16. Sep. 2024Erkennen und erfolgreich therapieren

Burnout-Syndrom: Zu lange im Dauerstress

Für das Burnout-Syndrom gibt es keine einheitliche Definition und es stellt keine eigenständige psychiatrische Diagnose dar. Vielmehr bestehen Überschneidungen insbesondere zu Depression, Angst- und Belastungsstörungen, aber auch zum chronischen Fatigue-Syndrom. Was bedeutet das für den klinischen Alltag?

Frayed rope – tension, stress and risk concept
Foto: Philip/AdobeStock
Dauerhafter Stress im Berufsalltag kann bei prädisponierten Personen zum Burnout-Syndrom führen.

Mangels einer einheitlichen Definition und einheitlicher Messinstrumente fehlen belastbare Zahlen zur Häufigkeit des Burnout-Syndroms, so Kramuschke et al.* In der aktuell gültigen ICD-10 ist das Burnout-Syndrom als Zusatzdiagnose erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. Mit dem Inkrafttreten der ICD-11 ist Burnout als qualifizierende Diagnose festgehalten. Das Syndrom wurde jedoch nur in eine ergänzende Kategorie eingeordnet und nicht unter dem Kapitel der psychischen Störungen – es stellt daher weiterhin keine eigenständige psychiatrische oder somatische Diagnose dar.

Erschöpfung, Distanziertheit und Leistungsverlust

Burnout entsteht als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich bewältigt wird. Beschrieben ist dieser Zustand durch die Symptomtrias aus

  • Gefühlen der Erschöpfung,
  • einer zunehmenden mentalen Distanz gegenüber der eigenen Arbeit oder Gefühlen von Negativismus oder Zynismus,
  • verminderter Effizienz und reduzierter Leistungsfähigkeit im Beruf

Kritik besteht, weil sich das Burnout-Syndrom ausschließlich auf den beruflichen Kontext bezieht. Überlastungen im Haushalt, bei der Kinderbetreuung oder bei der Pflege von Angehörigen werden nicht berücksichtigt.

Ätiologisch stehen arbeitsbedingte Faktoren im Verdacht, die sich in quantitative und qualitative Einflussgrößen aufteilen lassen. Zu den Ersteren gehören Arbeitsmenge, -geschwindigkeit und -zeit. Zu den Letzteren zählen unter anderem die Komplexität der Arbeit, das Fehlen des eigenen Einflusses auf die Arbeit, unklare Arbeitsaufträge, mangelhafte Führung und fehlende Anerkennung. Individuelle Eigenschaften wie ein hohes Selbstwertgefühl, Optimismus und Resilienz können vor einem Burnout schützen. Andere Charakterzüge erhöhen das Risiko, etwa Neurotizismus oder eine externe Kontrollüberzeugung.

Beim Vorliegen eines Burnout-Syndroms können zahlreiche weitere Symptome vorhanden sein, die sich mit anderen psychischen Störungen überschneiden. In einer bevölkerungsrepräsentativen Studie zeigte sich, dass 71% der an Burnout Erkrankten auch an einer psychischen Störung litten, wobei

  • 59% eine Angststörung,
  • 57% eine affektive Störung,
  • 27% eine somatoforme Störung

aufwiesen. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung stellt Kramuschke et al. zufolge eine Herausforderung dar, da symptomatische Überschneidungen insbesondere mit depressiven Störungen, akuten Belastungsreaktionen, posttraumatischer Belastungsstörung und Dyssomnien bestehen.

Auch mit myalgischer Enzephalomyelitis und dem chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) gibt es in Form des Kardinalsymptoms der Erschöpfung eine Überlappung, so die Forschenden, wobei ME/CFS aber als somatische Erkrankung angesehen wird. Zu somatischen Erkrankungen, die mit einem Burnout assoziiert sein können, gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hypercholesterinämie, Typ-2-Diabetes, Muskel- und Skeletterkrankungen, Kopfschmerzen und gastrointestinale Probleme.

Klinisch relevante Messinstrumente zur Erfassung einer Burnout-Symptomatik

Als wertvolle Messinstrumente heben die Kramuschke et al. das Maslach Burnout Inventory (MBI) und die Burnout-Screening-Skalen (BOSS) I–III hervor. Bei anderen, ursprünglich englischsprachigen Instrumenten fehlt die deutsche Validierung. Eine weitere Möglichkeit zur Diagnostik bieten Messinstrumente, die verwandte Problematiken wie etwa arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) evaluieren. Darüber hinaus existieren Burnout-Messinstrumente für spezielle Berufsgruppen wie Beschäftigte in medizinischen und sozialen Berufen oder Lehrer. Einen Goldstandard, um ein Burnout-Syndrom exakt zu erfassen, gibt es aber nicht.

Pharmakotherapie: keine gesicherten Empfehlungen

Die Intervention sollte daher zum einen darauf abzielen, die Verhältnisse bei der Arbeit zu verbessern, also etwa die Arbeitsanforderungen anzupassen (Verhältnisprävention). Dafür bedarf es typischerweise Gespräche mit der Arbeitgeberin bzw. dem Arbeitgeber. Zum anderen geht es darum, die Symptome zu lindern. Hier sind vor allem Psychoedukation, kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden und Stressregulationstechniken zu nennen. Sinnvoll ist meist eine begleitete, stufenweise Wiedereingliederung in die Arbeit.

Da die Gefahr besteht, dass die Wirkung der Intervention mit der Zeit nachlässt und sich alte Muster wieder einschleichen, empfehlen die Autoren in größeren zeitlichen Abständen „Booster-Sessions". Gesicherte Empfehlungen zur pharmakologischen Behandlung des Burnout-Syndroms existieren nicht.

Mit Selbstfürsorge lässt sich die familiäre Resilienz stärken

Gechillte Eltern, relaxte Kids

Bei einer Befragung von mehr als 700 US-amerikanischen Müttern und Vätern gab mehr als jede und jeder Zweite an, unter dem Gefühl des Ausgebranntseins zu leiden. Das hat mit einer überzogenen Erwartungshaltung sich selbst gegenüber zu tun, erklären die Studienautoren: Die Eltern wollen viel Zeit mit ihren Kindern verbringen, gleichzeitig aber auch die Partnerschaft lebendig und das Haus sauber halten. Durch ständiges Bewerten und Vergleichen mit Menschen und Familien in ihrem Umfeld und dem, was sie über die sozialen Medien erreicht, empfinden die Väter und Mütter zudem einen großen Druck von außen.

Mit ihrem Perfektionismus gefährden Eltern allerdings nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch das Wohl der Kinder. Eine stärker empfundene Belastung und ein harter Erziehungsstil gingen laut den Studienergebnissen nämlich mit mehr psychischen Problemen bei den Kindern einher. Andershe­rum galt: Je weniger geplante Aktivitäten in den Familien stattfanden und je mehr freie Spielzeit die Eltern mit ihrem Nachwuchs verbrachten, desto seltener traten Ängste, Depressionen oder ADHS auf.

Die Autoren empfehlen, sich vom Ideal der perfekten Eltern zu verabschieden – denn die gebe es nicht. Wenn Mütter und Väter mehr auf sich selbst achteten und einen positiven Erziehungsstil pflegten, würde davon die Familie als Ganzes profitieren

Sabine Mattes

Pressemitteilung – Ohio State University

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune