26. Juni 2024Nicotiana in der Forschung

Fluch und Segen der Tabakpflanze

Die Tabakpflanze kann man auch zu anderen Zwecken nutzen als nur zur Produktion von Zigaretten: zur Herstellung monoklonaler Antikörper.

Tabakpflanzen
Alizeh/AdobeStock

Auf mehr als 3 Millionen Hektar Land weltweit sind Tabak-Anbaufläche. Mit 2,1 Millionen Tonnen – mehr als ein Drittel der weltweiten Gesamtproduktion – ist China der weltgrößte Tabakproduzent. Aus dieser enormen Menge Tabak entstehen laut dem aktuellen „Tobacco Atlas“ über 5 Billionen Zigaretten. Mit fatalen Konsequenzen: Weltweit sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich 7,6 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Was allerdings wenig bekannt ist: Die Tabakpflanze kann man auch sinnvoll nutzen. „Die Tabakpflanze ist in der Biochemie seit Jahrzehnten eine Modellpflanze, mit der neue Verfahren erprobt und die Funktion von Genen erforscht werden kann“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Herta Steinkellner vom Institut für Pflanzenbiotechnologie und Zellbiologie der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU).

Tabak (Nicotiana) ist eine Pflanzengattung aus der Familie der Nachtschattengewächse. Viele der etwa 75 Tabakarten produzieren in ihren Wurzeln die Substanz Nikotin, die sie in den Blättern einlagern. Nikotin ist ein pflanzliches Alkaloid, das je nach Dosierung erregende oder lähmende Wirkungen auf die Ganglien des vegetativen Nervensystems besitzt. Den Tabakpflanzen dient Nikotin zur Abwehr von Fressfeinden. Bei Menschen, die Tabakprodukte konsumieren, führt Nikotin binnen kurzer Zeit zu einer Abhängigkeit. Es bindet im Gehirn an bestimmte Rezeptoren, und sorgt im sogenannten Belohnungssystem für eine Ausschüttung von Dopamin.

Modellpflanze Tabak

Während man zur Herstellung von Tabakwaren die Arten Nicotiana tabacum und Nicotiana rustica verwendet, kommt in der Forschung die Art Nicotiana benthamiana zum Einsatz.

Es sind zwei Eigenschaften, die Tabak für Forschende so interessant machen:

  • Zum einen wachsen Tabakpflanzen sehr schnell und sie fühlen sich auch unter Laborbedingungen wohl.
  • Zum anderen lässt sich das Genom der Tabakpflanze schneller und einfacher verändern als bei anderen Gewächsen.

An der BOKU versuchen Forschende, mithilfe von Tabakpflanzen ein Verfahren zur Herstellung von monoklonalen Antikörpern zu etablieren. Monoklonale Antikörper sind hochkomplexe Proteine, die menschlichen Antikörpern nachgebildet sind. „Die herkömmliche Produktion von monoklonalen Antikörpern ist sehr zeitaufwändig und kostenintensiv“, weiß Steinkellner: „Die Produktion solcher Antikörper mit Tabakpflanzen ist schneller, kostengünstiger und nachhaltiger.“

Dazu bedient sich die Forschung eines natürlichen Bodenbakteriums namens Agrobacterium tumefaciens, das die Fähigkeit hat, DNA in pflanzliche Zellen zu übertragen. Deshalb schleusen die Forscher zunächst jenes Gen, das den gewünschten Antikörper exprimiert, mittels molekularbiologischer Methoden in das Bakterium. „Das Bakterium fungiert wie ein Taxi für das Gen“, beschreibt Steinkellner.

Dann werden die Pflanzen in eine Suspension dieser Bakterien eingetaucht. Die Blätter nehmen die Bakterien auf, die zum Erbgut der Pflanze vordringen und das bewusste Gen einschleusen. In der Folge beginnt die Tabakpflanze, den gewünschten Antikörper zu produzieren. Wird die Pflanze schließlich geerntet, lassen sich die Antikörper herausreinigen. „Auf diese Weise kann aus 1kg Pflanzenmaterial 1ml Suspension mit Antikörpern gewonnen werden“, resümiert die Wiener Biochemikerin.

Auch Antikörper-Engineering

Das Verfahren kam bereits vor 10 Jahren zum Einsatz. Damals stellte man monoklonale Antikörper gegen das Ebola-Virus her, das zu dieser Zeit in Westafrika grassierte. Außerdem ist es später, während der Covid-19-Pandemie, den Wiener Forscherinnen und Forschern gelungen, hochaktive Varianten von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 zu synthetisieren.

„Wir machen auch Antikörper-Engineering“, betont Steinkellner. Das heißt: An der BOKU werden – in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern – die Antikörper auch verändert, um somit deren Wirksamkeit zu steigern.

Doch dass man die Tabakpflanze in erster Linie mit dem Rauchen und den damit verbundenen Problemen assoziiert, ist Steinkellner – und den anderen Forschenden, die mit Tabakpflanzen arbeiten – ein großer Dorn im Auge.

Nikotin raus aus der Tabakpflanze

Die BOKU ist auch an dem EU-Projekt NEWCOTIANA beteiligt, das zum Ziel hat, mithilfe der modernsten molekularbiologischen Methoden der Züchtung neue Tabakarten speziell für die Forschung zu entwickeln. Laut Steinkellner mit dem erklärten Ziel, das Nikotin aus den Tabakpflanzen herauszuzüchten: „Wir wollen mit Nikotin nichts zu tun haben.“