1. Sep. 2021AAIC 2021 in Denver

COVID-19 vernebelt das Gehirn: Kognitive Defizite & erhöhte Alzheimer-Marker

Eine Corona-Infektion ist mit anhaltenden kognitiven Defiziten, einschließlich der Beschleunigung der Pathologie und Symptome der Alzheimer-Krankheit assoziiert. Das berichten Forscherteams aus Griechenland und Argentinien auf der virtuellen Alzheimer’s Association International Conference (AAIC) Ende Juli 2021 in Denver, Colorado. Es gebe eine „klare Verbindung“ zwischen COVID-19 und kognitiven Beeinträchtigungen wie etwa „brain fog“, warnen die Wissenschaftler und fordern weitere Untersuchungen, was SARS-CoV-2 mit unserem Gehirn macht.

Wie COVID-19 das Gehirn schädigen kann, ist der Abbau von Myelin eine fettige Beschichtung, die Neuronen schützt.
iStock/Design Cells

Nach rund eineinhalb Jahren weltweiter COVID-19-Pandemie weiß man mehr als zu Beginn. Dennoch gebe es offene Fragen zu den langfristigen Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf unseren Körper und unser Gehirn, heißt es in einer Pressemitteilung am 29.07.2021 zu den auf der AAIC präsentierten neuen Forschungsergebnissen. Demnach treten bei vielen Menschen – zusätzlich zu den bekannten Atemwegs- und gastrointestinalen Symptomen – kurz- und/oder langfristige neuropsychiatrische Symptome auf, einschließlich Geruchs- und Geschmacksverlust sowie kognitive und Aufmerksamkeitsdefizite, bekannt als „brain fog“ (Gehirnnebel).

Schlüsselergebnisse der International Brain Study

Bei einigen persistieren diese neurologischen Symptome. Das betonen Wissenschaftler eines internationalen, multidisziplinären Konsortiums (siehe International Brain Study: SARS-CoV-2 Impact on Behaviour and Cognition), an dem die Alzheimer’s Association und Vertreter aus fast 40 Ländern unter fachlicher Anleitung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilnehmen. Erste Ergebnisse dieses Konsortiums wurden auf der AAIC21 aus Griechenland und Argentinien vorgestellt:

  • Demnach leiden ältere Erwachsene nach der Genesung von einer SARS-CoV-2-Infektion häufig an anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen einschließlich eines anhaltenden Geruchsverlusts.
  • Biologische Marker für Hirnverletzungen, Nervenentzündungen und Alzheimer korrelieren stark mit dem Vorhandensein neurologischer Symptome bei COVID-19-Patienten.
  • Personen, die nach einer COVID-19-Infektion einen kognitiven Verfall aufweisen, hatten nach kurzer körperlicher Anstrengung eher einen niedrigen Blutsauerstoff sowie eine schlechte allgemeine körperliche Verfassung.

Long Covid in Argentinien: Jeder Zweite hatte Gedächtnisprobleme nach drei Monaten

Zu den Details: Dr. Gabriel de Erausquin vom Health Science Center der Universität Texas an der San Antonio Long School of Medicine, und Kollegen des Konsortiums untersuchten Kognition und Geruchssinn in einer Kohorte von fast 300 älteren erwachsenen Indigenen aus Argentinien, die COVID-19 hatten1. Die Teilnehmer wurden zwischen drei und sechs Monaten nach der Infektion untersucht.

Mehr als die Hälfte zeigte anhaltende Probleme in puncto Vergesslichkeit und etwa jeder Vierte hatte zusätzliche Probleme mit der Kognition, einschließlich Sprachstörungen und Störungen der Exekutivfunktion. Die Probleme waren mit anhaltenden Störungen des Geruchssinns verbunden, jedoch nicht mit der Schwere der ursprünglichen COVID-19-Erkrankung. „Wir sehen Monate nach der Infektion klare Verbindungen zwischen COVID-19 und Kognitionsproblemen“, sagte Erausquin. Wie auch schon Snyder forderte der Wissenschaftler die weitere Untersuchung dieser und anderer Populationen weltweit, um die langfristigen neurologischen Auswirkungen von SARS-CoV-2 besser zu verstehen.

Alzheimer-Biomarker im Blut angestiegen

Bestimmte Biomarker im Serum – einschließlich Gesamt-Tau (t-tau), Neurofilament light (NfL), saures Gliafaserprotein (GFAP), Ubiquitin-Carboxyl-terminale Hydrolase L1 (UCH-L1) und spezielle Arten von Amyloid-Beta (Aβ40, Aβ42) und phosphoryliertem Tau (pTau-181) – sind Indikatoren für Hirnschädigungen, Neuroinflammation und Alzheimer.

Dr. Thomas Wisniewki, Professor für Neurologie, Pathologie und Psychiatrie an der New York University Grossman School of Medicine, und Kollegen nahmen Plasmaproben bei 310 älteren COVID-19-Patienten an der New York University Langone Health2. Etwa die Hälfte (158 vs. 152) hatte neurologische Symptome, häufigstes Symptom war Verwirrung wegen einer toxisch-metabolischen Enzephalopathie (TME).

Bei Patienten, die zunächst mit und ohne TME im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion kognitiv normal waren, fanden die Forscher bei Patienten mit TME höhere Werte von t-tau, NfL, GFAP, pTau-181 und UCH-L1 als bei Patienten ohne TME. Bei Aβ1-40 zeigten sich keine signifikanten Unterschiede, beim pTau/ Aβ42-Verhältnis jedoch schon bei Patienten mit TME. Darüber hinaus korrelierten t-tau, NfL, UCH-L1 und GFAP signifikant mit Entzündungsmarkern wie dem C-reaktiven Peptid, was auf eine inflammationsbedingte Störung der Blut-Hirn-Schranke als Begleiterscheinung neuronaler / glialer Schädigung hindeuten könnte.

Diese Ergebnisse deuten laut Wisniewski möglicherweise auf eine Beschleunigung der Symptome und der Pathologie im Zusammenhang mit Alzheimer hin. Um zu untersuchen, wie sich die erhöhten Biomarker auf die Kognition bei Personen mit Long Covid auswirken, sei jedoch „mehr Längsschnittforschung“ erforderlich.

Kognitionsprobleme gehen eher mit schlechter körperlicher Verfassung einher

Dr. George D. Vavougios, Post-Doktorand an der Universität von Thessalien (UTH), Griechenland, und Kollegen untersuchten kognitive Beeinträchtigungen und die damit verbundene körperliche Verfassung bei 32 zuvor hospitalisierten leichten bis mittelschweren COVID-19-Patienten zwei Monate nach der Spitalsentlassung3. 56,2 Prozent zeigten eine kognitive Verschlechterung, wobei einerseits Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses und andererseits domainenübergreifende Beeinträchtigungen ohne Kurzzeitgedächtnisprobleme die vorherrschenden Muster waren.

Schlechtere kognitive Testergebnisse korrelierten mit höherem Alter, Taillenumfang und Taille-zu-Hüfte-Verhältnis. Nachdem Alter und Geschlecht angepasst wurden, konnten unabhängig davon schlechtere Gedächtnis- und Kognitionswerte mit einer niedrigeren Sauerstoffsättigung während des 6-Minuten-Gehtests in Verbindung gebracht werden.

Die Ergebnisse deuten laut Vavougios auf einige Gemeinsamkeiten biologischer Mechanismen zwischen dem dykognitiven Spektrum von COVID-19 und der Post-Covid-Fatigue hin, über die in den letzten Monaten anekdotisch berichtet worden sei: „Ein Gehirn ohne Sauerstoff ist nicht gesund, und anhaltender Mangel kann in hohem Ausmaß zu kognitiven Schwierigkeiten beitragen.“

„COVID-19 hat die ganze Welt verwüstet“

All diese neuen Daten würden auf „beunruhigenden Trends“ hinweisen, sorgt sich Dr. Heather M. Snyder, Vizepräsidentin für medizinische und wissenschaftliche Beziehungen der Alzheimer’s Association: „Mit mehr als 190 Millionen Fällen und fast 4 Millionen Todesfällen weltweit hat COVID-19 die ganze Welt verwüstet.“ Es sei „zwingend“ erforderlich, weiterhin zu untersuchen, „was dieses Virus mit unserem Körper und mit unserem Gehirn anstellt“.

Referenzen:
  1. Gabriel de Erausquin, M.D., Ph.D., M.Sc., et al. Olfactory dysfunction and chronic cognitive impairment following SARS-CoV-2 infection in a sample of older adults from the Andes mountains of Argentina. (Funder(s): Alzheimer’s Association; Fundación de Lucha contra los Trastornos Neurológicos y Psiquiátricos en Minorías (FULTRA); Zachry Foundation Distinguished Chair of Alzheimer's Clinical Care and Research; Greehey Family Foundation Distinguished University Chair of Alzheimer's Research)
  2. Thomas Wisniewski, Ph.D., et al. Plasma Biomarkers of Neurodegeneration and Neuroinflammation in Hospitalized COVID-19 Patients with and without New Neurological Symptoms (Funder(s): National Institutes of Health/National Institute on Aging)
  3. George Vavougios, M.D., Ph.D., et al. Investigating the prevalence of cognitive impairment in mild and moderate COVID-19 patients two months post-discharge: associations with physical fitness and respiratory function. (Funder(s): 2020 National Strategic Reference Framework (NSRF) Scholarship)