1. Sep. 2021Covid-19 Update 01.09.2021

20 Prozent der Genesenen bauen keinen Immunschutz auf; Delta-Variante führt zu doppelt so vielen schweren Verläufen

+++ Ein Fünftel der Genesenen entwickelt keinen Schutz gegen Virus – Risiko für Krankenhauseinweisung bei Delta doppelt so hoch – Organtransplantationen um ein Drittel zurückgegangen – Neue Corona-Variante beschäftigt Wissenschafter in Südafrika – WHO stufte My-Variante als "von Interesse" ein Hohe Inzidenzraten vor allem bei jungen Ungeimpften +++

Coronavirus Warnung
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Ein Fünftel der Genesenen entwickelt keinen Schutz gegen Virus

Etwa 20 Prozent der von Covid-19 wiedergenesenen Menschen entwickeln keinen Immunschutz gegen SARS-CoV-2. Zu diesem Resultat kamen Forscher der MedUni Wien in einer Studie. Der Schutz, der das Andocken und Eindringen in die Körperzellen verhindert, entsteht nur dann, wenn man Antikörper gegen die gefaltete Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des Spikeproteins bilden kann. Manchen Menschen ist das jedoch nicht möglich, wahrscheinlich auch nicht durch die aktuellen Impfstoffe.

Diese Andockstelle ändert sich auch bei Virusmutanten nicht wesentlich, wurde am Montag (30.8.) in einer MedUni-Aussendung betont. Abhilfe könnte ein Antigen-basierter, auf RBD abzielender Impfstoff schaffen, der aber noch nicht zur Verfügung steht. Ein Team um Rudolf Valenta und Winfried F. Pickl vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien hatte bereits vor einem Jahr anhand einer ersten Kohorte genesener Covid-19-Patienten mit mildem Krankheitsverlauf gezeigt, dass ein beträchtlicher Teil der Infizierten keine schützenden Antikörper gegen SARS-CoV-2 bilden konnte.

In der nun im Fachjournal "Allergy" publizierten Folgestudie https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/all.15066 analysierten der Allergologe und Immunologe Valenta und sein Team die Antikörperantwort einer größeren Kohorte nach milder und schwerer SARS-CoV-2 Infektion. Die Studie erfolgte mithilfe der an der MedUni Wien entwickelten Mikroarray-Technologie, wobei eine Vielzahl an Virus-Antigenen auf einen Chip in mikroskopischer Größe maschinell aufgebracht wird. Zusätzlich wurden überlappende Eiweißbruchstücke (Peptide) dieser Virusantigene darauf fixiert, die das ganze Spikeprotein abdecken, auf dem die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) sitzt. Mit dieser bindet das SARS-CoV-2-Virus an den ACE2-Rezeptor der menschlichen Zellen.

Die Erwartung der Forschenden war, dass eine Immunreaktion auf die Peptide erfolgen würde, jedoch kam es nur gegenüber dem intakten, dreidimensional gefalteten Spikeprotein zu Antikörperbildung. Proteine erhalten ihre dreidimensionale Gestalt nämlich durch den physikalisch bedingten Prozess der Eiweiß-Faltung. Das SARS-CoV-2-Virus benötigt zum Andocken an die Körperzellen offenbar das dreidimensional gefaltete Protein. Ausschließlich eine Antikörperantwort gegen das gefaltete Protein, nicht aber gegen Teile davon, schützt gegen die Infektion.

Hohe Antikörperspiegel gegen das gefaltete Spikeprotein und insbesondere gegen die darin enthaltene RBD verhindern die Bindung des Virus an die menschlichen Körperzellen, so die Schlussfolgerung. Wenn jemand jedoch keine Antikörper gegen die gefaltete RBD bilden kann, ist er wenig geschützt. Die Forscher zeigten auch, dass nur die gefaltete RBD, nicht aber ungefaltete RBD bei Immunisierung einen Immunschutz erzeugt. Da die derzeit in Verwendung stehenden genetischen Impfstoffe eine Infektion nachahmen, ist es daher möglich, dass Impfdurchbrüche durch mangelnde Entwicklung von Antikörpern gegen gefaltetes RBD erklärbar sind.

