23. Sep. 2020Beim Erstkontakt auch auf Eigenschutz achten

Im psychiatrischen Notfall auf Nummer sicher gehen

Abschätzen, ob Eigen- oder Fremdgefährdung besteht. Entscheiden, ob stationär behandelt werden muss. Laut Leitlinie sind das die beiden zentralen Aufgaben in der Erstbeurteilung eines psychiatrischen Notfalls.

Doktor Mann Angst und Angst vor Angst Ausdruck Stop Geste mit den Händen, vor Schock schreien. Panikkonzept.
iStock/AaronAmat

Natürlich hat die Anamnese beim ersten Kontakt eines psychiatrischen Notfalls einen großen Stellenwert. Darin sollten u.a. konkrete Auslöser der Notfallsituation, die Vorgeschichte mit Beginn der Symptomatik, vorausgegangene psychiatrische Interventionen, bestehende organische Krankheiten sowie die Medikation erfragt werden. Ergänzt durch die klinische Untersuchung lässt sich so die Mehrheit der Patienten richtig einordnen, betonen die Autoren um Prof. Dr. Frank-Gerald Pajonk von der Praxis Isartal in Kloster Schäftlarn.

Um die psychische Lage einschätzen zu können, müssen mindestens die folgenden vier Bereiche geprüft werden:

  • Bewusstsein und Orientierung
  • Affekt und Antrieb
  • Denk-und Wahrnehmungsleistung
  • kognitive Fähigkeiten

Ungeübte können sich zur Befunderhebung mit verschiedenen Skalen und Ratinginstrumenten aushelfen. EKG, Labor mit Blutbild, Elektrolyte, Glukose, Leber- und Nierenwerte gehören zum somatischen Check. Denn oft stecken organische Ursachen hinter den psychischen Symptomen, z.B. eine schwere Hypoglykämie. Wenn nichts auf einen maßgeblichen Alkohol- oder Drogenkonsum hindeutet, kann man auf das entsprechende Screening verzichten.

Akut psychiatrisch Erkrankte erleben ihre Situation oft voller Angst und Unsicherheit, weil sie Unbekanntes und Irreales erleben. Für eine gute Anamnese ist es daher wichtig, erst einmal das Vertrauen der Kranken zu gewinnen.

Wenn möglich, sollte immer ein Dritter anwesend sein

Einfühlen, wertschätzen, erzählen lassen und auf ausreichende Distanz achten, sind die wesentlichen Tipps der Experten. Aber auch die Eigensicherung darf nicht vergessen werden. So sollte nach Möglichkeit immer ein Dritter anwesend sein, gefährliche Gegenstände sollten außer Reichweite der Betroffenen aufbewahrt und bei aggressivem Verhalten der Fluchtweg gesichert werden.

Zur medikamentösen Notfalltherapie gibt es in der Psychiatrie nur wenig Evidenz. Generell empfehlen die Leitlinienautoren, nur Antipsychotika oder Benzodiazepine einzusetzen. Verfügungen, Vollmachten oder Betreuungsverhältnisse sollte man, soweit vertretbar, berücksichtigen. Patienten mit Einsicht und Therapiewillen behandelt man vorzugsweise oral, im Notfall kann aber eine parenterale Zwangsbehandlung notwendig werden.

In der Notfallsituation kein Haldol i.v. einsetzen!

Hochpotente Neuroleptika dämpfen in niedriger bis mittlerer Dosierung psychotische Symptome, ohne zu sedieren. Bei niederpotenten dagegen dominiert der beruhigende Effekt. Vorsicht bei Haldol i.v.! Die Gabe birgt das Risiko, die QT-Zeit zu verlängern und damit maligne Rhythmusstörungen zu begünstigen. Die Experten raten in der psychiatrischen Notfallsituation davon ab, zumal echte Vorteile dieser Applikationsform nicht bewiesen sind.

Benzodiazepine wirken schnell und zuverlässig anxiolytisch, sedierend, relaxierend und antikonvulsiv. Zu den Nebenwirkungen nach i.v.-Gabe gehören eine mögliche Kreislauf- und Atemdepression. Da die Schwelle dafür sehr individuell ist, sollte man langsam auftitrieren. Patienten, die unter einer Dauertherapie mit Psychopharmaka stehen oder einen Medikamenten-/Drogenabusus betreiben, brauchen meist höhere Dosen an Benzodiazepinen, ehe sie darauf reagieren.

Wann muss der Notarzt ran?

Absolute Notfallindikation

  • erfolgter Suizidversuch
  • konkrete Suizidpläne oder -vorbereitungen
  • hochgradiger Erregungszustand
  • Aggressivität/Gewalttätigkeit (im Rahmen psychischer Erkrankungen)
  • konkrete Absichten, einen anderen zu töten (im Rahmen psychischer Erkrankungen)
  • gravierende Intoxikation
  • Delir

Relative Notfallindikationen

  • Verwirrtheit
  • Entzugssyndrome ohne Delir
  • Suizidgedanken ohne konkrete Pläne
  • Angst/Panik
  • akute Belastungsreaktion

Quelle: S2k-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“, AWMF- Registernumnmer: 038-023

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune