7. Okt. 2022Österreichischer Chirurgenkongress

Fallbeschreibung: Cholangiopathie nach schwerer COVID-19-Infektion

Im Vorjahr berichteten amerikanische Forscher über drei Patienten mit einer Post-COVID-19- Cholangiopathie. Zwei ähnliche Fälle wurden nun auch aus Innsbruck gemeldet. Die Experten sind sich weitgehend einig, dass es sich bei der progressiven und irreversiblen Erkrankung um eine neue Krankheitsentität handelt.

Medizinisches, wissenschaftliches Set mit den wichtigsten menschlichen Organen mit leerem Kopierraum für Text oder Infografik auf dunkelblauem Hintergrund
mi-viri/GettyImages

SARS-CoV-2 infiziert zwar primär den Respirationstrakt, kann aber auch viele andere Organsysteme in Mitleidenschaft ziehen. So kommt es laut Literatur bei 40 bis 67,5 Prozent aller COVID-19-Patienten auch zu einer akuten Leberschädigung mit Erhöhung der Transferasen. Man nimmt an, dass die Miterkrankung der Leber durch eine direkte Bindung des Virus an ACE-Rezeptoren der Leber hervorgerufen wird. Obwohl die akute Leberschädigung bei der Mehrzahl der Betroffenen ohne Folgen ausheilt, zeigten vier Studien mit insgesamt 485 Patienten, dass die akute Leberbeteiligung sich negativ auf die Prognose auswirkt. Erhöhte GOT-Werte im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung sind mit einem dreifach höheren Risiko für schwere Verläufe, künstliche Beatmung, Intensivpflichtigkeit und Mortalität assoziiert und erhöhte GPT-Werte verdoppeln das Risiko für ein schlechtes Outcome.

Welche Folgen hat eine COVID-19-Erkrankung für Patienten mit bestehender chronischer Lebererkrankung? Hier gibt es eine Entwarnung: In einem systematischen Review und einer Metaanalyse von 17 Studien mit 8.800 COVID-19-Patienten kamen die Forscher 2021 zum Schluss, dass eine chronische Lebererkrankung nicht mit einem schlechteren Outcome assoziiert ist.

Cholangiopathie

Im Vorjahr berichtete eine Arbeitsgruppe aus den USA, dass eine SARS-CoV-2-Infektion offenbar auch zu einer schweren Cholangiopathie führen kann. Gemeinsamkeit der drei vorgestellten Fälle war, dass es sich um sehr junge Patienten ohne Vorerkrankung der Leber handelte, die sehr lange wegen einer schweren COVID-19-Erkrankung stationär behandelt werden mussten. Nach einer deutlichen Erhöhung und anschließendem Abfall der Transferasen stiegen im weiteren Verlauf der Erkrankung auch die Cholestase-Parameter und es entwickelte sich ein Ikterus. In der ERCP fanden die amerikanischen Hepatologen Galle-Sludge und kleine extrahepatische Gallengangssteine.

Das ganze Ausmaß der Erkrankung zeigte sich bei der Leberbiopsie: Neben einer moderaten portalen und periportalen Fibrose stach vor allem die extreme Schädigung der Cholangiozyten ins Auge. Das Gallengangsepithel war extrem geschwollen und an vielen Stellen nekrotisch. Zusätzlich zum Schwinden der Gallengänge und zur Fibrose fanden sich auch ausgeprägte mikrovaskuläre Veränderungen: Die Endothelzellen der Arterien waren ebenfalls stark aufgequollen und zahlreiche kleine Lebervenen obstruiert. Aus Sicht der Studienautoren haben diese Veränderungen ein hohes Risiko für die Entwicklung einer sekundär sklerosierenden Cholangitis und biliären Zirrhose.

Sekundär sklerosierende Cholangitiden können auch als Komplikation von anderen schweren Erkrankungen auftreten. „Auch in diesen Fällen findet man eine Schädigung der extra-und intrahepatischen Gallengänge, eine Nekrose der Cholangiozyten und eine progressive Fibrose“, erklärt Dr. Veronika Kröpfl, Universitätsklinik für Visceral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie, Medizinische Universität Innsbruck. Die zusätzlichen Pathologien bei der Cholangiopathie nach schwerer COVID-19-Infektion (extrem aufgequollene Cholangiozyten und mikrovaskuläre Veränderungen) sind aber klare Hinweise für eine neue Krankheitsentität.

Innsbrucker Fälle

Die beiden Männer, die in Innsbruck im Rahmen einer schweren COVID-19-Infektion mit Intensivaufenthalt eine Cholangiopathie entwickelten, waren mit 54 und 61 Jahren deutlich älter als die Patienten in der amerikanischen Studie. Bei einem der beiden war die respiratorische Schädigung so groß, dass sogar eine Lungentransplantation durchgeführt werden musste. Das klinische und histologische Bild stimmte weitgehend mit den US-Fällen überein. „Zu Beginn der Infektion stiegen die Transaminasen an, im weiteren Verlauf auch die Cholestase-Parameter“, berichtete Kröpfl. Mittels ERCP wurden Sludge und kleinere Steine entfernt. In der Cholangioskopie zeigten sich ein extrem aufgerautes und geschwollenes Epithel der Gallengänge, Verengungen der Gallenwege, Ischämien, Hämatome und Nekrosen. „Die Cholangioskopie ist eine gute Möglichkeit, diese Erkrankung bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten frühzeitig zu diagnostizieren“, so die Chirurgin. Das zweite wichtige diagnostische Instrument sind die sich verändernden Biomarker. Eine kurative Therapie für die Cholangiopathie nach schwerer COVID-19-Infektion gibt es bisher noch nicht. Da die Erkrankung in schweren Fällen progressiv und irreversibel ist, bleibt als Ultima Ratio nur eine Lebertransplantation.

„Cholangiopathie nach schwerer COVID-19-Infektion“, Vortrag im Rahmen des 63. Österreichischen Chirurgenkongresses, Graz, 15.5.22

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum innere