Menschen, die in ausreichender Menge Antikörper gegen die gefaltete RBD bilden, seien gegen SARS-CoV-2 Infektionen geschützt. Diese Antikörper sind im Blut durch Neutralisationstests gut messbar. Die Produktion dieser Antikörper funktioniere aber bei 20 Prozent der Genesenen – und wahrscheinlich auch Geimpften – nicht. "Die Entwicklung eines mittels Helfer-Eiweißes verstärkten, auf RBD basierenden Antigen-Impfstoffes ist dringend erforderlich. Dieser würde in großer Effektivität RBD-spezifische und damit neutralisierende Antikörper induzieren, deren Spiegel durch Auffrischungsimpfungen hochgehalten werden könnte", erläuterte Valenta. So ließe sich auch die "Achillesferse" des Virus ausnützen, dessen Andockstelle sich bei Mutationen nicht wesentlich ändere, betonte der Mediziner. (APA)

Risiko für Krankenhauseinweisung bei Delta doppelt so hoch

Das Risiko für eine Spitalseinweisung ist bei einer Infektion mit der Delta-Variante des Coronavirus laut einer Studie wohl etwa doppelt so hoch wie bei der Alpha-Variante. Forscher der Universität Cambridge und der Behörde Public Health England werteten dafür mehr als 40.000 Corona-Fälle in England von Ende März bis Ende Mai 2021 aus. Die im Fachjournal "Lancet Infectious Diseases" veröffentlichten Ergebnisse (https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(21)00475-8/fulltext) lassen sich vor allem auf das Risiko für Ungeimpfte beziehen. Für vollständig Geimpfte erlauben die Daten keine Rückschlüsse, ihr zahlenmäßiger Anteil war zu gering.

Bisher hatten Studien vor allem die höhere Übertragbarkeit der Delta-Variante belegt, gesicherte Aussagen über das Risiko schwerer Verläufe gab es kaum. Die Wissenschafter nutzten nun die Ergebnisse Zehntausender positiver Tests, die über Erbgutanalysen jeweils Delta oder Alpha zugeordnet worden waren. Knapp 9.000 gingen demnach auf Delta zurück, rund 35.000 auf Alpha. Dazu ins Verhältnis gesetzt betrachteten die Forscher die Zahl der Krankenhauseinweisungen.

Nachdem sie die Daten um Faktoren wie Alter und demografische Merkmale bereinigt hatten, die üblicherweise das Risiko einer schweren Erkrankung begünstigen, stellten sie bei einer Infektion mit Delta ein im Mittel 2,26-fach höheres Risiko für eine Krankenhauseinweisung innerhalb von zwei Wochen nach dem Test fest. Das Risiko, innerhalb von 14 Tagen eine Notaufnahme aufsuchen oder stationär aufgenommen werden zu müssen, war demnach bei Delta 1,45-fach höher als bei Alpha.

Unter den mehr als 40.000 untersuchten Fällen in der Studie waren nur 1,8 Prozent vollständig Geimpfte, was die Forscher als erneute Bestätigung für einen sehr wirksamen Schutz der Impfstoffe interpretieren. 74 Prozent der berücksichtigten Infizierten waren ungeimpft, 24 Prozent erst teilweise geimpft, also etwa mit erst einer Impfdosis. Wegen der wenigen dafür verfügbaren Daten können die Forscher keine Aussagen dazu machen, ob ein höheres Risiko für eine schwere Erkrankung auch bei Geimpften vorhanden ist.

"Unsere Auswertung zeigt, dass Delta-Ausbrüche ohne Impfungen eine deutlich größere Bürde für das Gesundheitssystem darstellen als eine Alpha-Epidemie", sagte eine der Studienautorinnen, Anne Presanis von der Universität Cambridge. "Sich vollständig impfen zu lassen ist entscheidend, um das eigene Risiko für eine symptomatische Infektion zu reduzieren und das Risiko zu verringern, an einer Delta-Infektion schwer zu erkranken und ins Krankenhaus eingewiesen zu werden."

