13. Nov. 2025Neurodegenerative Erkrankungen

Schlafstörungen als Frühwarnsignal für Demenz und Parkinson

Schlafstörungen zählen zu den häufigsten Begleiterscheinungen neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer. Immer deutlicher wird, dass gestörter Schlaf nicht nur ein Symptom ist, sondern auch die Entstehung und den Verlauf dieser Krankheiten beeinflusst. Das eröffnet neue diagnostische und therapeutische Ansätze.

Schlafstörung als Frühsignal
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„Schlaf ist kein Luxus, sondern erfüllt zentrale Funktionen“, sagt Dr. Simon Schreiner, Leiter der Abteilung für Schlafmedizin am Universitätsspital Zürich. Dazu gehören die Gedächtniskonsolidierung und die Regeneration von Nervenzellen. „Der Tiefschlaf stellt außerdem wahrscheinlich eine Pause für die Nervenzellen dar, in der weniger Abfallstoffe wie Beta-Amyloid entstehen“, erklärt der Referent.

Schlafarchitektur und Alterung

Schlaf gliedert sich in wiederkehrende Phasen, darunter der Tiefschlaf, der sich im EEG durch langsame, große Wellen („Slow Waves“) zeigt. Er bildet sich in drei Stadien aus, bei denen die Hirnwellen zunehmend tiefer werden – bis zum Stadium 3, dem Slow-Wave-Schlaf.

Schlaf gliedert sich in wiederkehrende Phasen, darunter der Tiefschlaf, der sich im EEG durch langsame, große Wellen („Slow Waves“) zeigt. In dieser Phase ähnelt das EEG dem Wachzustand, weshalb man sie „paradoxer Schlaf“ nennt. Er ist gekennzeichnet durch besonders lebhafte Träume, und geht mit einer physiologischen Muskelerschlaffung einher.

Bei jungen, gesunden Menschen dominiert in der ersten Nachthälfte der Tiefschlaf, während in den frühen Morgenstunden der REM-Schlaf überwiegt. Mit zunehmendem Alter nimmt der Tiefschlaf ab. Zusätzlich wird die Schlafarchitektur fragmentierter, und die Wachphasen nehmen zu, wie Dr. Schreiner berichtet.

„Noch bevor die Quantität des Tiefschlafs abnimmt, verändert sich die Qualität der Slow Waves“, so Dr. Schreiner. Diese Veränderungen beginnen bereits im mittleren Lebensalter und könnten die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen fördern.

„Schlaf-Wach-Störungen sind bei neurodegenerativen Erkrankungen kein Nebenbefund, sondern Kernmerkmale“, so Schreiner. Sie entstehen, weil schlafregulierende Hirnregionen wie der Hirnstamm und der Hypothalamus früh von den Krankheitsprozessen betroffen sind.

Oft zeigen sich subtile Schlafveränderungen, bevor andere Symptome auftreten. Ein Beispiel ist die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD), die ab dem 50. Lebensjahr häufiger wird. Dabei agieren Betroffene im Schlaf mit teils heftigen und gefährlichen Bewegungen ihre Träume aus. Typisch sind Trauminhalte mit Gefahrensituationen oder Kämpfen.

Bei Synucleinopathien wie beim Morbus Parkinson oder der Lewy-Body-Demenz hat die RBD den Stellenwert eines Prodromalzeichens. So ist beim M. Parkinson der Schlaf oft schon lange gestört, bevor motorische Symptome beginnen. Hintergrund ist der aszendierende Krankheitsprozess, der vom Hirnstamm ausgeht, wo auch der REM-Schlaf reguliert wird – darunter die Muskelentspannung während dieser Schlafphase.

Studien zeigen, dass fast alle Menschen mit isolierter RBD innerhalb von 14 Jahren eine neurodegenerative Erkrankung entwickeln. Dr. Schreiner empfiehlt bei Verdacht eine Abklärung mittels Video-Polysomnografie.

Schwere Schlafstörung durch Degenerationen im Hypothalamus

Auch der Hypothalamus spielt eine Schlüsselrolle in der Schlaf-Wach-Regulation. Ein Verlust von Neuronen in dieser Region führt zu erhöhter Schlaffragmentation, die bei neurodegenerativen Erkrankungen deutlich ausgeprägter ist als beim normalen Altern. Besonders deutlich zeigt sich das bei der progressiven supranukleären Blickparese (PSP), die durch therapierefraktären Parkinsonismus, kognitiven Abbau und eine ausgeprägte Insomnie mit Verlust des „Sleep Drive“ gekennzeichnet ist.

Beim Alzheimer spiegelt der Schlaf die Pathologie

Und auch bei der Alzheimer-Demenz treten Schlafveränderungen schon früh auf. Sie sind ein Kennzeichen der typischen Prodromalphase des mild cognitive impairment (MCI).

Die Schlafstörungen sind auch beim M. Alzheimer eng mit den pathologischen Prozessen der Erkrankung verknüpft. „Der Schlaf verhält sich fast wie ein Spiegel der primären Veränderungen“, betont der Experte. Typisch ist ein progredienter Verlust des Tiefschlafs bei gleichzeitiger Zunahme von Leichtschlaf und Fragmentierung. Diese Veränderungen korrelieren mit der Zunahme von Amyloid- und Tau-Ablagerungen.

Eine zentrale Rolle spielt das glymphatische System, das im Tiefschlaf Abfallstoffe wie Amyloid effizient aus dem Gehirn entfernt. Fehlen die Slow Waves, funktioniert diese nächtliche Reinigung nicht mehr, und die Proteinablagerungen nehmen zu. Der Zusammenhang ist wechselseitig: Schlafmangel und fragmentierter Schlaf fördern die Amyloid-Ablagerung, während Tiefschlaf deren Bildung hemmt.

Biomarker und therapeutische Ansätze

Damit rückt der Schlaf ins Zentrum der Forschung, etwa als früher Biomarker. Dr. Schreiners Team konnte zeigen, dass die Analyse der Schlafarchitektur zwischen verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen mit hoher Genauigkeit unterscheiden kann. Besonders wertvoll wäre das bei Nicht-Alzheimer-neurodegenerativen Erkrankungen, wo es kaum Blut- oder Liquor-Biomarker gibt. Ein digitales Tool soll künftig helfen, anhand von Polysomnografie-Daten Hinweise auf die zugrundeliegende Erkrankung zu geben.

Auch therapeutisch bietet Schlaf neue Ansätze. Pharmakologisch könnten etwa duale Orexin-Antagonisten helfen. Der Botenstoff Orexin fördert Wachheit und ist bei Alzheimer-Patienten oft überaktiv. Zudem korrelieren bei den Betroffenen die Spiegel mit der Schlaffragmentierung und dem Ausmaß der Neurodegeneration. Seine Hemmung verbessert den Schlaf und senkt die Amyloid-Beta-Spiegel im Liquor.

Nicht-pharmakologisch zeigt die akustische Tiefschlaf-Stimulation vielversprechende Ergebnisse. Erste Studien belegen, dass Geräte wie das an der ETH Zürich entwickelte „Sleep Loop“ die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Patienten verbessern und die Amyloid-Beta-Spiegel senken. Auch Parkinson-Patienten berichten von besserer Schlafqualität und gesteigerter Tageswachheit durch diese Methode.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum neuropsy