5. Mai 2025Die Gesichter seltener Erkrankungen

MPS: Eine lysosomale Speichererkrankung 

Mukopolysaccharidosen (MPS) sind vererbbare, angeborene und langsam fortschreitende Speichererkrankungen mit sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern. Aufgrund eines genetischen Defekts ist der enzymatische Abbau der Mukopolysaccharide gestört. Die daraus resultierende schädliche Speicherung dieser komplexen Zuckermoleküle kann zu schweren körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen führen.

Balint Velich
Johannes Weigl
Bálint Velich hat mit seinen nun 22 Jahren bereits viele große Herausforderungen gemeistert.

Bálint wurde im Alter von vier Jahren mit einer Mukopolysaccharidose Typ II (Morbus Hunter) diagnostiziert. Seine Mutter hatte auf dem Spielplatz beobachtet, dass Bálint am Klettergerüst nicht einfach hing wie andere Kinder, sondern sich an seinen Armen im 90°-Winkel hielt.

Der Gedanke, dass kein kleines Kind derart kräftig ist, ließ die Mutter nicht los. So fielen ihr im Laufe der Zeit auch weitere Auffälligkeiten bei ihrem Sohn auf. Häufige HNO-Infekte, Bálints Unfähigkeit, die Hände zu Fäusten zu schließen, seine undeutliche Sprache und die markanteren Gesichtszüge führten schließlich dazu, dass sie ihren Kinderarzt um Rat fragte. Dieser sah jedoch keinen Grund zur Sorge, da viele Infekte und Entwicklungsverzögerungen im Kleinkindalter nicht ungewöhnlich sind.

Erst als die Familie zufällig auf einen Vertretungsarzt stieß, der bereits Erfahrung mit MPS-Kindern hatte, wurden weitere Untersuchungen veranlasst. Zunächst wurde Bálint an die Kinderkardiologie in Wiener Neustadt überwiesen. Schließlich kam er an die Kinderendokrinologie des Wiener AKH, wo die Vermutung des Arztes bestätigt wurde.

40 Jahre MPS Austria

Prof. Dr. Dr. Susanne Kircher, Gründungs- und Ehrenmitglied der österreichischen MPS-Gesellschaft, hatte sich bereits in den 1980er Jahren mit lysosomalen Speichererkrankungen beschäftigt. Schon damals hat sie, gemeinsam mit Betroffenen, MPS Austria gegründet. Das war international eine der ersten Gruppen. Zu dieser Zeit holte sie die damals üblichen Urinproben noch selbst in den jeweiligen Kliniken ab. Dabei lernte sie Patientinnen und Patienten kennen. Und so ist auch der Kontakt zu Familie Velich entstanden, der bis heute besteht.

Prof. Kircher erklärt, dass im Laufe der Zeit MPS als eine ganze Gruppe von Erkrankungen identifiziert wurde. Die klinischen Ähnlichkeiten zu vielen anderen Erkrankungen machen eine konkrete Diagnose außerordentlich schwer. Diese ist aber für eine effiziente Behandlung unbedingt notwendig. „Auch Experten haben Mühe, lysosomale Speichererkrankungen auseinanderzuhalten“, so Prof. Kircher weiter, da etliche Symptome bei anderen Speichererkrankungen sehr ähnlich sind.

Die früher üblichen Urinproben sind mittlerweile durch genetische Testungen abgelöst worden, die eine exakte Diagnose ermöglichen. Ein Gentest ist für die korrekte Diagnose essenziell wichtig, um die in manchen Fällen lebensnotwendige richtige Behandlung (Enzymersatztherapie, Stammzelltransplantation) zu ermöglichen oder eine genetische Beratung anbieten zu können.

Wie unterscheiden sich Speichererkrankungen?

Die Divergenz zu anderen Speichererkrankungen liegt in den Speichersubstanzen, die sich unterschiedlich anlagern. „Der Vorgang ist immer ähnlich: Der Abbau ist durch den Enzymmangel gestört, die Speicherung nimmt zu, Symptome verstärken sich, aber die Orte der Speicherung und die Folgen sind unterschiedlich“, erläutert Prof. Kircher.

MPS kommt in unterschiedlichen Formen vor. „Wir unterscheiden heute zehn Typen“, so Prof. Kircher weiter, „wobei wir von 14 verschiedenen fehlenden Enzymen sprechen.“ Eine große Gruppe ist die mit den Speicherformen wie bei Bálint, hier sind beispielsweise Leber, Herz, Milz, Zunge und andere Organe vergrößert.
Dann gibt es die Gruppe der hauptsächlich am Skelett Betroffenen, in diesen Fällen zeigen sich schwere Skelettveränderungen und starker Minderwuchs.
Eine Gruppe, die ein völlig anderes Bild zeigt, sind die neurologisch Betroffenen. Äußerlich beinahe unverändert erreichen sie Meilensteine in der Entwicklung nicht oder verlieren sie wieder und/oder erleben Rückschritte in ihrer Entwicklung.

Bei allen Typen sind unterschiedliche Verläufe, von früh beginnend und schwer bis zu einem späteren Start und abgeschwächt, möglich. Dies hängt von der Restaktivität der Enzyme ab.

Das Leben mit MPS

Bálint hat mit seinen nun 22 Jahren bereits viele große Herausforderungen gemeistert und wirkt im Gespräch wie ein gesunder junger Mann.

Der Weg war nicht leicht, er war immer „anders“, konnte sportlich nicht mithalten, keine Purzelbäume schlagen und durch die fehlenden Feinmotorik auch erst mit 18 Jahren seine Schuhe selbst zubinden. Bis zu seinem 13. Lebensjahr ist er nur auf Zehenspitzen gegangen. Erst als seine Achillessehne operativ verändert wurde, konnte er buchstäblich „den Boden unter den Füßen“ spüren.

Seit seinem vierten Lebensjahr bekommt Bálint wöchentlich eine individuell angepasste Enzymersatztherapie als Infusion im Krankenhaus. Zusätzlich prägen regelmäßige Arztbesuche, wiederkehrende Herzultraschall-Termine, MRT-Untersuchungen, Physiotherapie und viel Sport seinen Alltag. „Die Enzymersatztherapie verbessert das Krankheitsbild, verhindert eine Verschlechterung und funktioniert gut, aber von einem ‚normalen Alltag‘ kann keine Rede sein“, sagt Bálint.

Gemeinsam stark

Seltene Erkrankungen können noch mehr das Gefühl der Hilflosigkeit und Einsamkeit auslösen als andere schwere Erkrankungen, weil einerseits die Erkrankung selbst für medizinische Expertinnen und Experten eine Herausforderung darstellt und es andererseits wenige Menschen gibt, die sich in gleicher oder ähnlicher Situation befinden.

Das Gefühl, nicht alleine zu sein, gibt Bálint und seiner Familie der Selbsthilfeverein MPS Austria. Hier kommen Patienten und Patientinnen mit dieser seltenen Erkrankung seit über 40 Jahren zusammen.

Prof. Kircher berichtet vom ersten Treffen von Interessierten, das bereits 1984 noch unter der damaligen Vorsitzenden, Marion Kraft, stattgefunden hat und damals die einzige Anlaufstelle in Mitteleuropa war. Seit 1999 leitet Michaela Weigl und seit Kurzem ihre Tochter Anna Messenböck die MPS-Gesellschaft. Die Community ist seitdem stark gewachsen und die internationale Vernetzung ist nach wie vor eine wichtige Basis für Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch und Forschung.

Typische MPS-Symptome und erste Anzeichen

  • Ständige Infekte der oberen Luftwege (Mittelohr, Lunge)
  • Relativ großer Kopf, kurzer Hals
  • Grobe Gesichtszüge
  • Nabel- und Leistenbruch
  • Großer Bauch

Mögliche andere Auffälligkeiten

  • Eingeschränkte Beweglichkeit der Gelenke
  • Knochenveränderungen wie X-Beine, Hühnerbrust, Rundrücken oder Klauenhände (kurze verkrümmte Finger)
  • Minderwuchs
  • Entwicklungsverzögerung
  • Vergrößerte Zunge
  • Breite Nase, flache Nasenwurzel
  • Hörstörungen
  • Herzmuskelverdickung und Herzklappenveränderungen
  • Verhaltensauffälliges Kind
  • Durchfälle

Quelle: www.mps-austria.at

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