24. Sep. 2020COVID-19

Intensivmedizin: ÖGARI-Präsident warnt vor Seenot

Aus fachlicher Sicht gibt es laut Intensivmedizin-Fachgesellschaft ÖGARI keine Basis für „falsche Sicherheiten“, was die Intensivversorgung angeht. Bisher sei das „intensivmedizinische Schiff“ nicht in Seenot geraten, jetzt bestehe allerdings wieder eine konkrete Gefahr, pocht ÖGARI-Präsident Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, MedUni Wien/AKH Wien, auf eine dringende Eindämmung des SARS-CoV-2. Auch um nicht wieder den stationären Routinebetrieb einschränken zu müssen.

Spritzen, Meer, Grün, Lebensring, Welligkeit, Fackel
iStock-83803495_iStock-83803495

Egal welche Ampelfarbe auch immer leuchtet: „Wir alle müssen den Ernst der Lage sehen, die bekannten Schutzmaßnahmen wie strikte Händehygiene, Abstandhalten, Einschränkung von Kontakten und Mund-Nasen-Schutz (MNS) müssen wieder von allen konsequent gelebt werden“, spricht Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), am 20.09.2020 in einer Aussendung eine „deutliche Warnung“ aus.

„Keineswegs im sicheren Hafen“

Die aktuelle Entwicklung sei besorgniserregend. Nach einer Fahrt „mit unserem intensivmedizinischen Schiff durch weitgehend unbekannte und gefährliche Gewässer“ habe man nach einer ersten Entwarnung im Sommer auf eine baldige Rückkehr in einen „sicheren Hafen“ hoffen können, verwendet der ÖGARI-Kapitän abermals das Bild der hohen See, das er bereits in einer Pressekonferenz am 20.05.2020 zur Veranschaulichung der Lage gezeichnet hat (https://medonline.at/10054875/2020/intensivmediziner-warnen-vor-chamaeleon-corona/). Bisher sei man nicht in Seenot geraten, die „zu Recht gefürchtete Überlastung des Versorgungssystems“ sei nicht eingetreten. Als Grund nennt Markstaller die intensive und professionelle Vorbereitung in Österreichs Spitälern – und die erfolgreiche Eindämmung der Infektionszahlen.

„Jetzt besteht allerdings wieder eine konkrete Gefahr“, warnt Markstaller. Denn offenbar bestehe bei manchen der Eindruck, die aktuell rapide steigenden Infektionszahlen hätten, anders als vor einigen Monaten, keine Folgen auf die Spitals- und Intensivkapazitäten. Nachsatz: „Diese Annahme wäre aber ein fataler Irrtum.“

Steigende Infektionszahlen und Hospitalisierungen

Freilich sei es richtig, dass wegen veränderter Teststrategien und jüngerer Betroffener der Anteil der spitals- und intensivpflichtigen Patienten an der Gesamtzahl der positiv auf SARS-CoV-2-Getesteten geringer sei als in der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr. Dennoch steige mit wachsenden Infektionszahlen auch bei prozentual geringerem Anteil linear auch die Zahl der Spitals- und Intensivaufnahmen kontinuierlich an, „und das kann besorgniserregende Dimensionen erreichen“.

So ist laut Markstaller in einem Monat, zwischen 19. August und 19. September, die Zahl der stationären Aufnahmen wegen COVID-19-Erkrankungen von 120 auf 349 gestiegen. Die Zahl der Intensivpatienten, die bekanntlich zeitlich verzögert reagiert, stieg von 20 auf 84. Das entspreche einem Stand wie zuletzt Anfang Mai, bei deutlich steigender Tendenz.

Intensiv-Zahlen so hoch wie Anfang Mai, aber jetzt Vollbetrieb

Und die Tendenz hält an, wie ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt: Mit Stand 24. September 2020 (9:30 Uhr) sind österreichweit bisher 40.816 Erkrankte verzeichnet worden, 783 Personen sind an den Folgen des Corona-Virus verstorben und 31.661 wieder genesen. 463 sind hospitalisiert, davon 385 auf Normalbetten und 78 intensiv. 832 Neuinfektionen sind seit dem Vortag dazugekommen, gibt das Innenministerium und Sozialministerium bekannt*.

Was Markstaller zu denken gibt: Im Unterschied zum Frühjahr sind die Spitäler jetzt wieder im Vollbetrieb, was die Versorgung anderer Erkrankungen betrifft. „Und das wollen wir ja auch, damit niemand zurückbleibt“, sagt der Präsident, „das bedeutet aber auch, dass nicht mehr – etwa durch die Verschiebung nicht akut erforderlicher Operationen – gezielt Intensivkapazitäten freigehalten werden.“ Damit gebe es auch viel weniger Spielraum.

Vielfach nicht bekannt sei, dass im Routinebetrieb die Auslastung der Intensivkapazitäten in Spitälern in der Regel deutlich über 80 Prozent, in vielen Häusern auch bei 90 Prozent und mehr liege.

Auch ans Personal denken

Dazu komme, dass die personellen Ressourcen knapp werden könnten. „Ein Intensivbett hilft nur, wenn es mit ausreichend viel Personal bespielt werden kann“, hebt Markstaller hervor. Steigen die Infektionszahlen weiter wie zuletzt, werde zwangsläufig auch wieder mehr Gesundheitspersonal betroffen sein und in der Versorgung fehlen.

Markstaller appelliert auch an die politisch Verantwortlichen, die „heikle Situation“ keinesfalls für politisches Kleingeld zu nutzen: „Damit es mit der Prophylaxe klappt, sind eine stringente Kommunikation und nachvollziehbare Regelungen gefragt. „Die Prognosen sind nicht gut, die Ernsthaftigkeit der Lage muss uns allen klar sein“, wird der ÖGARI-Präsident abschließend nochmals deutlich: „Ohne ausreichende Maßnahmen droht, dass wir wieder den stationären Routinebetrieb einschränken müssen, was wir alle vermeiden wollen.“ Oder aber, dass Behandlungskapazitäten fehlen würden, „was wir auf jeden Fall verhindern müssen“. (red/Gro)

*siehe dazu Dashboard: https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Hosp.html?l=de