8. Sep. 2021Antivirale Therapie scheint keinen Vorteil zu bringen

Dämpfer für Remdesivir bei Covid-19

Bislang hieß es, Remdesivir könne die Genesung von Covid-19-Patienten beschleunigen. Doch Real-Life-Daten aus den USA zeichnen ein anderes Bild.

Antivirales Medikament Remdesivir FDA zur Behandlung des neuartigen Coronavirus Covid-19 zugelassen
iStock/Manjurul

Für ihre Analyse nutzten Prof. Dr. Michael Ohl vom Department of Internal Medicine der University of Iowa und Kollegen die Daten von insgesamt 2.344 Patienten, die zwischen Mai und Oktober 2020 wegen Covid-19 in Krankenhäusern der Veterans Health Administration hospitalisiert worden waren.

1.172 von ihnen hatten stationär fünf bis zehn Tage lang Remdesivir erhalten. Ihnen wurde eine ebenso große Zahl von Kranken gegenübergestellt, die das Nukleosidanalogon nicht bekommen hatten.

Zeit bis zur Entlassung verlängert statt verkürzt

Die beiden Kohorten bestanden überwiegend aus Männern (93,9%), und der Altersdurchschnitt betrug 66,6 bzw. 67,5 Jahre. In beiden untersuchten Gruppen hatten jeweils 47,7% der Patienten Dexamethason erhalten.

Eine Verlegung auf die Intensivstation erfolgte in 20,7 bzw. 19,1% der Fälle. 69 der Remdesivirpatienten wurden beatmungspflichtig – gegenüber 45 Patienten in der Kontrollgruppe. Endpunkte der Studie waren die 30-Tage-Mortalität und die Zeit bis zur Entlassung bzw. zum Tod.

Anders als erwartet ergaben die Daten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Überleben und antiviraler Therapie. Innerhalb von 30 Tagen nach Behandlungsbeginn hatten sich unter Remdesivir 143 Todesfälle ereignet. Bei den Kontrollen waren es im selben Zeitraum 124. Die Raten waren unabhängig vom jeweiligen Dexamethasonstatus.

Überraschend auch die Ergebnisse bezüglich des zweiten Endpunkts: Der Einsatz von Remdesivir hatte die Zeit bis zur Entlassung offensichtlich keineswegs verkürzt, sondern gegenüber der Kontrollgruppe von median drei auf sechs Tage signifikant verlängert.

Covid-Patienten standardmäßig mit Remdesivir zu behandeln, könne unbeabsichtigte und wenig wünschenswerte Konsequenzen nach sich ziehen, schlussfolgern Prof. Ohl und Kollegen. Die Therapie wirke sich weder positiv auf das Überleben der Patienten aus, noch führe sie zu Einsparungen bei den Bettenkapazitäten.

In seinem Kommentar kommt Prof. Dr. Gio Baracco vom Hospital Epidemiology and Occupational Service der Veterans Affairs in Miami zu dem Schluss, dass an den widersprüchlichen Daten einmal mehr der Unterschied zwischen Studiensituation und Klinikalltag offensichtlich wird.

Mögliche Gründe für die Diskrepanz zwischen früheren Studien und den aktuellen Ergebnissen gebe es einige. Ggf. seien einige Patienten nicht vor Ablauf des für die Behandlung mit Remdesivir empfohlenen fünf- bis zehntägigen Zeitraums entlassen worden, obwohl ihr Zustand dies gerechtfertigt hätte. Laut Protokoll der Zulassungsstudie wäre eine solche frühzeitige Entlassung der Patienten zwar durchaus zulässig gewesen. In den Informationen der FDA zu Remdesivir wird diese Möglichkeit allerdings nicht genannt, sodass die an der aktuellen Studie beteiligten Ärzte ggf. nicht wussten, dass die Therapie frühzeitig beendet werden kann, erklärt Prof. Baracco. Zudem bleibt offen, inwieweit Patienten der Zulassungsstudie trotz gutem Matching schwerer erkrankt waren als die ihnen zugeordneten Kontrollen und welche weiteren Faktoren zur früheren oder späteren Entlassung geführt haben.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune