Den Schwindel aufdecken
Schwindel, der durch eine internistische Erkrankung verursacht wird, bedeutet für Betroffene häufig eine eingeschränkte Prognose. Deshalb muss in diese Richtung besonders sorgfältig ermittelt werden.
Schwindel internistischer Genese kann durch jegliche Störung der zerebralen Perfusion entstehen, z.B. durch Blutdruckentgleisungen, oder durch Erkrankungen, die sich systemisch auswirken. Einige Schwindelformen und (Prä-)Synkopen beruhen auf Reflexmechanismen, die zu einer Abnahme des Herzzeitvolumens führen. Prodromi wie Blässe und Schweißausbruch gehen manchmal voraus, schreiben Mahdi Emrani und PD Dr. Andreas Napp von der Medizinischen Klinik I am Universitätsklinikum Aachen. Man unterscheidet dabei vasovagale von situativen Synkopen. Vasovagale werden orthostatisch oder durch emotionale Reize wie Angst und Schmerz verursacht, sie betreffen meist jüngere Menschen – häufiger Frauen – ohne Komorbiditäten. Typische Auslöser situativer Synkopen sind Defäkation, Miktion, Husten oder Niesen.
Zu den reflektorischen Schwindelformen zählt auch das hypersensitive Karotissinussyndrom, das im höheren Alter gehäuft auftritt. Bei Menschen unter 40 Jahren gilt es als Rarität. Überempfindliche Barorezeptoren im Bereich der Karotisgabel triggern nach leichtem Druck auf die Halsgegend, z.B. beim Rasieren oder Kopfdrehen, einen überschießenden Karotissinusreflex. Dieses führt dann über eine Bradykardie/Asystolie, primäre Hypotension oder beides zur Mangeldurchblutung des Gehirns.
Beim orthostatischen Schwindel ist der Mechanismus der kompensatorischen Vasokonstriktion nach dem Aufrichten aus dem Liegen gestört. Die zugrunde liegende orthostatische Hypotonie liegt definitionsgemäß vor, wenn der systolische Blutdruck innerhalb von 3 Minuten nach dem Aufstehen um mehr als 20mmHg und/oder der diastolische um mehr als 10mmHg abfällt oder der systolische innerhalb dieser Zeit absolut unter 90mmHg sinkt.
Diese Schwindelform beobachtet man vor allem bei älteren und multimorbiden Patientinnen und Patienten. Sie kann neurogen (u.a. durch Morbus Parkinson und diabetesbedingte autonome Neuropathie) oder nicht-neurogen (z.B. durch Volumenverlust, Medikamente) verursacht sein.
Bei kardialer Synkope fehlen Prodromi oder sie sind kurz
Kardialer Schwindel kann entstehen, wenn Herzerkrankungen durch Abfall der Herzfrequenz und/oder des Schlagvolumens die zerebrale Perfusion einschränken. Typisch für die kardiale Synkope ist, dass sie ohne oder nur mit weniger als 10 Sekunden anhaltenden Prodromi auftritt. Außerdem verlieren die Betroffenen kurzzeitig sämtliche Schutzmechanismen – mit entsprechendem Verletzungsrisiko. Synkopen im Liegen oder unter Belastung lassen eine kardiale Genese vermuten. Sie zu ermitteln, kann entscheidend für die Prognose sein, warnen die Autorinnen und Autoren.
Häufiger Auslöser für diese Art von Schwindel sind bradykardisierende Herzrhythmusstörungen. AV-Knotenerkrankungen gehen dabei mit einer schlechteren Prognose einher als das Sick-Sinus-Syndrom. Tachykardien, z.B. supraventrikuläre, können ebenfalls zu Schwindel und kurz anhaltendem Bewusstseinsverlust führen.
Wenn Synkopen wiederholt anfallsweise auftreten und eine strukturelle Herzerkrankung vorliegt, muss man an maligne ventrikuläre Tachykardien denken. Die Symptome von tachykarden Arrhythmien beginnen und enden in der Regel plötzlich. Strukturelle Herzerkrankungen können auch durch Abnahme des Herzzeitvolumens Schwindel verursachen. Belastungsinduziert tritt er vor allem auf, wenn eine Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts besteht. Häufigste Ursache dafür: eine Aortenstenose. Eine hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie kommt ebenfalls in Betracht. Eine zerebrale Minderperfusion mit Schwindel kann zudem auf Stenosen hirnversorgender Gefäße hinweisen.
Viele Arzneimittel können Auslöser für Schwindel sein
Metabolische Entgleisungen wie Hyper-/Hypoglykämie, Azidosen oder Elektrolytstörungen wie Hyponatriämie zählen zu weiteren Schwindelauslösern. Und nicht selten wird man im Medikamentenplan fündig. Viele Arzneimittel können Schwindel verursachen, z.B. Vasoaktiva, Diuretika, Betablocker, Antiarrhythmika oder Antipsychotika.
Eine detaillierte Schwindel- und generelle Krankheits- und Familienanamnese, körperliche Untersuchung und ein EKG lenken bei jedem bzw. jeder zweiten Betroffenen den Verdacht bereits in die richtige Richtung. Zum Basislabor gehören Blutbild, Elektrolyte, Leber-, Nieren- und Schilddrüsenwerte, Glukose, Infektparameter und eine Blutgasanalyse.
Besteht der Verdacht eines rhythmogenen Geschehens, hilft ein Langzeit-EKG oder bei sehr seltenen Ereignissen ein Eventrekorder weiter. Diagnostisch entscheidend ist der Nachweis einer Koinzidenz von Symptomen und typischen EKG-Veränderungen.
Die Langzeit-Blutdruckmessung kann Hinweise auf eine Orthostase geben. Durch einen Schellong-Test, besser noch eine Kipptischuntersuchung, lässt sich die Orthostasereaktion nachweisen.
Schwindel im Alter
Die Diagnostik bei sehr alten Patientinnen und Patienten gestaltet sich oft schwierig. In vielen Fällen liegen Erkrankungen des propriozeptiven und visuellen Systems in Kombination mit einem altersbedingt gestörten Gleichgewichtsorgan vor. Dazu kommen kardiovaskuläre und/oder metabolische Komorbiditäten, z.B. ein Typ-2-Diabetes. All das macht eine umfassende Diagnostik erforderlich. Kennzeichnend für den multimodalen Alterungsschwindel sind der schleichende Beginn und die ungerichtete Fallneigung. Durch eine begleitende Osteoporose oder Therapie mit Antikoagulanzien haben Stürze oft schwere Folgen. Da sich medikamentöse Therapien oft nicht umstellen und manche Begleiterkrankungen schwer behandeln lassen, hat die Sturzprävention größte Bedeutung.
Im Zweifel Elektrodenkatheter zum Tachykardie-Ausschluss
Insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie und unklaren Synkopen sollte eine elektrophysiologische Untersuchung erwogen werden, um eventuelle ventrikuläre Tachykardien zu identifizieren. Bei jedem Verdacht auf kardialen Schwindel raten die Autoren zur Echokardiografie, bei einem belastungsabhängigen unklaren Schwindel erscheint eine Ergometrie sinnvoll.
Emrani M, Napp A, Dtsch Med Wochenschr 2023; doi: 10.1055/ a-1928-6142
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