11. Okt. 2023ÖGPÄRC-Jahrestagung

Neuer Trend: Brustverkleinerung im Alter

Korrekturen von Lid, Nase oder Mundwinkel haben im Alter nicht nur ästhetische Gründe. Ähnliches gilt für Brustverkleinerungen bei über 70-Jährigen – warum, steht im Fokus der Plastischen Chirurgie auf dem ÖGPÄRC-Kongress, genauso wie der Nutzen der peripheren Nervenchirurgie für die „Golden Ager“.

Doctor preparing instruments for plastic surgery in operating room.
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Europa altert. Das durchschnittliche Alter in der EU liegt bei 39,3 Jahren und klettert – je nach Land – bis 2030 auf 42 bis 48 Jahre. Am schnellsten wächst die Gruppe der über 85-Jährigen. In Österreich wird es in 30 Jahren laut Statistik Austria um fast 1 Million mehr 65-Jährige geben: Derzeit sind es 1,8 Millionen (fast ein Fünftel der Bevölkerung), im Jahr 2050 werden es schon 2,74 Millionen von 9,86 Millionen oder knapp 28% sein.

Auch wenn die Bedürfnisse der älteren Generation variieren, gibt es gemeinsame Nenner wie Selbstbestimmtheit, Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Was das für die Plastische Chirurgie bedeutet, war Thema auf der 61. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) vom 5.–7.10.2023 in Salzburg.

Die Chirurgie für Körper und Seele

In der Plastischen Chirurgie gehe es nicht mehr nur um die Seele, auch bei Älteren nicht, erklärt ÖGPÄRC-Tagungspräsident Prim. Assoc.-Prof. Dr. Gottfried Wechselberger, MSc, Leiter der Abteilung für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Salzburg, in seinem Kongress-Vorwort. Als eines der häufigsten Krankheitsbilder im Alter nennt Wechselberger, auch Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Handchirurgie (ÖGH), das Karpaltunnelsyndrom.

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Prim. Assoc.-Prof. Dr. Gottfried Wechselberger, MSc

Dabei können Schmerzen, Taubheit, elektrisierende Missempfindungen oder eine Kombination dieser Symptome in einer oder beiden Händen auftreten – meist nachts.

Karpaltunnelsyndrom: OP bringt Greifkraft zurück

„Unsere Patientinnen und Patienten beschreiben des Öfteren eine vermehrte Ungeschicklichkeit und das Fallenlassen von Gegenständen durch eine verringerte Greifkraft“, schildert Wechselberger. Die periphere Nervenchirurgie ist hier eine wirksame Behandlungsmöglichkeit, wenn die Symptome trotz konservativer Maßnahmen wie das Tragen einer Nachtschiene oder entzündungshemmende Medikamente sistieren.

Die operative Therapie kann in Lokalanästhesie tagesklinisch durchgeführt werden. Durch das Eröffnen des Karpaltunnels komme es zu einer Druckentlastung des Nervs „und es tritt eine rasche Besserung der Schmerzen und des Taubheitsgefühls ein“ – auch bei älteren Menschen. Wechselberger zitiert dazu Studien1,2, wonach die Ergebnisse ähnlich gut wie bei Jüngeren ausfallen können.

Auch aus Salzburg gibt es dazu gute Nachrichten: „Eine Studie an unserer Abteilung mit jährlich 300 Karpaltunneloperationen, bei welchen 43% über 70 Jahre alt waren, zeigte, dass das Alter keinen signifikanten Einfluss auf das postoperative Ergebnis hat.“ Allerdings könne die Genesungszeit länger sein, berichtet Wechselberger. Zusätzlich benötigen Ältere möglicherweise eine intensivere Rehabilitationstherapie.