Als Schwächen ihrer Studie geben die Autoren an, dass sie keine Daten zu den Vorerkrankungen ihrer Patienten zur Verfügung hatten. Außerdem sei es möglich, dass sich die Regeln für Krankenhauseinweisungen während der Versuchsperiode geändert haben. Die Forscher versuchten zumindest, diese Faktoren in ihren Berechnungen möglichst zu minimieren. (APA/dpa)

Organtransplantationen um ein Drittel zurückgegangen

Die Zahl der Organtransplantationen, die während der ersten Corona-Welle 2020 durchgeführt wurden, ist um ein rund Drittel (31 Prozent) zurückgegangen. Dies zeigt eine globale Studie, die auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Organtransplantation (ESOT) vorgestellt wurde. Nach Modellberechnungen führte der Rückgang zu einem Verlust von mehr als 48.000 Jahren an Patientenleben.

Die Untersuchung stützt sich auf Daten aus 22 Ländern und zeigt, dass die Reaktion der Transplantationsprogramme auf die Pandemie sehr unterschiedlich ausfiel, wobei die Aktivität in einigen Ländern um mehr als 90 Prozent zurückging. Die Nierentransplantation verzeichnete 2020 im Vergleich zu 2019 in fast allen Ländern den stärksten Rückgang, wobei die Studie einen Rückgang der Lebendspendernieren (minus 40 Prozent) und Lebertransplantationen (minus 33 Prozent) feststellte. Bei den Transplantationen von verstorbenen Spendern gab es einen Rückgang bei Nieren (–12%), Leber (–9%), Lunge (–17%) und Herz (–5%).

Die nun in "Lancet Public Health" veröffentlichte Studie  https://www.thelancet.com/journals/lanpub/article/PIIS2468-2667(21)00200-0/fulltext#%20 zeigt, dass es einigen Ländern gelungen ist, die Zahl der Transplantationen aufrechtzuerhalten, während sie in anderen stark zurückgegangen ist und die Nieren- und Lebertransplantation von Lebendspendern in einigen Gebieten ganz eingestellt wurde. Insgesamt bestand ein starker zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Corona-Infektionsrate und dem Rückgang der Transplantationen.

Olivier Aubert, Hauptautor der Studie: "Die erste Welle von Covid-19 hatte verheerende Auswirkungen auf die Zahl der Transplantationen in vielen Ländern, beeinträchtigte die Wartelisten der Patienten und führte bedauerlicherweise zu einem erheblichen Verlust an Menschenleben." (APA)

Neue Corona-Variante beschäftigt Wissenschafter in Südafrika

Eine neue Corona-Variante mit einer ungewöhnlich hohen Mutationsrate beschäftigt derzeit Wissenschafter in Südafrika. Die Verbreitung der als C.1.2 bezeichneten Variante habe in den vergangenen Monaten leicht zugenommen, erklärte das südafrikanische Institut für Infektionskrankheiten (NICD) am Montag (30.8.). C.1.2 wurde demnach in allen neun südafrikanischen Provinzen nachgewiesen. Auch in China, Mauritius, Neuseeland und Großbritannien wurde die Variante bereits festgestellt.

Die NICD-Wissenschaftlerin Penny Moore betonte, dass die Verbreitung von C.1.2 nach wie vor "sehr gering" sei. Vorhersagen dazu, ob die bestehenden Corona-Impfstoffe auch gegen diese Variante wirkten, könnten deshalb noch nicht getroffen werden. Sie sei jedoch "zuversichtlich, dass die in Südafrika verwendeten Vakzine uns weiterhin gegen schwere Erkrankungen und Tod schützen werden".

Südafrika ist das am schwersten von der Corona-Pandemie betroffene Land auf dem afrikanischen Kontinent. Seit Beginn der Pandemie wurden in dem Land mehr als 2,7 Millionen Corona-Infektionsfälle registriert. Mindestens 81.830 Menschen starben im Zusammenhang mit Covid-19. (APA/ag)

WHO stufte My-Variante als "von Interesse" ein

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine weitere Corona-Variante als "Variante von Interesse" eingestuft. Die auch als My bezeichnete Variante B.1.621 weise Mutationen auf, die auf eine mögliche Resistenz gegen Impfstoffe hindeuten könnten, teilte die WHO mit. Erstmals aufgetreten war sie im Jänner in Kolumbien.

