20. März 2024Welt-Down-Syndrom-Tag 2024

Viel Potenzial bei Down-Syndrom ungenutzt

In Vorarlberg eine Modenschau, in Kärnten eine Lesung, in Wien ein WEGA-Flug: Am 21.3., dem Welt-Down-Syndrom-Tag, stehen Menschen mit Trisomie 21 im Mittelpunkt. Doch bei der Inklusion in Schule und Arbeitswelt hat Österreich Defizite, drängt die Diakonie auf Maßnahmen, um ungenutzte Talente zu heben.

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In der Behindertenrechtskonvention, Artikel 27, ist es verbrieft: Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit. Jedoch würden Menschen mit Behinderungen immer noch „Vorurteilen“ begegnen, was ihre beruflichen Fähigkeiten angehe, konstatiert Dr. Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, in einer Aussendung zum Welt-Down-Syndrom-Tag (WDSD).

Dieser wird seit 2005 – passend zum 3-fachen Chromosom bei Trisomie 21 – alljährlich am 21.3. gefeiert, mit zahlreichen Aktionen auch in Österreich. So haben etwa 3 Maturantinnen der HTL Textil Dornbirn Kleidung für Menschen mit Down-Syndrom angefertigt – inklusive Fashionshow. In Kärnten verfasste die Elterninitiative für Kinder mit Trisomie 21 eine eigene Geschichte, illustriert von Volksschulkindern, zum WDSD und Österreichischen Vorlesetag, der ebenfalls am 21. März stattfindet.

„Geh davon aus, dass ich es kann!“

In Wien fliegen Spiderman & Co mit dem Polizeihubschrauber als „Superhelden“ der Sondereinheit WEGA in die Klinik Landstraße, speziell für alle Kinder und Jugendlichen der Down-Syndrom Ambulanz. Auf dem Stephansplatz gibt es wieder eine Tanzperformance, ebenso in der SCS. Auch in anderen Bundesländern hat man sich einiges überlegt. Alle Aktivitäten finden sich auf der Homepage des Vereins „Down-Syndrom Österreich“, samt Video Assume that I can (Geh davon aus, dass ich es kann!).

Diese Aktionen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Österreich Defizite bei der alltäglichen Inklusion in Schule und auf dem Arbeitsmarkt gibt. Neben den eingangs erwähnten Vorurteilen fehle es an Unterstützungsleistungen für die berufliche Teilhabe je nach persönlichen Stärken, betont Diakonie-Direktorin Moser: „So bleibt das Potenzial von Menschen mit Behinderungen ungenutzt – eine Verschwendung, nicht zuletzt in Zeiten steigenden Personalmangels.“

Fähigkeiten nicht zu fördern, sei „Verschwendung“

Die Sozialethikerin erkennt zwar an, dass die Regierung zuletzt Förderungen angekündigt hat, wie etwa einen erleichterten Zugang von Menschen mit Behinderungen zum regulären Arbeitsmarkt samt angemessener Bezahlung. Das sei ein „guter erster Schritt“, aber es bräuchte erstens ein inklusives Schulsystem vom Kindergarten bis zur Hochschule und zweitens einen „wirklich inklusiven Arbeitsmarkt“.

Darunter versteht Moser einen Arbeitsmarkt, auf dem Menschen mit Behinderungen ihre Arbeit frei wählen können und durch eine Beschäftigung mit Sozialversicherung ihr eigenes Geld verdienen. „Von diesem Ziel ist Österreich noch immer weit entfernt“, unterstreicht sie und nennt 4 Schritte, wie das geändert werden könnte:

  1. Assistenz in Schule und Beruf: Das bedeute, bei der Arbeit eine Person zur Seite zu haben, die bei Tätigkeiten begleitet und unterstützt und im individuellen Fall auch Pflegetätigkeiten durchführt. Menschen ohne Lautsprache bzw. mit Lernschwierigkeiten bräuchten einen Zugang zu assistierenden Technologien und technische Unterstützung für die Kommunikation. Dies gelte vom Kindergarten an, entlang von Schule, Ausbildung und auch im Beruf.
  2. Paradigmenwechsel bei der „Arbeitsfähigkeit“: Rund um ihren 25. Geburtstag würden Menschen mit Behinderungen medizinisch untersucht und als „arbeitsfähig“ oder „arbeitsunfähig“ eingestuft, kritisiert die Diakonie. Dabei orientiere man sich nur an medizinischen Kriterien, Behinderung werde als Defizit gesehen. Hier brauche es einen Paradigmenwechsel gemäß UN-Behindertenrechtskonvention: Demnach stehen nicht Defizite, sondern die Fähigkeiten von Personen im Mittelpunkt sowie die Beseitigung von Barrieren in der Umwelt. Bei passender Unterstützung/Assistenz, so Moser, „wird jede und jeder in ihrem Maß ‚arbeitsfähig‘ sein, und darum muss es gehen“.
  3. Durchlässigkeit am Arbeitsmarkt und faire Entlohnung: Bisher sei es so, dass bei Scheitern eines Arbeitsaufnahme-Versuchs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Rückkehr in Werkstätten erschwert ist. Daher sei für die Inklusion „eine unserer wichtigsten Forderungen, den Arbeitsmarkt durchlässig zu gestalten“. Die Rückkehr in Werkstätten sollte im notwendigen Fall gesichert sein. So könnten Menschen nach ihren Fähigkeiten zwischen unterstützten Formen der Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln.
    Außerdem: „Menschen mit Behinderungen sollen – egal, ob sie am regulären oder am geschützten Arbeitsmarkt tätig sind – fair entlohnt werden.“ Gleichzeitig dürfen sie ihre für Assistenz und eventuelle Pflegeleistungen dringend benötigten Sozial- und Gesundheitsleistungen nicht verlieren. Die Diakonie fordert deshalb eine Kombination aus Lohn und Sozialleistungen. Die Finanzierung der Unterstützungsleistungen soll aus einem „Inklusionsfonds“ erfolgen.
  4. Inklusive Bildung ausbauen: Derzeit hinke Österreich hier hinterher: Kinder mit Behinderungen gingen oft nicht oder erst im letzten Kindergartenjahr in den Kindergarten, da es an Plätzen fehle. Danach würden sie häufig in Sonderschulen unterrichtet – mangels Assistenz und ausreichender Ausstattung in Regelschulen. Nach der Pflichtschule gebe es keine Möglichkeit mehr, in einem inklusiven Setting zu lernen, weil der Lehrplan für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) zu früh ende und die gesetzlichen Grundlagen fehlen würden.

Inklusive Bildung „gut für alle“

„Wir fordern daher ein inklusives Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Hochschule“, wiederholt Moser abschließend, „weil wir wissen, dass inklusive Bildung gut ist für alle und dass diese auch zu besseren Chancen am Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen führt.“

Dass Inklusion allen hilft, betont auch der ORF und verweist u.a. auf die Inklusive Lehrredaktion. Dabei handle es sich um ein Berufsvorbereitungsprogramm des Fonds Soziales Wien, in dem derzeit sechs Menschen mit Lernbehinderung tätig sind. Gemeinsam mit ORF.at verfassen sie täglich Nachrichten in „Einfacher Sprache“ – die nicht nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten hilfreich sind (siehe Kasten).

ORF-Schwerpunkt zum Welt-Down-Syndrom-Tag

Auch der ORF setzt einen umfangreichen Themenschwerpunkt zum Welt-Down-Syndrom-Tag rund um den 21. März. In ORF 1, ORF 2 und ORF III wird der Alltag von Menschen mit Down-Syndrom gezeigt, ihre Potenziale und die Hürden, mit denen sie nach wie vor konfrontiert sind. Darunter z.B. ein Porträt über die Wienerin Fiona, die eine Lehre im Restaurant Plachutta absolviert, ein Beitrag über Severin und seinen Einzug in eine Wohngemeinschaft oder eine Sendung, in der Koch Simon, ein Vertreter der Down-Syndrom-Community, live im Studio kocht. Außerdem gibt es einen Beitrag zum inklusiven Literaturpreis „Ohrenschmaus“, bei dem Texte von Autorinnen und Autoren mit Lernbehinderung und Lernschwierigkeiten ausgezeichnet werden, Jurymitglied ist u.a. Schriftsteller Arno Geiger. Zudem wird über Nachrichten in „Einfacher Sprache“ informiert, u.a. in den neun Regionalradios. Dieses Angebot helfe nicht nur Menschen mit Lernbehinderungen, sondern auch vielen älteren Menschen oder Menschen mit geringen Deutschkenntnissen.

Die gesamte Presseaussendung des ORFkönnen Sie hier nachlesen.