29. März 2023Die Gesichter Seltener Erkrankungen – Teil 21

„Lange wurde mir vermittelt, schwach zu sein“

Ihre Erkrankung – Erythropoetischen Protoporphyrie (EPP) – stößt bis heute vielfach auf Unverständnis in der Gesellschaft wie in Fachkreisen, berichtet EPP-Patientin und Kardiologin Dr. Cornelia Dechant. Mit der Gründung einer Selbsthilfegruppe setzte sie einen Schritt in Richtung Anerkennung dieser seltenen Stoffwechselerkrankung.

Sommerhintergrund, orangefarbener Himmel mit glühender Sonne
Xurzon/GettyImages

Eine der ersten prägenden Erinnerungen der heute 44-jährigen Wiener Kardiologin Dr. Cornelia Dechant war eine Autofahrt im Alter von etwa fünf Jahren von der Steiermark nach Wien: „Ich ließ meine Füße aus dem Fenster baumeln, um mich zu kühlen. Dabei bin ich praktisch verbrannt.“

Die Symptome der damals noch weniger bekannten seltenen Erkrankung Erythropoetische Protoporphyrie (EPP) betreffen allerdings nicht nur die Haut (siehe Fakten-Check): Infolge der Anreicherung von Protoporphyrin im Organismus entstehen Schmerzen „als würde man ein Feuerzeug in den Gefäßen anzünden“, sagt Dechant. Doch jegliche Versuche der Kühlung wie bei echten Verbrennungen führen nur zu weiterer Verschlechterung, unter anderem durch extremes Austrocknen der Haut.

Privat

Dr. Cornelia Dechant

„Meine Eltern brachten mich damals in das ehemalige Wilhelminenspital (heute Klinik Ottakring, Anm.). Glücklicherweise wurde ich einem damals führenden Dermatologen vorgestellt, der bei mir EPP vermutete.“

Therapieansätze bestanden damals vor allem in „Vermummung“ und Vermeidung von Sonnenlicht. „Handelsübliche Sonnencremen bieten keinen Schutz, da sie blau-weißes Licht nicht filtern, das zudem durch Fenster dringt“, führt Dechant aus. „Einige Zeit erhielt ich orales Beta-Carotin, das zu einer starken Gelbfärbung der Haut führt und bekanntermaßen das Krebsrisiko erhöht.“ Besonders schlimm für ein an EPP erkranktes Kind ist es zu erleben, dass eine vermeintlich tröstende Umarmung der Eltern die Schmerzen nur verschlimmert.

Während ihrer Kindheit und Jugend erlebte Dechant außerdem Druck von der Umgebung: „Bei jedem Versuch einer Behandlung bestand die Erwartung: Das muss jetzt helfen. Bei mir – und bei vielen anderen Patientinnen und Patienten – führte es schließlich dazu, dass wir uns die Symptome selbst nicht mehr glauben.“ Zudem bekam sie immer wieder zu hören, sie müsse sich eben anpassen. Dechant berichtet, dass sie damit als „Schattenspringerin“ vor allem versuchte nicht aufzufallen und Schulaktivitäten im Freien so gut es ging vermied.

Wunsch, selbst Medizin zu studieren

Ein als sehr unfreundlich erlebtes Arztgespräch im Alter von 14 Jahren ließ bei ihr dann den Entschluss reifen, selbst Medizin zu studieren: „Ich wusste damals: So möchte mich nicht behandeln lassen und wollte mir genügend Wissen aneignen, um die richtigen Fragen stellen zu können.“ Dass sie sich dann zur Kardiologin ausbilden ließ, erklärt sie so: „Das Herz ist das grandioseste Organ, das wir haben!“ Doch auch während des Studiums musste sie sich immer wieder „durchbeißen“, denn zu den Symptomen gehören auch Krankheitsgefühl und Fatigue.

Anlaufstellen für sich selbst als Patientin vermisst Dechant jedoch in Österreich bis heute. „Aufgrund der Symptome wird die EPP bislang eher der Dermatologie zugeordnet, wo heimische Patientinnen und Patienten behandelt werden. Als Stoffwechselerkrankung gehört sie aber eigentlich in die Interne Medizin.“ Noch wichtiger als die Fachdisziplin wäre jedoch, dass Kolleg:innen, die bereit wären, sich Patient:innen mit seltenen Erkrankungen wie der EPP zu widmen, auch die Zeit  bekommen, um sich mit diesen komplexen Erkrankungen zu beschäftigen, meint Dechant. „Zudem ist es aus wissenschaftlicher Sicht ein sehr spannendes Gebiet, das laufend weiter erforscht wird.“ In der Schweiz gibt es etwa am Triemli-Spital in Zürich ebenso wie an einzelnen Kliniken in Deutschland spezialisierte Porphyrie-Zentren, wo unter anderem die entsprechende Labordiagnostik durchgeführt wird.

Symptomkontrolle und Arbeitsfähigkeit durch die Therapie

Vor einigen Jahren konnte mit der Entwicklung von Afamelatonid ein Durchbruch in der Behandlung der EPP erzielt werden. Dechant selbst wird seit rund fünf Jahren mit dem Wirkstoff behandelt und erhält alle zwei Monate ein Depotpräparat. Es minimiert die Radikalbildung, führt zu Symptomfreiheit und ermöglicht es ihr damit ihrer Arbeit in der kardiologischen Praxis nachzugehen. „Im Spital zu arbeiten ist angesichts der LED-Lampen für mich jedoch nicht mehr möglich.“

Angesichts der unklaren Finanzierung für das Medikament in Österreich können bislang nicht alle infrage kommenden Patient:innen von dieser Therapie profitieren. Mit der von ihr mit-begründeten Selbsthilfegruppe EPP Austria möchte Dechant auf die Situation und die Bedürfnisse der Betroffenen aufmerksam machen und sich für Transparenz bei der Zulassung und Kostenerstattung einsetzen. „Vor allem wünschen wir uns, ernst genommen zu werden. Ich habe zum Glück gute psychologische Unterstützung in der Bewältigung der Erkrankung“, schildert Dechant. Zudem gebe es immer noch Stimmen im Gesundheitswesen, die Patient:innen die hohen Therapiekosten vorrechnen: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn sie ein Medikament bekommen, dass Sie von Ihren Symptomen befreit und Ihnen die Arbeitsfähigkeit ermöglicht, Ihnen aber vorgerechnet wird, wie viel Sie damit dem Gesundheitssystem kosten? Das ist einfach entwürdigend. Wir haben uns die Krankheit nicht ausgesucht!“

Fakten-Check: Erythropoetische Protoporphyrie (EPP)

Die auch als „Schattenspringerkrankheit“ bezeichnete EPP ist eine sehr seltene genetische Stoffwechselerkrankung aus dem Formenkreis der Porphyrien. Ein Defekt des für den Aufbau von Hämoglobin benötigten Enzyms Ferrochelatase führt zu einer Anreicherung von Protoporphyrin im gesamten Körper, vor allem aber in Erythrozyten, Knochenmark und in der Leber. Reagiert Protoporphyrin nun mit Licht (vor allem mit dem blauen Anteil des sichtbaren Lichts, der auch bei bedecktem Himmel sehr hoch ist), so entstehen Radikale, die stark brennende Schmerzen an den betroffenen Stellen verursachen. Auch Schwellungen, Rötungen und punktförmige Einblutungen in der Haut sind möglich. Sogar bei der Beleuchtung in Innenräumen – vor allem durch LED-Lampen – können Schmerzreaktionen entstehen. Zusätzlich rufen entzündliche Reaktionen länger anhaltende neuropathische Schmerzen hervor.

Die Symptome reichen zunächst von leichtem Kribbeln oder Brennen nach der Lichtexposition bis hin zu unerträglichen Schmerzen, die von Betroffenen mit der Empfindung „als ob man von innen verbrennen würde“ beschrieben werden. In seltenen Fällen (weniger als 5%) führt die EPP infolge der Akkumulation von Porphyrin in der Leber zu einer Beeinträchtigung der Leberfunktion bis hin zur Leberzirrhose. Bei Operationen müssen für die Patient:innen besondere Vorkehrungen getroffen und Schutzfolien verwendet werden.

Die Häufigkeit der Erkrankung in der Gesamtbevölkerung beträgt zwischen 1:75.000 und 1:200.000. In der Selbsthilfegruppe EPP Austria sind aktuell elf Patient:innen vertreten. Es wird heute davon ausgegangen, dass die Erkrankung rezessiv vererbt wird. Die genetische Information für die Ferrochelatase befindet sich auf dem langen Arm des Chromosoms 18. Im Unterschied zur EPP wird die X-linked-Protoporphyrie (XLPP) X-chromosomal dominant vererbt.

Diagnose und therapeutische Ansätze

Die Diagnostik der EPP und der XLPP erfolgt über die Bestimmung von Erythrozytenprotoporphyrin. Bei einer Erhöhung wird zwischen metallfreiem Protoporphyrin und Zinkprotoporphyrin unterschieden. Je nach Anteil von Zinkprotoporphyrin wird EPP oder XLPP vermutet (ca. 0–15% Zinkprotoporphyrin bei EPP und ca. 15–50% Zinkprotoporphyrin bei XLPP). Die Diagnose sollte dann durch eine genetische Testung gesichert werden.

Lange Zeit bestand die einzige Möglichkeit in der Vermeidung jeglicher Sonnen- bzw. Lichtexposition: Betroffene können oft nur unter „Verhüllung“ aller Hautregionen ins Freie gehen und lokale schmerzlindernde Maßnahmen versuchen. Seit 2014 ist der Wirkstoff Afamelanotid unter speziellen Auflagen in der EU für erwachsene EPP-Patientinnen und -Patienten zugelassen und wird als Implantat verabreicht, das den Inhaltsstoff über zwei Monate kontinuierlich abgibt und eine gute Verträglichkeit aufweist. Das Medikament wirkt stark antioxidativ (Radikale bindend), sodass insgesamt eine deutliche Abnahme der Beschwerden zu beobachten ist. Ein signifikant längerer Aufenthalt im Freien ohne Schmerzen wird damit möglich. Durch Anregung der Melanozyten kommt es zudem zu einer verstärkten Bräunung.

Die Abgabe des Medikaments ist in den EU-Ländern allerdings bislang nicht einheitlich geregelt. In Österreich wird Afamelanotid aktuell nur über Einzelbewilligungen an einzelnen Kliniken verabreicht. Eindrücklich gewarnt wird seitens der Selbsthilfegruppe EPP Austria davor, sich ähnlich lautende Präparate via Internet zu bestellen: Diese sind nicht geprüft, entsprechen in keiner Weise dem Originalpräparat und können zu schweren gesundheitlichen Nebenwirkungen führen.

www.eppaustria.at