent reduzieren“, erinnert Assoc. Prof. Dr. med. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der MedUni Wien.

Laut dem Experten gebe es dennoch kein einfaches Rezept, die Menschen dafür zu sensibilisieren. Wichtig wäre vor allem, zwei Extreme zu verhindern: Auf der einen Seite Panik und Hysterie, auf der anderen Seite Resignation und Verharmlosung. „Was wir wollen, ist eine vorsichtige handlungsfähige Haltung, und das ist generell schwierig, wenn es um Themen geht, die in der Zukunft liegen. Die Menschen kommen immer erst dann, wenn sie massive Probleme haben, die sie dann aber von heute auf morgen beseitigt haben möchten.“
Darüber hinaus warnt er vor Übersättigung und einem sogenannten „Optimismusbias“ in Österreich. So hatte man vor einigen Jahren noch nichts vom Thema Klimawandel gehört, jetzt würde man mit Information überschwemmt. Unter Optimismusbias versteht der Umweltmediziner die weit verbreitete Haltung „Mich betrifft das eh nicht“. Panik wie Verharmlosung müssen thematisiert werden, und das am besten mitten in der Hitzewelle, wenn die Menschen am eigenen Leib erfahren, dass sie zum Beispiel drei bis vier Nächte nicht schlafen können, weil sich das Klima ändert. Der geschaffenen Awareness müssen jedoch auch Handlungen folgen.

Langfristige Pläne gefordert

Ähnlich sieht das der ehemalige Generalsekretär des Roten Kreuz, Dr. Werner Kerschbaum: „Die akuteste Gefahr ist, dass wir als Gesellschaft in allen Teilsystemen gewarnt und informiert sind, aber hinterherhinken, was die Maßnahmen betrefft, und nicht ausreichend vorbereitet sind.“ Laut einer WHO-Studie aus dem Jahr 2018 hätten von 53 Mitgliedstaaten der europäischen Region nur 18 Gesundheitspläne für Hitzeperioden, und selbst diese hätte enorme Lücken. Es fehlten die langfristige Perspektive und ein funktionierender Überwachungsmechanismus. Schließlich leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in stark hitzegefährdeten Regionen, allein in Österreich hat es 2018 mehr hitzeassoziierte Tote als Verkehrstote gegeben.
Langfristige und kluge Pläne seien laut Hutter auch notwendig, wenn es um die Adaptierung bestehender Gesundheitseinrichtungen geht. Es gäbe zwar Best Practice-Beispiele in Tirol und Oberösterreich, die mit CO2-neutralen klimaregulierenden Einrichtungen nachgerüstet haben. Trotzdem brauche es generalisierte Überlegungen, wie man Einrichtungen dem Klimawandel entsprechend anpasst, so Hutter.
Was in Österreich fehle, sei eine konzertierte Aktion aller Stakeholder. So fordert Kerschbaum eine Zusammenarbeit von Einrichtungen der Wissenschaft, Ministerien, Kindergärten, Schulen, Medien, Bibliotheken etc. „Es gibt zwar am Rande eine interministerielle Gruppe, die sich damit beschäftigt, aber ein Aktionsplan mit einem Projektmanagement, wo Geld investiert wird, der fehlt.“ Vor allem müsse man in Richtung Aufklärung, Sensibilisierung, Kapazitätenausbau und verbesserte Frühwarnsysteme investieren. Die Entwicklungsziele der UNO würden schließlich einen guten Ansatz dafür liefern, man müsse sie nur ernst nehmen. „Die Hand haben wir schließlich gehoben, als über diese abgestimmt wurden“, so  Kerschbaum.

Letztlich sei das Rote Kreuz gut gerüstet und auch Umweltmediziner Hutter bekräftigt, dass Österreich im globalen Vergleich gut aufgestellt sei, um schnell auf akute Gefahren reagieren zu können. Beruhigendes Fazit: Hitzewellen seien vorhersagbar und auch die Auswirkungen beherrschbar.