5. Okt. 2022

Neue Erkenntnisse zu schweren Verläufen; stark steigende Spitalszahlen erwartet

+++ Forscher beschreiben "immunologischen Teufelskreis" – Impfstoff-mRNA in Muttermilch, aber unbedenklich – Nicht Impfung, sondern Covid-19 macht Männer unfruchtbar – Prognose: plus 52 Prozent bei Spitalspatienten in zwei Wochen – Corona-Impfung bleibt der Welt "erhalten" – Großbritannien arbeitet Umgang mit Pandemie systematisch auf +++

Coronavirus Warnung
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Forscher beschreiben "immunologischen Teufelskreis"

Schwere Verläufe von Covid-19-Erkrankungen sind wesentlich auf eine zu starke Immunreaktion zurückzuführen. Forschenden des Universitätsklinikums im deutschen Freiburg im Breisgau ist es nun gelungen zu erklären, wie es dazu kommt. Sie wiesen nach, dass sogenannte Immunkomplexe dabei eine wichtige Rolle spielen, wie das Universitätsklinikum am Dienstag, 4.10., mitteilte. Diese entstehen aus der Verbindung körpereigener Moleküle, die eine Immunantwort ausgelöst haben, und Antikörpern.

Sie aktivieren Immunzellen über spezifische Oberflächenrezeptoren übermäßig stark, wodurch das Immunsystem unkontrolliert angetrieben wird. Da die Immunkomplexe im Blut aufträten, verteilten sich die Entzündungen im gesamten Körper, hieß es weiter. Bei zu starken Immunreaktionen könne es zu Gewebeschäden, Organversagen und Tod kommen.

Die Studie erschien am 26. September im Fachmagazin "Nature Communications" (https://www.nature.com/articles/s41467-022-32867-z). Die Ergebnisse deuteten auf einen "immunpathologischen Teufelskreis" hin, ließ sich Hartmut Hengel, Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie des Universitätsklinikums, im Communiqué zitieren. Dieser Teufelskreis werde angetrieben durch eine frühe Bildung von Immunkomplexen im Blut. Hengel leitete die Studie gemeinsam mit Valeria Falcone, der Leiterin des Labors für Virusisolierung des Instituts für Virologie.

Die Studie bietet den Angaben zufolge Ansatzpunkte für neue Behandlungsmöglichkeiten. Gelinge es, die Immunkomplexe aus dem Blut zu entfernen, könne der Kreislauf möglicherweise gestoppt werden, wurde Falcone zitiert. (APA/ag.)

Impfstoff-mRNA in Muttermilch, aber unbedenklich

Mediziner haben kurz nach der Corona-Impfung bei stillenden Müttern Spuren des mRNA-Präparats in der Muttermilch nachgewiesen, aber sowohl die Forscher selbst als auch Expertinnen und Experten raten Stillenden weiterhin zu einer Immunisierung. Bedenken gebe es grundsätzlich keine, hieß es. Stillen sei auch nach einer mRNA-Impfung gegen Covid-19 sicher, versicherten die Mediziner im Fachblatt JAMA Pediatrics.

Ein Team um den Neonatologen Nazeeh Hanna vom NYU Langone Hospital in New York hatte in einer kleinen Studie Milchproben von elf Frauen analysiert, die zuvor die mRNA-Präparate der Impfstoff-Hersteller Moderna oder Biontech/Pfizer erhalten hatten. Das Team untersuchte mit einem sehr empfindlichen Verfahren insgesamt 131 Milchproben der Frauen, die aus einem Zeitraum von bis zu fünf Tagen nach der Impfung stammten. Spuren der Impfstoffe fanden die Forscher in insgesamt sieben Proben von fünf Teilnehmerinnen. Dabei war keine der positiv auf mRNA-Spuren getesteten Milchproben mehr als 45 Stunden nach der Impfung genommen worden.

Möglicherweise würden Nanopartikel, die die mRNA enthalten, über die Blutbahn oder das Lymphsystem zu den Brustdrüsen gelangen, spekulieren die Forscher. Ob die mRNA noch aktiv war, also theoretisch zur Bildung von Proteinen führen könnte, prüfte die Studie nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) betonte auf Anfrage, mRNA werde "nach oraler Aufnahme im Magen degradiert, also zersetzt" und erreiche damit nicht die Blutbahn des Neugeborenen.

Die Forscher raten allerdings dazu, bei Kindern im Alter bis zu sechs Monaten in den ersten 48 Stunden nach der Impfung vorsichtig zu sein, bis weitere Studiendaten zur Sicherheit vorlägen. Mögliche Auswirkungen von Impfstoff-mRNA auf Neugeborene sind bisher nicht ausreichend untersucht.

Die DGGG verweist darauf, dass die Impfung nicht nur die Mutter vor einem schweren Covid-19-Verlauf schützt, sondern auch beim Kind das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion senkt. "Aus diesen Überlegungen heraus erscheint es nicht sinnvoll, die Empfehlung für die Vakzination von stillenden Müttern einzuschränken", betont die Fachgesellschaft. (APA/dpa)

Nicht Impfung, sondern Covid-19 macht Männer unfruchtbar

Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic hat den Zusammenhang zwischen tiefen Geburtenraten und der Schutzimpfung gegen Covid-19 untersucht. Ergebnis: Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise, dass mRNA-Impfstoffe die menschliche Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten. Weder aus der publizierten Fachliteratur noch aus der weltweiten Marktüberwachung ließen sich Belege finden, dass ein Zusammenhang zwischen Impfung und Unfruchtbarkeit besteht, hieß es am Wochenende.

Swissmedic führte die Studie zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Fruchtbarkeit und Covid-19-Impfung gemeinsam mit zehn Partnerbehörden in anderen Staaten durch. Damit sei eine Bevölkerung von rund 800 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern abgedeckt worden, wurde betont. In einigen Ländern wurden Änderungen der Geburtenrate sowohl im zeitlichen Zusammenhang mit der Pandemie als auch dem Beginn der Impfkampagne beobachtet. So stieg in Schweden und in den deutschsprachigen Ländern die Geburtenrate zu Beginn der Pandemie stark an, um Anfang 2022 stark zurückzugehen.

Als Ursache für die Abnahme werde in diesen Ländern diskutiert, dass ein allfälliger Kinderwunsch verschoben wurde, da negative Auswirkungen der Impfung auf die Fruchtbarkeit befürchtet worden seien, teilte Swissmedic mit. Ein Arbeitspapier des deutschen Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung liste als Ursache für den Geburtenrückgang sowohl die Gesundheitskrise als auch damit verbundene wirtschaftliche Unsicherheiten auf.

In anderen Ländern wie etwa Spanien, Japan, dem Vereinigten Königreich oder den USA sei hingegen bereits neun Monate nach Beginn der Pandemie – also vor dem Start der Impfkampagnen – eine deutliche Abnahme der Fruchtbarkeitsraten beobachtet worden. Da die Entwicklungen dieser sogenannten Fertilitätsraten in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich seien, erscheine ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der Fruchtbarkeit kaum belegbar, schrieb Swissmedic.

Einzelne Studien wiesen jedoch darauf hin, dass nicht die Impfung, sondern eine Covid-19-Infektion bei Männern die Fruchtbarkeit vorübergehend reduzieren könne. Es gebe Hinweise auf eine teils verminderte Spermienproduktion, Erektionsstörungen oder Testosteronmangel bei Männern, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Nach einer Infektion sei die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft teilweise rapide gesunken. Anschließend habe es mindestens 60 Tage gedauert, bis diese Männer wieder so fruchtbar waren wie Nichtinfizierte. (APA/ag)

Prognose: plus 52 Prozent bei Spitalspatienten in zwei Wochen

Die derzeitige Corona-Herbstwelle schlägt sich immer deutlicher in den heimischen Krankenhäusern nieder. Dort führen sowohl Infizierte als auch Personalausfälle zu Engpässen. Die Experten des Covid-Prognosekonsortiums erwarten in zwei Wochen eine Steigerung von 52 Prozent bei Covid-Patienten auf Normalstationen. Im Worst Case benötigen am 19. Oktober sogar 3.428 positiv getestete Menschen ein Spitalsbett, heißt es in der aktuellen Prognose.

Es ist von "einem weiteren deutlichen Anstieg im Normalpflegebelag auszugehen, wobei der Covid-Belag im ICU-Bereich weiterhin nahezu unverändert bleibt", schreiben die Wissenschafter. Am heutigen Mittwoch (5.10.) mussten österreichweit 1.773 Patienten auf Normalstationen behandelt werden, für kommenden Mittwoch prognostizieren die Experten 1.992 bis 2.625 hospitalisierte Corona-Infizierte, der Mittelwert liegt bei 2.287. In zwei Wochen wird mit einem Plus von rund 52 Prozent gerechnet. Auf den Normalstationen sind am 19. Oktober österreichweit 2.121 bis 3.428 belegte Betten zu erwarten, mit einem Mittelwert von 2.696 Betten.

Zum Vergleich: Am Höhepunkt der Herbstwelle im vergangenen Jahr am 28. November benötigten 2.767 Infizierte ein Normalbett. Auf Intensivstationen lagen damals 630 Schwerkranke. Dort wird kommenden Mittwoch ein Mittelwert von 93 ICU-Patienten prognostiziert, für den 19. Oktober erwarten die Experten zwischen 75 und 122 Schwerkranke, der Mittelwert wird mit 95 angegeben.

Die Prognose-Experten betonen jedoch, dass es derzeit einen sehr hohen Anteil an Covid-Zufallsbefunden bei den hospitalisierten Patienten gibt. Laut Covid-19-Register wurden per Datenstand vom vergangenen Donnerstag nur rund 22 Prozent der aktuell Hospitalisierten mit Covid-19-Symptomatik aufgenommen. Im Intensiv-Bereich lag dieser Anteil bei nur zwölf Prozent. Dementsprechend treten Covid-Erkrankte in geringerem Ausmaß in Konkurrenz zur Regelversorgung als in vergangenen Epidemiephasen, in denen noch der Großteil der Covid-19-Patienten eine mit Corona assoziierte Hauptdiagnose aufwies, so die Experten.

Zeitgleich warnen sie vor Engpässen beim Personal in den Spitälern. Denn der "gestiegene Infektionsdruck übersetzt sich gegenwärtig auch in überdurchschnittlich hohe ungeplante Personalausfälle, die im Österreich Durchschnitt schon bei über sechs Prozent liegen (bezogen auf das gesamte Spitalspersonal). Die Rate von ungeplanten Personalausfällen liegt normalerweise unter fünf Prozent und lag in den bisherigen Höhepunkten der Covid-19 Pandemie teilweise über zehn Prozent", schreiben die Experten.

Bei den Fallzahlen – die Sieben-Tage-Inzidenz betrug am Dienstag, 4.10., bereits 952,6 – ist weiterhin mit einer substanziellen Steigerung in der Mehrheit der Altersgruppen zu rechnen. Die letztverfügbaren Abwasserdaten bestätigen einen starken Aufwärtstrend von Corona-Infektionen. Der Aufwärtstrend hat sich in den letzten Tagen jedoch verlangsamt und die Sieben-Tage-Inzidenz der Altersgruppe der Fünf- bis 14-Jährigen ist laut den Experten rückläufig.

Trotz der steigenden Zahlen sieht Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) jedenfalls keinen Grund für eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen. Mehrere Wissenschafter haben sich bereits für die Wiedereinführung der Maskenpflicht ausgesprochen. (APA)

Corona-Impfung bleibt der Welt "erhalten"

Die regelmäßige Impfung gegen Covid-19 dürfte der Welt in nächster Zukunft offenbar sprichwörtlich erhalten bleiben. Laut einer groß angelegten Netzwerk-Studie der nationalen US-Zentren für Krankheitskontrolle lässt der Schutz durch die Vakzine immer wieder nach. Das macht wohl weitere Immunisierungen notwendig. Die Schutzwirkung einer Covid-19-Impfung verringere sich auch nach einer Boosterung relativ rasch.

Dies zeige eine neue Analyse des VISION-Netzwerks der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die jetzt im angesehenen British Medical Journal erschienen ist (https://www.bmj.com/content/379/bmj-2022-072141), schrieb am Dienstag, 4.10., das Deutsche Ärzteblatt mit Verweis auf die Studie. Das unterstreiche die Notwendigkeit weiterer Impfungen.

Die Erkenntnisse stammen aus einem Netzwerk der CDC mit 261 Kliniken und 272 Notfallambulanzen in den USA (VISION). Aus dem Anteil der Geimpften an den positiv oder negativ auf SARS-CoV-2 getesteten Patienten schlossen die Autoren auf die Wirksamkeit der Impfung. Durch die hohe Zahl von 45.903 Covid-19-Patienten (Fälle), denen 213.103 Patienten mit Covid-19-Symptomen aber einem negativen Test (Kontrollgruppe) gegenübergestellt wurden, hätten viele der Analysen statistische Signifikanz erreicht, hieß es in dem Bericht.

"Die Ergebnisse bestätigen die geringe Wirksamkeit der Grundimmunisierung mit den beiden in den USA zugelassenen mRNA-Impfstoffen von Pfizer/Biontech und Moderna. Der Schutz vor einer Hospitalisierung betrug in den ersten zwei Monaten nach der zweiten Dosis nur 73 Prozent (vs. 96 Prozent in der Delta-Welle). Die schwache Schutzwirkung der Grundimmunisierung lässt mit der Zeit weiter nach: Nach sechs bis acht Monaten betrug die Schutzwirkung vor einer Hospitalisierung nur noch 48 Prozent und nach mehr als 14 Monaten gerade einmal 19 Prozent", stellte das Deutsche Ärzteblatt fest.

Die dritte Teilimpfung erhöhte in den USA den Schutzeffekt vor einer Spitalsaufnahme wegen Covid-19 in den ersten beiden Monaten auf 89 Prozent. Nach vier bis sechs Monaten lag die Wirkung aber nur noch bei 66 Prozent, nach mehr als acht Monaten bei 31 Prozent.

Der "vierte Stich" ließ bei Menschen im Alter zwischen 45 und 64 Jahren die Schutzrate gegen Spitalsaufnahmen zunächst auf 72 Prozent ansteigen. Bei den über 65-Jährigen erhöhte sie sich in den ersten zwei Monaten auf bis zu 72 Prozent. Nach zwei bis vier Monaten waren es 70 Prozent. Dann fiel die Wirkung wieder, allerdings von einem hohen Niveau aus.

Menschen mit einer schwachen Immunabwehr schnitten besonders schlecht ab. Nach drei Teilimpfungen und mehr als sechs Monaten lag die Schutzrate (keine Spitalsaufnahme wegen Covid-19) nur noch bei 29 Prozent. Nach einer vierten Dosis betrug sie wieder 48 Prozent. (APA)

Großbritannien arbeitet Umgang mit Pandemie systematisch auf

In London hat die systematische Aufarbeitung der britischen Corona-Politik begonnen. "Die Untersuchung wird beleuchten, wie wir auf die Pandemie vorbereitet waren und darauf reagiert haben", sagte die Vorsitzende der zuständigen Kommission, Heather Hallett, bei der ersten Sitzung am Montag, 3.10., in London. Es solle geklärt werden, ob die hohe Zahl an Opfern vermeidbar gewesen sei.

Nach offiziellen Angaben wurde allein in England bisher bei mehr als 170.000 Gestorbenen Covid-19 auf dem Totenschein vermerkt. Bei der Untersuchung, die Angehörige von Corona-Toten bereits seit langem gefordert hatten, sollen zahlreiche Zeugen befragt werden und die Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, sich einzubringen. Der frühere Premierminister Boris Johnson, der für seinen anfänglich verharmlosenden Umgang mit der Pandemie stark in der Kritik stand, hatte die Untersuchung zunächst auf die lange Bank geschoben.

Hallett versprach, dass sich die Aufarbeitung trotz des enormen Ausmaßes "nicht Jahrzehnte hinziehen" solle. Ziel sei es, Empfehlungen auszusprechen, "bevor eine weitere Katastrophe das Vereinigte Königreich trifft". Direkte rechtliche Folgen haben öffentliche Untersuchungen dieser Art in Großbritannien nicht. (APA/dpa)