1. Dez. 2020Medizin mit Evidenz

COVID-19 bei Herzinsuffizienz: Ist das Risiko für einen schweren Verlauf höher?

Das EbM-Ärzteinformationszentrum beantwortet Fragen aus dem Spitalsalltag in Form von Rapid Reviews. Die Serie „Medizin mit Evidenz“ bringt die Ergebnisse dieser Reviews auf den Punkt und lässt Experten zu Wort kommen.

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Herzinsuffizienz ist eine der Hauptursachen für Spitalsaufenthalte älterer Menschen über 65 Jahre.1 Infektionen, vorwiegend respiratorische Infektionen, gehören zu den wichtigsten Begleiterkrankungen, die bei hospitalisierten Herzinsuffizienz-Patienten diagnostiziert werden und erhöhen das Sterberisiko um das 1,6-Fache.2,3 Aufgrund der aktuellen Pandemie stellt sich daher die Frage, ob eine COVID-19-Erkrankung bei Patienten mit Herzinsuffizienz schwerer verläuft, als bei Personen ohne diese Grunderkrankung. Wir fanden dazu eine retrospektive Studie aus Südkorea mit Daten von 9.148 Patienten mit COVID-19 und eine weitere aus den USA mit 5.279 Patienten.4,5

Mortalität

Patienten mit Herzinsuffizienz haben ein höheres Sterberisiko bei einer Infektion mit COVID-19, als Patienten ohne Herzinsuffizienz. Das bestätigten die beiden Studien aus Südkorea und den USA.4,5 Die große Registerstudie aus Südkorea zeigte, dass bei Patienten mit bekannter Herzinsuffizienz und COVID-19 16,8 Prozent (25 von 149) starben.4 Im Vergleich dazu traten bei Personen ohne Herzinsuffizienz nur 1,2 Prozent (105 von 8.999) Todesfälle auf (adjustierte OR 3,17; 95% KI 1,88–5,34).4 Die prospektive Kohortenstudie aus den USA untersuchte den Zusammenhang zwischen Herzinsuffizienz und Mortalität bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten.5 Auch in dieser Studie zeigte eine statistische Analyse, in der zahlreiche Patientenmerkmale (Alter, Geschlecht, Ethnizität, Rauchen, Diabetes u.a.) mitberücksichtigt wurden, bei vorbestehender Herzinsuffizienz ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko, zu versterben (adjustierte HR 1,54; 95% KI 1,23–1,93).5

▶ Vertrauen in das Ergebnis: ausreichend*

Krankheitsverlauf

Auch der Krankheitsverlauf der COVID-19-Erkrankung war bei Patienten mit Herzinsuffizienz schwerer.5 Von den Patienten mit Herzinsuffizienz, die wegen COVID-19 stationär aufgenommen wurden, hatten 54 Prozent (189 von 349) einen schweren Verlauf, während ohne Herzinsuffizienz 34 Prozent (801 von 2.380) schwer erkrankten (adjustierte OR 1,93; 95% KI 1,40–2,6).5

▶ Vertrauen in das Ergebnis: ausreichend*

Kommentar aus der Klinik

PD Dr. Deddo Mörtl ist Nukleusmitglied der Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz der Österreichischen kardiologischen Gesellschaft (ÖKG) sowie Mitglied der European Society of Cardiology (ESC) und leitet die Herzinsuffizienzambulanz am Universitätsklinikum St. Pölten.

Mörtl beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit dem Thema Herzinsuffizienz und fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen: „Herzinsuffizienz ist typischerweise eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Nachdem bei einer COVID-19-Erkrankung die Sterblichkeit mit dem Alter deutlich zunimmt, sind die meisten Herzinsuffizienzpatienten schon alleine deswegen stärker gefährdet. Dieser Review zeigt nun darüber hinaus, dass auch unabhängig vom Alter eine Herzinsuffizienz den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung erschweren kann. Um das tatsächliche prognostische Ausmaß der Kombination Herzinsuffizienz und COVID-19 abschätzen zu können, sind jedoch zusätzliche, hochqualitative, prospektive Studien nötig, was aufgrund der hohen Prävalenz und Inzidenz der beiden Krankheiten leicht möglich erscheint. Jedenfalls bestärken diese Daten die Empfehlung, gerade bei der Betreuung von Herzinsuffizienzpatienten ganz besonders auf präventive Maßnahmen zu achten und jede einzelne Präsenzvisite bezüglich ihrer Notwendigkeit zu evaluieren.“

Kontakt

Rapid-Review-Autoren:
Dr. Gernot Wagner, Dr. Anna Glechner
Cochrane Österreich, Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation
Donau-Universität Krems
E-Mail: office@ebminfo.at
Telefon: +43 2732-893 2912

Donau_Universitaet_Krems

*Die Aussagkraft von Beobachtungstudien ist aufgrund methodischer Schwächen begrenzt. Möglicherweise werden neue Studien eine genauere Einschätzung des Risikofaktors „Herzinsuffizienz“ ermöglichen.

Referenzen:
  1. Alon D et al.: PloS one 2013; 8(8):e72476;
  2. Dai S et al., Canadian Journal of Cardiology 2012; 28(1):74–9;
  3. Fonarow GC et al., Archives of internal medicine 2008; 168(8):847–54;
  4. Kim DW et al., Journal of Korean medical science 2020; 35(26):e243;
  5. Petrilli CM et al.: BMJ (Clinical research ed) 2020; 369:m1966
Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum innere