Das „Sportparadox“: Wenn Sport für das Herz zum Risiko wird
Sportler gelten als fit und gesund. Tatsächlich gehört regelmäßige Bewegung zu den besten Mitteln, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Doch intensives Training birgt Risiken: Es kann Vorhofflimmern auslösen und das Risiko für plötzlichen Herztod erhöhen. Zudem fördert es nachweislich atherosklerotische Veränderungen. Über dieses sogenannte Sportparadox sprach Prof. Dr. Christian Marc Schmied beim Kardiologie Review Kurs 2025.

Studien zeigen: Regelmäßige Bewegung senkt die Sterblichkeit deutlich – unabhängig davon, ob andere Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen vollständig kontrolliert sind. "Es ist tatsächlich so: Je mehr, regelmäßiger und intensiver die Bewegung, desto größer der Benefit", erklärte Prof. Schmied vom HerzGefäßZentrum im Park, Hirslanden, Zürich. "Aber es reicht schon aus, sich für 30 Minuten pro Tag zu bewegen."
Wann Sport dem Herz schadet
Sport bringt klare gesundheitliche Vorteile. Doch es gibt immer mehr Hinweise, dass übermäßige Belastung auch schaden kann. Wie viel Sport ist gesund? Und wann wird er gefährlich? "Das ist schwer zu sagen", meinte Schmied. "Die Grenze ist sehr individuell und verschiedene Risikofaktoren spielen eine Rolle. Aber: Es gibt diesen Umkehrpunkt. Ab einer gewissen individuellen Schwelle überwiegen die negativen Effekte."
Der Kardiologe stellte eine Studie vor, die Athleten des Race Across America untersuchte, um die negativen Auswirkungen von exzessiver Ausdauerbelastung festzustellen. Sie zeigte, dass bei Teilnehmern mit subklinischer Koronarsklerose die Atherosklerose durch die extreme Belastung und den psychischen Stress des Rennens deutlich zunahm, wie der Referent anhand der Befunde im Koronar-CT erläuterte. "Grund dafür war allein die extreme körperliche Aktivität und der psychische Stress im Rennen." Aber die positive Nachricht: Bei denjenigen Athleten, die noch keine Anzeichen einer koronaren Herzkrankheit (KHK) aufwiesen, entwickelte sich auch keine Atherosklerose. "Das bedeutet, extremer Ausdauersport alleine verursacht keine KHK. Es müssen zusätzliche Triggerfaktoren vorhanden sein", so der Experte.
Athleten weisen stabilere Koronarplaques auf
Untersuchungen an sogenannten Master-Athleten, die über Jahrzehnte intensiven Ausdauersport betreiben, sorgten für Überraschung. "Diese Studien brachten die Sport-Kardiologie-Welt ins Wanken", berichtete Schmied. Sie zeigten, dass Master-Athleten mehr koronare Plaques aufwiesen als inaktive Personen. "Damit hatten wir nicht gerechnet: Die Athleten hatten die Atherosklerose, nicht die Couchpotatoes", so der Experte. Doch es gab eine gute Nachricht: Die Plaques der Athleten waren eher verkalkt und damit stabiler als bei der Kontrollgruppe.
Eine Studie aus den Benelux-Ländern verglich Athleten, die lange Ausdauersport betrieben, mit solchen, die erst begonnen hatten. Das Ergebnis: Beide Gruppen zeigten eine erhöhte Prävalenz von Koronarplaques, vor allem verkalkte, aber auch gemischte und nicht-kalzifizierte Läsionen.
Chronischer Stress – auch im Sport – kann über eine immunvermittelte Entzündungsreaktion Atherosklerose fördern. "Das Zytokinprofil ist bei intensivem Sport relativ ähnlich wie bei einer Sepsis", erklärte Schmied.
Physischer und psychischer Stress als Kofaktoren
Sport fordert nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. "Die Verbindung von hohem physischem und psychischem Stress scheint wirklich eine bedeutende Rolle zu spielen", so der Referent. "Bei Marathonläufen sind Todesfälle z. B. insgesamt sehr selten. Aber wenn etwas passiert, dann auffallend häufig auf den letzten zehn Kilometern – genau zu dem Zeitpunkt, wenn Erschöpfung und psychische Anspannung maximal sind."
Retrospektive Studien an jungen Soldaten aus dem Korea- und Vietnamkrieg zeigten, dass selbst bei 17- bis 19-Jährigen eine auffällig hohe Prävalenz von teilweise massiv sklerosierten Koronarien bestand. Diese Ergebnisse stützen die These, dass hoher physischer und psychischer Stress Atherosklerose begünstigt.
Sport trotz atherosklerotischer Veränderungen
Was tun, wenn Sportler bereits atherosklerotische Veränderungen haben? "Trotz der genannten Risiken ist ein genereller Sportverzicht bei KHK keineswegs angezeigt", betonte der Referent. Die Gefahr, dass Sport allein Plaquerupturen auslöst, ist gering – meist sind weitere Kofaktoren nötig.
Stattdessen sollte die Plaquestabilisierung im Vordergrund stehen, LDL-Zielwert-orientierte Lipidsenkung mit Statinen. "Regelmäßiger Sport hat selbst auch eine durchaus plaquestabilisierende Wirkung", so der Kardiologe. "Auf Sport zu verzichten, wäre fatal." Wichtig sei, die Bedürfnisse und Wünsche sportlich aktiver Patienten in die Behandlung einzubeziehen.
Doch ist das Risiko für Profisportler zu hoch? "Das Risiko ist natürlich da. Die ‹Shared-Decision›-Strategie ist daher entscheidend", erklärte Schmied. "Es geht darum, gemeinsam mit dem Patienten abzuwägen, zu informieren und dann zu entscheiden – statt aus ärztlicher Vorsicht automatisch zur Sportaufgabe zu raten." Viele Sportler hätten zwar Vorbehalte gegenüber Statinen, doch diese seien unbegründet, denn der plaquestabilisierende Effekt der Statine sei erwiesen.
Fußballer unterschätzen Risiken durch NSAR
Schmied sprach auch über Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel. Neben Anabolika sind vor allem NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika) weit verbreitet. Daten aus der italienischen Fußballliga zeigen, dass über 80 Prozent der Profis am Spieltag NSAR einnehmen. "Das kardiovaskuläres Risiko von NSAR wird dabei oft unterschätzt, insbesondere bei sportlich belastetem Myokard", warnte Schmied.
- Kardiologie Review Kurs Zürich. 20. März 2025