8. Sep. 2021Diagnose auf den ersten Blick

Kindergynäkologische Krankheiten sind meist leicht zu erkennen

Labiensynechie, Lichen sclerosus, Vulvovaginitis: Jeder, der in seiner Praxis auch Kinder bzw. präpubertäre Mädchen betreut, wird früher oder später mit diesen Krankheitsbildern konfrontiert werden. Oft genügen einfache Maßnahmen, um den jungen Patientinnen zu helfen.

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In der Kindergynäkologie ist vieles eine Blickdiagnose. Dazu gehört auch die Labiensynechie, bei der die kleinen Schamlippen eines Mädchens partiell oder komplett verklebt sind und womöglich nur eine kleine Öffnung für die Miktion offen bleibt. Die Inzidenz im Kleinkindalter erreicht bis zu 5%, berichtete die Gynäkologin Dr. Sabine Anthuber vom Klinikum Starnberg. Nur ganz selten, wenn die Synechie nicht beachtet wird, kann sie auch mal bis ins frühe Jugendalter persistieren.

Ursache ist vor allem eine mangelnde Hygiene, wenn z.B. das Smegma zwischen großen und kleinen Schamlippen nicht regelmäßig entfernt wird (dafür zweimal pro Woche ein Öl benutzen!) und es so zu Entzündungen und letztlich zu Verklebungen kommt. Jede zweite Labiensynechie macht keine Symptome, etwa jede vierte geht mit vermehrten Harnwegsinfekten einher. Manchmal werden die Kinder wegen einer vermeintlichen Inkontinenz in der Praxis vorgestellt. Dabei miktionieren sie aufgrund der Synechie nur etwas in die Vagina hinein, was sich z.B. nach dem Aufstehen als Harnträufeln bemerkbar macht. Manche Kinder entwickeln Vaginitiden oder eine Pollakisurie.

Traumatisierung von Kind und Mutter verhindern

Nur wenn die kleine Patientin Beschwerden hat und/oder ein nahezu kompletter Verschluss vorliegt, wird behandelt. Die Therapie erfolgt lokal mit estriolhaltiger Creme, die 8–14 Tage lang zweimal täglich auf die Raphe aufgetragen wird. (Eine reine Fettcreme hat sich als deutlich weniger effektiv erwiesen.) In der Regel löst sich dadurch die Synechie von selbst. Die Mutter kann den Prozess unterstützen, indem sie z.B. beim Wickeln die Pobacken ihrer Tochter etwas nach lateral unten zieht, erläuterte Dr. Anthuber. Ein Rezidiv, mit dem in 3–5% der Fälle zu rechnen sei, lasse sich verhindern, wenn regelmäßig Fettcreme auf die ehemals verbackenen Stellen aufgetragen werde.

Eine Eröffnung der Labiensynechie in Narkose kommt für die Gynäkologin nicht in Betracht, sie wäre für die Kinder zu traumatisch. Und auch vom Einsatz einer dünnen Knopfsonde, die der Pädiater Prof. Dr. Stefan Wirth vom HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal bei seinen Patientinnen bevorzugt, hält die Kollegin nichts. Diese Methode führe vor allem zur Traumatisierung der Mütter. Wenn sie sich für das mechanische Lösen der Synechie entscheide, bevorzuge sie den Finger.

Von Fremdkörpern und Würmern

Kommt es bei einem kleinen Mädchen zu einem massiven und übelriechenden Fluor vaginalis, ist an einen Fremdkörper als Auslöser zu denken, den es sich zumeist selbst in die Scheide gesteckt hat. Mithilfe eine Fasszange gelingt es meist problemlos, das Corpus Delicti zu entfernen. Um die Heilung der Vagina zu fördern, wird einmalig intravaginal ein Östrogenpräparat instilliert.

Für nächtlichen, schier unerträglichen Juckreiz sorgen Oxyuren. Sie krabbeln nachts aus dem Darm in den Genitalbereich, der äußerlich völlig unauffällig erscheint. Man behandelt mit Mebendazol oral über vier Tage und wiederholt das Ganze nach vier Wochen, um auch die Eier des Fadenwurms abzutöten.

Antibiose nur bei Infektion mit A-Streptokokken

Mangelnde Hygiene, lokale Irritationen und Kontaktallergien bereiten den Boden für eine Vulvovaginitis. Das Genitale des Kindes ist gerötet, manchmal geschwollen, es juckt oder brennt. Dazu kommt ein riechender, gelblich-grünlicher Ausfluss, der auch mal blutig sein kann. Würde man bei den Kindern Abstriche machen, ließen sich am häufigsten Enterokokken bzw. E. coli, Haemophilus influenzae, Staphylokokken sowie A- und B-Streptokokken nachweisen. Bei milden Vulvovaginitiden wird man darauf jedoch verzichten, da sich keine therapeutische Konsequenz ergibt.

„Wir sind heute nicht mehr davon überzeugt, dass jede Vulvovaginitis mit Antibiotika behandelt werden muss, weil sie in der Regel von allein wieder verschwindet“, so die Kollegin. Zudem muss man in der hormonellen Ruhephase keine aufsteigenden Infektionen befürchten. Vom Antibiotikaverzicht ausgenommen sind Infektionen mit A-Streptokokken. Sie können eine heftige Vulvitis mit Blutung, Ausfluss und hochrotem Genitale, z.T. mit Abszedierung, hervorrufen und erfordern die orale Gabe von Penicillin über zwei Wochen. Genitale Pilzinfektionen kommen bei gesunden kleinen Mädchen jenseits des Windelalters nicht vor. Wird fälschlicherweise eine vermutet und lokal antimykotisch behandelt, ist der zu beobachtende Therapieeffekt allein dem Fettanteil der Creme geschuldet, betonte Dr. Anthuber.

Prinzipiell sind bei der Vulvovaginitis pflegende Maßnahmen (Fettcreme) und eine bessere Genitalhygiene (s.o.) wichtig. Sitzbäder sollten nur mit Kochsalz durchgeführt werden, da z.B. Kamillezusätze das eh schon trockene Genitale des Kindes noch trockener machen. Bei hartnäckigem Ausfluss lässt sich durch eine einmalige Östrogenapplikation via Einmalurinkatheter ein künstliches östrogenisiertes Milieu schaffen, das die Selbstheilung der Vagina fördert.

Vom Lichen sclerosus ist eines von 900–1.000 Mädchen betroffen. Er manifestiert sich vor allem anogenital mit weißlichen Hautveränderungen. Die Haut im Bereich der Labien und der Klitoris wird pergamentartig dünn und neigt zu petechialen Einblutungen, kleinen Hämatomen und Einrissen, die schnell den Verdacht auf sexuellen Missbrauch aufkommen lassen. Die Kinder klagen über Brennen und Juckreiz. Superinfektionen der Vulva sind möglich.

Der Lichen sclerosus ist eine reine Blickdiagnose, im Kindesalter erfolgt keine histologische Sicherung, da er – im Gegensatz zu dem der älteren Frau – nicht als Präkanzerose gilt. Das muss man den Müttern deutlich sagen, da sie das Krankheitsbild googeln und zumeist auf den Lichen sclerosus der älteren Patientin stoßen, sagte Dr. Anthuber. In 14% der Fälle ist das Krankheitsbild mit Autoimmunerkrankungen assoziiert, z.B. der Alopezia areata, dem Typ-1-Diabetes, der Vitiligo oder der Thyreoiditis.

Immer wenn das Kind starke Beschwerden hat, wird man mit einer hochpotenten Steroidcreme intervenieren. Die Kollegin riet zu Betamethasondiproprionat-Dehydrogenat über vier Wochen, häufig reiche aber bereits eine Behandlungsdauer von 10–14 Tagen aus. Zur Erhaltungstherapie bzw. um Rezidive möglichst zu vermeiden, tragen die Mütter oder die Kinder selbst regelmäßig eine fetthaltige Creme auf. In der Regel sistieren die gentialen Veränderungen erst mit Beginn der Pubertät.

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune