Kassen-, Wahl- oder doch Wohnsitzarzt?
Im ersten Teil der Serie wird erklärt, was überhaupt unter den verschiedenen Begriffen, die niedergelassene Ärzt:innen beschreiben, verstanden wird.
Gedanken zu Beginn
Die nächsten Monate werde ich Ihnen Werkzeuge in die Hand geben, um den Weg in die ärztliche Selbständigkeit gut zu planen und möglichst wenig Fehler zu begehen. Dazu ist es zunächst nötig, die Rahmenbedingungen zu kennen. Ich war in meinem Berufsleben mehr als 20 Jahre als Spitalsarzt beschäftigt, war fast 20 Jahre als Wahlarzt tätig und arbeite nun seit sieben Jahren in einer Gruppenpraxis mit allen Kassenverträgen.
Jede Form der ärztlichen Tätigkeit hat mir Freude bereitet. Die Arbeit in der Ordination bietet jedoch die meiste Befriedigung, da Patient:innen sich bewusst für eine Behandlung bei mir entscheiden und es nur in der Organisationsform der Ordination möglich ist, Patient:innen über Jahre zu betreuen und die Entwicklung ihrer Krankheitsbilder über längere Zeit zu beobachten.
Begriffsdefinitionen: Wohnsitzarzt, Wahlarzt, Kassenarzt, Privatarzt
Voraussetzung für die Berufsberechtigung zur selbständigen ärztlichen Tätigkeit ist einerseits die Eintragung in die Ärzteliste bei der Österreichischen Ärztekammer (auf dem Weg über die zuständige Landesärztekammer), andererseits die abgeschlossene Ausbildung zum Facharzt/zur Fachärztin oder zum Arzt/zur Ärztin für Allgemeinmedizin. Es ist dabei nicht ausreichend, die Ausbildungszeit absolviert zu haben, vielmehr ist es erforderlich, das Diplom tatsächlich erhalten zu haben.
Wohnsitzarzt/-ärztin
Unter Wohnsitzarzt/-ärztin versteht man alle Ärzt:innen, die weder bei einem Dienstgeber angestellt noch in einer Ordination selbständig niedergelassen, jedoch zur selbständigen Berufsausübung berechtigt sind.
Der Begriff ist im § 47 Ärztegesetz definiert:
„Zur selbständigen Berufsausübung berechtigte Ärzte, die ausschließlich solche wiederkehrende ärztliche Tätigkeiten auszuüben beabsichtigen, die weder eine Ordinationsstätte erfordern noch in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt werden.“
Typische Tätigkeiten, bei denen die Eröffnung einer Ordination nicht erforderlich ist, sind die Vertretung in Ordinationen, die Tätigkeit als Schularzt/-ärztin oder als Betriebsarzt/-ärztin, aber auch die Tätigkeit im organisierten Notarztsystem. Für gutachterliche Tätigkeiten ist die Eröffnung einer Ordination zwingend erforderlich, da diese im Regelfall mit einer persönlichen Untersuchung verbunden ist. Ausschließlich die Erstellung „theoretischer“ Gutachten (etwa im Rahmen einer Tätigkeit als Umweltmediziner:in) wäre auch als Wohnsitzarzt/-ärztin möglich.
Wenn man im Krankenhaus angestellt ist und zusätzlich Ordinationsvertretungen durchführt, ist man demnach KEIN/E Wohnsitzarzt/-ärztin, sondern als angestellte/r Arzt/Ärztin in der Ärzteliste eingetragen.
Achtung: Bei angestellten Ärzt:innen ist vor der erstmaligen Aufnahme der Vertretungstätigkeit eine schriftliche Meldung der Nebenbeschäftigung in der Standesführung der Landesärztekammer erforderlich.
Wahlarzt/-ärztin
Wahlärzt:innen sind niedergelassene Ärzt:innen ohne Vertrag mit den Krankenkassen. Die Honorargestaltung ist völlig frei und unterliegt keinen Ober- oder Untergrenzen. Auch die Standortwahl ist völlig frei und nicht an externe Vorgaben gebunden.
Wenn man also eine Ordination ohne Kassenvertrag eröffnet, ist man automatisch Wahlarzt/-ärztin. Damit haben Patient:innen das Recht auf Kostenrückerstattung. Die Höhe der Rückerstattung ist abhängig von den erbrachten Leistungen (im Sinne des Leistungskatalogs der jeweiligen Krankenkasse) und beträgt im Regelfall 80 Prozent des Honorars, das ein/e Kassenarzt/-ärztin für diese Leistungen erhalten würde. Zahlreiche Ausnahmen führen dazu, dass die Rückerstattung oft deutlich unter 80 Prozent des Kassentarifs liegt. Dieses Thema werden wir später noch detailliert beleuchten.
Sonderfall Gruppenpraxis von Wahlärzt:innen
Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, warum man als Wahlarzt/-ärztin eine Gruppenpraxis gründen sollte. Für eine Gruppenpraxis muss eine Gesellschaft gegründet werden mit allen Nachteilen (Kosten für Gesellschaftsvertrag, Eintragung in das Firmenbuch). Wenn eine enge Zusammenarbeit von mehreren Wahlärzt:innen erfolgen soll, empfehle ich die einfache Form der Ordinationsgemeinschaft. Diese kann unkompliziert in Form einer Gesellschaft nach bürgerlichem Recht (GnbR) erfolgen.
Kassenarzt/-ärztin
Kassenärzt:innen haben im Regelfall Verträge mit allen Krankenkassen. Die Niederlassung als Kassenarzt/-ärztin ist an eine freie Vertragsarztstelle gebunden. In allen Bundesländern existiert ein sogenannter „Stellenplan“, der regelmäßig zwischen der jeweiligen Landesärztekammer und der regionalen Landesstruktur der Österreichischen Gesundheitskasse verhandelt wird.
Sonderfall Gruppenpraxis mit Kassenvertrag
In den letzten Jahren haben sich verschiedene Formen der Gruppenpraxen in allen Bundesländern etabliert, als Rechtsform sind die Offene Gesellschaft (OG) und seit einigen Jahren auch die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) möglich. Im Fall eines Gesellschafterwechsels einer bestehenden Gruppenpraxis (meist infolge Pensionierung) kommt immer ein bestimmter Gesellschaftsanteil zur Ausschreibung. Die Höhe des Anteils wird ausschließlich von den Gesellschafter:innen bestimmt.
Privatarzt/-ärztin
Privatärzt:innen sind ausschließlich Ärzt:innen mit Kassenvertrag, die zusätzlich eine Privatordination führen. In diesem Fall haben Patient:innen keinen Rechtsanspruch auf Kostenrückerstattung eines Teils des bezahlten Honorars.
Aktuelle Zahlen aus Niederösterreich (Stand 12/2022)
Einzelordinationen mit Kassenvertrag 1.034
Gruppenpraxen mit Kassenvertrag 174
Wahlarztordinationen 2.273
Primärversorgungseinheiten 6 (5 Zentren, 1 Netzwerk)
Was erwartet Sie im nächsten Teil der Serie?
Im nächsten Kapitel beschäftige ich mich mit dem Weg zum Kassenvertrag und mit der historischen Entwicklung des Wahlarztsystems und des Kassensystems.