9. Okt. 2024Die Gesichter Seltener Erkrankungen – Teil 30

Morbus Fabry – die Chamäleon-Erkrankung

Die lysosomale Speicherkrankheit Morbus Fabry (Fabry Disease, FD) ist eine seltene, genetisch vererbte Stoffwechselerkrankung, die über eine pathogene Genvariante auf dem X-Chromosom vererbt wird.

3D-Struktur des Enzyms Agalsidase zur Behandlung der Fabry-Krankheit i
Abbildung: Anastasiia/AdobeStock
Eine KI-generierte 3D-Struktur des Enzyms Agalsidase zur Behandlung der Fabry-Krankheit.

Bedingt durch variierende genetische Veränderungen tritt die lysosomale Speicherkrankheit Morbus Fabry (Fabry Disease, FD) sehr unterschiedlich in Erscheinung. FD kann mild, moderat und klassisch verlaufen, es gibt aber auch asymptomatische Formen, die im Rahmen von genetischen Abklärungen zufällig entdeckt werden, erklärt Dr. med. Vassiliki Konstantopoulou, Oberärztin im Spezialbereich Pädiatrische Stoffwechselmedizin, am AKH-Wien.

Portrait Dr. med. Vassiliki Konstantopoulou.
Foto: Matern/MedUni Wien

Dr. med. Vassiliki Konstantopoulou

Zusätzlich erschwert der meist langsam progrediente Krankheitsverlauf die Diagnosefindung. Die Symptome können schon im Kleinkindalter beginnen und treten nach und nach bis zum Erwachsenenalter auf, je nachdem, welche Gewebe im Körper am prominentesten aufgrund der vorliegenden Mutationskonstellation betroffen sind. Aufgrund des Vererbungsmodus ist klar, dass männliche Patienten schwerer betroffen sind als weibliche, was auch bedeutet, dass sich die Symptome früher bei Buben als bei Mädchen zeigen, oft mit einer Verzögerung bis zu 20 Jahren.

Grund dafür ist der durch den Gendefekt verursachte Enzymmangel, konkret der alpha-Galaktosidase A, der zu einer ständigen Abbaustörung von zuckerhaltigen Fettstoffen in den Lysosomen führt, erläutert Konstantopoulou weiter. Nachgewiesen ist, dass u.a. das nicht abgebaute Substrat Globotriaosylceramid (GL-3) in den Endothelien verschiedener Zellarten akkumuliert und sukzessiv allein durch die Speicherung, also die Fehlplatzierung, Schäden anrichtet. Somit handelt es sich um eine Multisystemerkrankung, die sich meistens erst im fortgeschrittenen Stadium manifestiert und entdeckt werden kann. Schöpft man Verdacht auf Morbus Fabry, ermöglicht ein Gentest eine gesicherte Diagnose. Dennoch bleibt oft unklar, welche Ausprägung, inklusive langfristiger Folgen, die Patientinnen und Patienten erwarten.

Schon bei Kindern an Morbus Fabry denken

Auf jeden Fall gibt es aber deutliche Symptome, speziell für die klassische Form, die schnell an Morbus Fabry denken lassen sollten. Betroffene Kinder haben beispielsweise oft starke Schmerzen in den Extremitäten wie Zehen oder Fingern, aggraviert durch erhöhte Temperatur, die therapieresistent sind. Dies kann im Kontext mit anderen Symptomen wie fehlender/reduzierter Schwitzfähigkeit (selten!) oder Nierenfunktionsveränderungen zu einer Morbus-Fabry-Diagnose führen. Auch chronische Bauchschmerzen und/oder Durchfälle ohne offensichtlichen Grund können ein Hinweis sein. Es ist immer die Symptomkonstellation, die an eine (seltene) Krankheit denken lassen sollte! Zur Diagnose Morbus Fabry kann aber auch schon ein einzelnes Symptom führen, wenn man sich mit der Erkrankung näher befasst. „Wichtig wäre es, immer an das Häufige und zugleich an das Seltene zu denken!“, so Konstantopoulou.

Der lange Weg zur Diagnose

Lange unerkannt blieb die Erkrankung bei Ursula Löttner von der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe in Wien. Sie litt bereits im Kindesalter unter Finger-, Arm- und Bauchschmerzen. Ihre Beschwerden wurden zu dieser Zeit mit dem Wunsch nach Aufmerksamkeit oder auch als Versuch, nicht in die Schule gehen zu müssen, nicht ernst genommen. Als sie bereits erwachsen war, wurde ihr Vater immer kränker. Er litt an einer fortschreitenden Nierenfunktionsstörung, die zu einer Niereninsuffizienz führte. Obwohl Morbus Fabry differenzialdiagnostisch bekannt ist, hat es lange gedauert, bis schließlich die Diagnose gestellt werden konnte. Direkt im Anschluss wurde auch Ursula Löttner getestet und das Ergebnis war positiv.

Durch die Vererbung über den Vater ist die Weitergabe der pathogenen Genveränderung am X-Chromosom zu 100% sicher, erklärt Löttner. Anders verhält es sich bei der Weitergabe über die Mutter. Durch das zweite vorhandene X-Chromosom liegt hier die Möglichkeit zur Vererbung der pathogenen Varianten bei 50%. Eine Vererbung vom Vater auf einen Sohn ist nicht möglich und auch generationsübergreifende Vererbung kann nicht stattfinden.

Typische Symptomatik, die sich bei einer klassischen Morbus-Fabry-Erkrankung manifestiert:*

  • Haut: Angiokeratome (rötlich-violetter Hautausschlag)
  • Abnormes Schwitzverhalten: verminderte Fähigkeit zu schwitzen, Hitzeintoleranz
  • Schilddrüse: subklinische Schilddrüsenunterfunktion
  • Neurologisch: brennende Schmerzen an Händen und Füßen, unerklärte Fieberschübe, Schmerzkrisen bei Fieber, Hörverlust
  • Gehirn: Schlaganfälle im frühen Alter (Pubertät)
  • Niere: erhöhte Eiweißausscheidung im Harn, Niereninsuffizienz
  • Herz/Kreislauf: linksventrikuläre Hypertrophie, Kardiomyopathie, Herzrhythmusstörungen, Schlaganfall
  • Magen-Darm-Probleme: chronische Verstopfung oder Durchfall
  • Augen: Trübungen der Hornhaut (Cornea verticilata)
  • Chronische Müdigkeit (Fatigue-Syndrom)

* Quelle: Journal für Endokrinologie und Stoffwechsel 4/2020

Was passiert nach der Diagnose?

Je nach Konstellation der vorliegenden Genmutationen gibt es Manifestationsformen, die primär das Herz oder die Nieren betreffen sowie Nervenschädigungen an den Extremitäten, oder eine Kombination der Symptome. Ist die Diagnose gesichert, findet eine umfangreiche Untersuchung mittels Schädel-Magnetresonanztomografie mit Gefäßdarstellung, Herz-Magnetresonanztomografie, je nach Alter und Befund des Herzultraschalls, und Abdomenultraschall statt. Eine Überprüfung der Nierenfunktion erfolgt sowohl sonografisch als auch laborchemisch, mit allen Laborparametern, die derzeit angeboten werden, sowie mittels einer speziellen nuklearmedizinischen Untersuchung zur Erfassung der Clearance, erklärt Konstantopoulou die Vorgehensweise. Bei Kindern und Jugendlichen muss die Entwicklung inkl. Lebensqualität beurteilt und ermittelt werden, ob psychologische Unterstützung notwendig ist. Aufgrund der Bewertung der bereits entstandenen Schäden wird entschieden, in welchen Intervallen weitere Untersuchungen und/oder eventuelle Interventionen, vor allem hinsichtlich der Notwendigkeit einer Therapie, indiziert sind. Bei diesen meist jährlich wiederkehrenden Untersuchungen wird jedes Mal „alles auf den Kopf gestellt“ und die aktuelle Situation überprüft, berichtet Löttner aus ihrer Erfahrung. Die Entscheidung über eine Enzymersatztherapie oder auch Substratinhibitionstherapie kann und wird mithilfe von internationalen Leitlinien gemeinsam mit den Betroffenen und ihren Familien getroffen. Diese beiden Möglichkeiten stoppen die Krankheitsprogression. Eine Gentherapie wäre endgültig heilsam.

Gutes Krankheitsmanagement kann Lebensqualität erhalten

Durch die unterschiedlichen Ausprägungen von Morbus Fabry stehen diese regelmäßigen Untersuchungen im Mittelpunkt des Krankheitsmanagements. Es wird jedes Mal aufs Neue Bestand aufgenommen und etwaige Maßnahmen, von Schmerzmanagement über Enzymersatztherapie bis zu einer möglichen chirurgischen Intervention, an die aktuelle und individuelle Situation angepasst. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto bessere Lebensqualität ist zu erwarten.

Transition: wenn Kinder Erwachsene werden

In vielen Morbus-Fabry-Zentren besteht die Möglichkeit, Kinder innerhalb des Zentrums aus der Pädiatrie jeweils an die zuständigen Internistinnen und Internisten spezialisiert auf angeborene Stoffwechselstörungen bzw. Nephrologinnen und Nephrologen weiterzuleiten. In der Regel werden die Patientinnen und Patienten rund um das 18. Lebensjahr der Erwachsenenmedizin übergeben, um die Versorgung bestmöglich zu gewährleisten. Dieser Prozess sollte schon in der Pubertät gemeinsam mit den betroffenen Familien strukturiert vorbereitet werden.

Betroffene helfen Betroffenen

In der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe finden Betroffene die Möglichkeit zum Austausch und erhalten Informationen zu dieser in so vielen unterschiedlichen Facetten auftretenden Erkrankung. Die zweimal jährlich stattfindenden Treffen stärken die Gemeinschaft und helfen ganz praktisch, mit Morbus Fabry durch den Alltag zu kommen. Die internationale Vernetzung ist ebenfalls Teil der Arbeit der Selbsthilfegruppe, um Patientinnen und Patienten mit Morbus Fabry bzw. seltenen Erkrankungen auch gesundheits- und versorgungspolitisch ins Rampenlicht zu rücken.