COVID bei Kindern: Worauf Eltern achten müssen
Noch Wochen nach einer akuten COVID-19-Erkrankung können bei manchen Kindern diffuse Symptome bestehen, in seltenen Fällen kommt es zum gefährlichen MIS-C/PIMS. Auch wenn eigentlich keine Infektion bekannt war, sollten Eltern daher bei Darmgrippe-ähnlichen Symptomen sofort reagieren.
Es ist Juni, die Infektionszahlen sinken und die Ferien stehen vor der Tür: eine wohlverdiente Pause für Kinder und Eltern, für die dieses Schuljahr wohl größtenteils herausfordernd gewesen sein dürfte. Der Sommer ist aber auch eine wertvolle Zeit, um Erkenntnisse zu sammeln und Konzepte zu entwickeln sowie um Schulen und Kindergärten im Herbst auf neue Wellen der Pandemie vorzubereiten.
In Großbritannien, wo die erwachsene Bevölkerung bereits zu einem großen Anteil vollständig geimpft ist (42,8%; Stand 10. Juni 2021), findet gerade etwas statt, was auch in absehbarer Zeit in Österreich passieren könnte: Seit Mitte Mai berichtet man dort über wiederholte Ausbrüche in Schulen.1 Diese dürften zum Teil der infektiöseren Delta (B.1.617.2)-Variante von SARS-CoV-2 geschuldet sein, es scheint jedoch auch so zu sein, dass das Virus nun vor allem in Kreisen zirkuliert, in denen sich hauptsächlich ungeimpfte Personen bewegen, wie das in Schulen und Kindergärten aktuell der Fall ist.1
Was kann passieren, wenn sich ein Kind infiziert?
Bei Kindern kann eine Infektion mit SARS-CoV-2 genau wie bei Erwachsenen in drei Stadien zu einer Erkrankung führen.
Akutes COVID-19
Einige Tage nach der Infektion entwickeln rund 70% der Kinder und Jugendlichen Symptome, die von Fieber, Husten und Atembeschwerden bis zu gastrointestinalen Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Durchfall reichen können.2,3 Im Vergleich zu Erwachsenen sind die Symptome bei ihnen meist leichter, bei einem Drittel der Kinder scheint die Infektion überhaupt asymptomatisch abzulaufen.3 Etwas gefährdeter sind kleinere Kinder zwischen einem und fünf Jahren; sie haben in sieben bis zehn Prozent der Fälle einen moderaten oder schweren akuten Infektionsverlauf.4,5
MIS-C
Das MIS-C (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) oder PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) ist ein post-akutes multisystemisches hyperinflammatorisches Geschehen, das bei rund einem von 500–1.000 Kindern auftritt und in seltenen Fällen tödlich verlaufen kann.6,7 Typischerweise setzen Symptome des MIS-C zwei bis sechs Wochen nach der Infektion mit SARS-CoV-2 ein. Dr. George Zabaneh, Kinderfacharzt in der Klinik Floridsdorf, stellvertretender Leiter des Impfreferats der Ärztekammer für Wien und Leiter einer Gemeinschaftspraxis in der Seestadt, hat in der Klinik Floridsdorf mehrere Kinder mit MIS-C begutachtet. „Die Kinder haben meist hohes Fieber und Bauchschmerzen, wirken schwer krank und verfallen plötzlich“ fasst er das Symptombild zusammen. „Im Endeffekt erinnern die Beschwerden an eine Darmgrippe.“
Zabaneh legt derzeit allen Eltern, die diese Symptome beobachten, ans Herz, nicht abzuwarten, sondern sofort ins Spital zu fahren. „Kinder mit MIS-C benötigen meist intensivmedizinische Betreuung. Je früher mit einer Therapie begonnen wird, desto besser.“ Im Schnitt würden Kinder mit MIS-C drei Wochen auf der Intensivstation verbringen, gestorben sei seines Wissens in Österreich noch keines. Ins Spital fahren sollte man übrigens auch, wenn bei einem Kind keine Infektion mit SARS-CoV-2 bekannt war. „Oft wussten Eltern von Kindern mit MIS-C nicht einmal, dass ihre Kinder die Erkrankung gehabt haben. Meist sind nur die Eltern positiv getestet worden, die Kinder nicht.“ Zabaneh testete in seiner Ordination die Kinder von Eltern mit Verdacht auf eine durchgemachte COVID-Infektion nach: Alle hatten Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut, hatten die Infektion also durchgemacht. Erhalten Eltern also bei sich ein positives COVID-Testergebnis, sollten sie, wenn ihre Kinder zwei bis sechs Wochen später Darmgrippe-ähnliche Symptome entwickeln, an MIS-C denken.
Long Covid
Von Long Covid spricht man, wenn rund 12 Wochen nach der akuten Infektion Symptome entweder immer noch vorhanden oder im zeitlichen Zusammenhang mit einer COVID-Erkrankung neu aufgetreten sind. Im Zuge seiner Spitalsarbeit begegnet Zabaneh derzeit vielen Kindern, bei denen ein postakuter Verlauf einer COVID-19-Erkrankung vermutet wird. Die Diagnose sei jedoch aufgrund der speziell diffusen Klinik schwierig: Die Symptome reichen von Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Halsweh, Bauchweh, Schwindel bis zu Schlaf- und Konzentrationsstörungen, anhaltender Müdigkeit oder Erschöpfung sowie psychischen Problemen.
Dass Long Covid häufig eine mentale Komponente hat, sei ein zusätzlicher Faktor, der die Diagnose erschwere: „Durch die ganze Situation sind die Menschen auch psychisch stärker belastet; auch Kinder und Jugendliche, die keine Erkrankung durchgemacht haben, entwickeln daher gelegentlich Symptome wie Müdigkeit und Konzentrationsstörungen.“ Bei der Diagnose von Long Covid gelte es, psychische Störungen wie Depressionen sowie andere organische Ursachen auszuschließen.
Unklare Ätiologie und Prävalenz
Warum nach der eigentlich ausgeheilten Virusinfektion Symptome neu beginnen oder persistieren, ist derzeit noch nicht geklärt. „So wie beim Kawasaki-Syndrom (das dem MIS-C ähnlich ist, Anm.) scheint auch bei Long Covid das Gefäßsystem eine wichtige Rolle zu spielen. Darüber hinaus gibt es die Hypothese, dass das Virus in den Organen verbleibt und dort Schäden anrichten kann sowie dass SARS-CoV-2 Autoimmunprozesse auslöst“, erklärt Zabaneh. Ersten Untersuchungen zufolge besserte sich nach einer SARS-CoV-2-Impfung die Long-Covid-Systematik bei einigen (erwachsenen) Patienten.8,9
Auch darüber, wie häufig Long Covid bei Kindern auftritt, herrscht derzeit noch Unklarheit. Die bisher veröffentlichten Studien unterscheiden sich stark in der Durchführung: Wurden Kinder untersucht, die einen Klinikaufenthalt aufgrund von COVID oder einer anderen Erkrankung hinter sich hatten, war die Long-Covid-Häufigkeit größer, als wenn beispielsweise ganze Schulen teilnahmen oder die Teilnehmer zufällig ausgewählt wurden. Der Anteil der Kinder, die nach 12 Wochen noch Symptome hatten, schwankt hier zwischen 1,8 und 50 Prozent.10-15 Kinder mit asymptomatischen Verläufen scheinen seltener von Long Covid betroffen zu sein.16,17
Zwischenergebnisse einer AGES-Erhebung deuten einstweilen darauf hin, dass hierzulande rund 14 Prozent der Kinder bis 14 Jahre einen Monat nach der Infektion immer noch Symptome hatten, nach drei Monaten waren es noch 8 Prozent. Das beschreibt der Kinderinfektiologe Priv.-Doz. Dr. Volker Strenger, Leiter der Arbeitsgruppe Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, in einem aktuellen Interview in der Kleinen Zeitung.16 Kleine Kinder scheinen dabei laut Strenger seltener betroffen zu sein; dabei sei jedoch zu bedenken, dass diese ihre Beschwerden auch weniger leicht artikulieren können.
Behandeln lasse sich Long Covid dabei auch nicht einheitlich, gibt Strenger im Interview an. Derzeit müsse auf eine gezielte Behandlung der Symptome zurückgegriffen werden.
Zusammenfassung für Eltern:
- Die meisten, aber nicht alle, akuten Infektionen mit COVID-19 verlaufen bei Kindern asymptomatisch oder milde.
- Auch Kinder können Long Covid bekommen, eine Störung, bei der 12 Wochen nach der akuten Infektion noch Symptome vorhanden sind oder Symptome im zeitlichen Zusammenhang mit der Infektion auftreten.
- Die möglichen Beschwerden reichen von anhaltender Müdigkeit, Konzentrationsproblemen und Schlafstörungen bis zu Halsweh, Bauchweh oder Kopfweh.
- Die schwere Multiorganerkrankung MIS-C tritt bei rund einem von 500–1.000 Kindern ca. 2–6 Wochen nach einer akuten Infektion auf. An MIS-C sollte gedacht werden, wenn Kinder hohes Fieber entwickeln und plötzlich stark verfallen, die meisten Kinder entwickeln auch ausgeprägte Übelkeit und/oder Durchfall.
- Da COVID-19 auch asymptomatisch verlaufen kann, können auch Kinder MIS-C bekommen, bei denen keine Infektion bekannt war. Im Zweifelsfall gilt es, bei hohem Fieber und Darmgrippe-artigen Symptomen sofort ins Spital fahren.
Für 12- bis 15-Jährige wurde kürzlich eine Empfehlung für die COVID-Schutzimpfung ausgesprochen. Medonline hat hier berichtet.
Referenzen
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- Gross A. NIG spricht klare Empfehlung für Kinder-Impfung aus. Medonline.at, 2. Juni 2021, zitiert aus: COVID-19-Impfungen: Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums, Version 4.0, Stand: 31.5.2021
- Arnold DT et al. Are vaccines safe in patients with Long COVID? A prospective observational study. medRxiv 11. März 2021; doi: 10.1101/2021.03.11.21253225, abgerufen am 10.6.2021,
- LongCovidSOS. The impact of COVID vaccination on symptoms of Long Covid. An international survey of 900 people with lived experience. Mai 2021 (kein Peer-Review!)
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