"Die My-Variante verfügt über eine Konstellation aus Mutationen, die das Risiko einer immunevasiven Eigenschaft erkennen lassen", erklärte die WHO. Inzwischen sei sie außer in Kolumbien in weiteren südamerikanischen Ländern sowie in Europa aufgetreten. Während in Kolumbien 39 Prozent der Corona-Infektionsfälle auf die My-Variante zurückgehen, liege die globale Verbreitung der Variante jedoch bei unter 0,1 Prozent.

Dass Viren mutieren, ist normal. Die meisten Mutationen sind ungefährlich und verändern die Eigenschaften von Erregern nicht. Vor dem Hintergrund weltweit steigender Infektionszahlen befürchten Experten im Falle des Coronavirus SARS-CoV-2 jedoch die Entstehung einer neuen Virus-Variante, die Auswirkungen auf die Effektivität der verfügbaren Corona-Impfstoffe haben könnte.

Derzeit stuft die WHO vier Corona-Varianten als "besorgniserregend" ein, und zwar Alpha (B.1.7), die besonders ansteckende Delta-Variante (B.1.617.2), Beta (B.1.351) und Gamma (P.1). (APA/AFP)

Hohe Inzidenzraten vor allem bei jungen Ungeimpften

Die Corona-Pandemie wird zunehmend eine Angelegenheit der jüngeren und nicht geimpften Bevölkerung. So ist die Inzidenz in Österreich bei den ungeimpften unter 18-Jährigen 16 Mal höher als bei den geimpften. Bei den 18- bis 59-Jährigen liegt sie knapp sechs Mal höher und bei der Generation 60 plus ist sie immerhin noch mehr als fünf Mal so hoch als bei den immunisierten Menschen in dieser Altersgruppe, zeigen aktuelle Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES).

Die Sieben-Tages-Inzidenz bei Ungeimpften der Altersgruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen liegt bei 263,5 und ist somit mehr als drei Mal so hoch wie bei der nicht immunisierten Generation der über 60-Jährigen. Das Gleiche gilt mit einer Inzidenz von 257,9 auch für die Gruppe der 18- bis 59-Jährigen.

Doch auch bei der ungeimpften älteren Bevölkerung steigt die Inzidenz und betrug mit Stand 30. August bereit 85. Eine Woche davor (KW 34) lag sie bei der Generation 60 plus noch bei 80,7. Die Sieben-Tages-Inzidenzen nach Impfstatus machen einmal mehr deutlich, dass die Coronaschutz-Impfungen wirken. Bei den immunisierten Zwölf- bis 17-Jährigen beträgt die Inzidenz nur 16,3 – das ist nur rund ein Sechzehntel des Werts der Ungeimpften. Noch geringer ist sie bei der älteren Bevölkerung. Bei jenen über 60-Jährigen, die bereits über den vollen Impfschutz verfügen, liegt sie nur noch bei 15,7. In der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen stecken sich quasi die meisten bereits immunisierten Menschen an. So liegt die Sieben-Tages-Inzidenz bei den Geimpften in dieser Altersklasse bei 43,9.

Vor einer Woche (KW 34) lag die Sieben-Tages-Inzidenz bei den ungeimpften Zwölf- bis 18-Jährigen noch bei 231,4 Fällen pro 100.000 Einwohner. Innerhalb einer Woche gab es einen Anstieg von rund 14 Prozent. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Impfkampagne in Österreich besonders bei den Jüngeren noch nicht richtig angekommen ist.

Gerade einmal 29,01 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen sind laut aktuellen Zahlen des Gesundheitsministeriums vollständig geimpft. Die Gruppe der 18- bis 59-Jährigen weist 61,91 Prozent vollständig Immunisierte auf. Die höchste Durchimpfungsrate liegt bei der Generation 60 plus vor: 82,86 Prozent sind doppelt geimpft, 85,82 Prozent haben zumindest einen Stich erhalten. (APA)