Diabetes: Operative Dekompression des Tibialnervs

Ältere Menschen haben oft Begleiterkrankungen und Einschränkungen, die bei der Entscheidung für eine Operation zu berücksichtigen sind. So kann es Wechselberger zufolge bei Diabetes zu einer Schwellung des Tibialnervs am Sprunggelenk mit konsekutiver Kompression (Tarsaltunnelsyndrom) und damit einhergehenden Schmerzen und Sensibilitätsdefiziten kommen.3

Eine frühzeitige operative Dekompression des Nervs kann ein Funktionsdefizit und das Auftreten von Druckgeschwüren verhindern. Die Lebensqualität verbessert sich, tägliche Aktivitäten können wiederaufgenommen werden. Freilich sei eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Analyse wichtig, um die besten Ergebnisse zu erzielen und mögliche Komplikationen zu minimieren, fasst Wechselberger zusammen.

Ästhetik im Alter trifft Funktionalität

Ästhetik werde im Alter vorrangig unter dem Aspekt der Funktionalität gesehen, hebt ÖGPÄRC-Vorstandsmitglied Univ.-Doz. Dr. Barbara Zink, Fachärztin für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie in Klagenfurt, hervor. Der Wunsch der älteren Menschen nach „Teilnahme am Leben“ erfordere neben der körperlichen Fähigkeit auch eine psychische, plädiert die Chirurgin. Zink kennt zahlreiche Beispiele aus Klinik und Praxis, die die Verbindung zwischen Ästhetik und Funktionalität vor allem bei Älteren veranschaulichen.

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Univ.-Doz. Dr. Barbara Zink

Dazu zählt etwa die Behandlung von aktinischer Keratose oder von Hauttumoren mit neuen Lasersystemen, teilweise kombiniert mit chemotherapeutischen Salben und speziellem LED-Licht. Das betreffe vor allem Männer.

Lidstraffung: Komplimente durch den „offenen Blick“

Plastische Chirurgie trage auch dazu bei, funktionelle Beeinträchtigungen zu korrigieren, betont Zink und bringt als Beispiel die Blepharoplastik: „Das ohnehin bereits alterssichtige Auge bekommt durch den verbesserten Lichteinfall nach der Operation wieder ein größeres Gesichtsfeld und die Komplimente durch den offenen Blick sind Balsam für die Seele der Patientinnen und Patienten.“

Eine Nasenkorrektur wiederum kann die Atmung erleichtern. Auch hängende Mundwinkel – mitunter ein Reservoir für Speichel oder Speisereste – können den Wunsch nach einer ästhetischen Behandlung stärken. In letzter Zeit nehme auch die Zahl der operativen Korrektur von Gesichtsfalten deutlich zu, berichtet Zink.

Sie höre immer wieder von ihren Patientinnen und Patienten, dass ihr körperliches Erscheinungsbild nicht mehr zu ihrer „gefühlten“ Persönlichkeit und Aktivität passe, sie „aber die Ästhetik des aufgespritzten Gesichtes ablehnen“. Vielmehr würden sie gerne ein individuell abgestimmtes Facelift zur Korrektur bevorzugen.

Immer gehe es in erster Linie darum, gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten Erwartungshaltungen und machbare Ziele zu definieren – und nicht um das „Peter-Pan-Szenario, den 60-plus-Jährigen jede Falte wegzuzaubern“, betont Zink. „Wer das möchte, hat schon verloren.“ Seinen eigenen Körper zu pflegen, ihn wertzuschätzen und mit ihm in Einklang zu sein, zähle wohl auch zu den effektivsten Maßnahmen gegen die allseits gefürchtete Altersdepression.

Brustrekonstruktion: Im Alter eher Implantate

Körperliche Integrität kenne keine Altersgrenzen, unterstreicht auch Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller, neuer ÖGPÄRC-Präsident und Vorstand der Abteilung für Plastische Chirurgie an den Wiener Kliniken Ottakring und Landstraße. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass auch über 75-Jährige im Fall einer Brustentfernung wegen eines Tumors den Wunsch nach einer Rekonstruktion haben.

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Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller

Im fortgeschrittenen Lebensalter kämen vermehrt Implantate zum Einsatz, da die Langzeitkomplikationen wie Kapselbildungen nicht so stark ins Gewicht fallen wie der Vorteil der kürzeren OP-Dauer. Wenn jedoch ein starker Wunsch nach Eigengewebe-Rekonstruktion vorhanden sei oder etwa bei schlechter Hautqualität die Indikation bestehe, „haben wir auch schon über 75-Jährigen eine Rekonstruktion mit einem unter dem Mikroskop angeschlossenen Gewebelappen gemacht“.

Brustreduktion lindert Rückenschmerzen

Interessant findet Koller auch den zunehmenden Anteil an über 70-Jährigen, die den Wunsch nach einer Brustverkleinerung haben. „Zumeist handelt es sich hier um Frauen, die oft jahrzehntelang unter übergroßen Brüsten gelitten haben und bei denen die typischen Symptome wie Rückenschmerzen erst im höheren Alter manifest werden“, berichtet Koller.

Manchmal sei es aber auch ein simples jahrzehntelang bestehendes „Informationsdefizit“ über die technischen und organisatorischen Möglichkeiten einer Brustreduktionsplastik. Koller hebt jedoch die Tatsache hervor, dass es auch für die Brustverkleinerung bei medizinischer Indikation keine Altersgrenze gebe – „sofern der Allgemeinzustand der betroffenen Frau eine mehrstündige Narkose zulässt“.

„Healthy Aging“ statt „Anti-Aging“

Die Alterung unserer Gesellschaft stellt nicht nur eine gewaltige Herausforderung für das Gesundheitssystem dar, sondern auch für die medizinische Forschung. Mit dem Alter steige auch das Risiko für verschiedene Krankheiten, weshalb es entscheidend sei, „Wege zu finden, gesund zu altern“, betont ÖGPÄRC-Vorstandsmitglied Univ.-Prof. Dr. Stephan Spendel, stv. Leiter der Abteilung für Plastische Chirurgie, Medizinische Universität – Landeskrankenhaus Graz.

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Univ.-Prof. Dr. Stephan Spendel

Spendel betont, dass dafür der Begriff „Healthy Aging“ präferiert werden soll. Denn dieser richte sich nicht so wie „Anti-Aging“ gegen das Altern an sich. Vielmehr gehe es darum, den Alterungsprozess zu verlangsamen und die Gesundheit sowie Lebensqualität im Alter zu erhalten. Die medizinische Forschung habe in den letzten Jahrzehnten „bedeutende Fortschritte im Bereich regenerativer Technologien“ gemacht.

„Induzierte Autoregeneration faszinierender Prozess“

Diese Ansätze konzentrieren sich darauf, gezielt in den Alterungsprozess einzugreifen, um die Gesundheit zu verbessern und altersbedingten Krankheiten vorzubeugen. „Die induzierte Autoregeneration ist ein faszinierender Prozess, bei dem die körpereigenen Selbstheilungskräfte zur Regeneration von beschädigtem Gewebe und Organen stimuliert werden“, sagt Spendel.

Zum Einsatz kommen verschiedene Methoden wie Stammzelltherapie und 4D-Druck. Die Stammzelltherapie könnte zukünftig „bahnbrechende Fortschritte in der Behandlung von Verletzungen und degenerativen Erkrankungen“ ermöglichen, gibt Spendel, der auch Vorstandsmitglied der European Society of Plastic, Reconstructive and Aesthetic Surgery (ESPRAS) ist, einen Ausblick.

Regenerative Technologien würden Hoffnung auf eine Zukunft geben, in der Menschen länger in guter Gesundheit leben können. Weitere Forschung und klinische Studien seien erforderlich, resümiert Spendel, aber die Aussichten für das gesunde Altern bezeichnet er dank dieser Innovationen als „vielversprechend“.

Online-Pressegespräch: Was brauchen ältere Patient:innen von der Plastischen Chirurgie? 61. ÖGPÄRC-Jahrestagung, 05.10.2023