„Wir können die Kräfte bündeln, um Großes zu schaffen“
Stellvertretend für das engagierte Team von Pro Rare Austria vermitteln Obfrau Ulrike Holzer und die Pädiaterin Dr. Vassiliki Konstantopoulou das „Prinzip Hoffnung“. Die Allianz setzt sich dafür ein, Menschen mit seltenen Erkrankungen in ihren Anliegen zu unterstützen und sie in die Mitte der Gesellschaft zu bringen.
Die Obfrau
Von seltenen Erkrankungen erfuhr Ulrike Holzer zunächst als Mutter: „Mein mittlerweile erwachsener Sohn ist an Ektodermaler Dysplasie erkrankt. Glücklicherweise kann er heute mit der Krankheit ein sehr gutes Leben führen, doch die ersten Jahre und vor allem der lange Weg bis zur Diagnose waren eine enorme Herausforderung“, schildert Holzer im Gespräch. Wie vielen Familien ging es ihr bald darum, andere betroffene Eltern zu finden und Expertise zum Krankheitsbild zu bekommen – noch dazu damals ohne die Möglichkeiten des Internets!
„Trotzdem ist es mir gelungen, in Deutschland eine Selbsthilfegruppe für Ektodermale Dysplasie zu gründen“, berichtet Holzer. Nach ihrer Übersiedelung nach Österreich unterstützte sie hier zunächst eine von Dr. Rainer Riedl (vgl. auch https://medonline.at/10107057/2022/epidermolysis-bullosa-eb-wir-haben-in-osterreich-ein-internationales-vorzeigeprojekt/) initiierte Petition von Eltern von Kindern mit seltenen Erkrankungen an das Gesundheitsministerium. Nach der Gründung von Pro Rare Austria 2011 trat Holzer bald der Allianz bei, wurde später Stellvertretende Obfrau neben Riedl und 2020 schließlich selbst Obfrau.
„Meinem Sohn geht es glücklicherweise heute sehr gut, er konnte eine Familie gründen und ist berufstätig“, schildert Holzer weiter. Doch an die Fragen und Unsicherheiten wie „Wird mein Kind ein gutes Leben führen können?“ oder „Wie kann ich den Alltag mit einem erkrankten Kind managen?“ der ersten Jahre kann sie sich noch gut erinnern – und es sind ganz ähnliche Fragen, zu denen heute viele Eltern von Kindern mit seltenen Krankheitsbildern nach Antworten suchen.
Die Kinderärztin
Von der ärztlichen Seite ist die Pädiaterin und Spezialistin für angeborene Stoffwechselerkrankungen Dr. Vassiliki Konstantopoulou (Univ.-Kinderklinik Wien) täglich mit Kindern und deren Familien konfrontiert, die aufgrund einer seltenen Diagnose eine Fülle von Fragen und Unsicherheiten haben. Dank der immer besseren molekularbiologischen Diagnostik ist es heute zunehmend möglich, selbst sogenannte „ultrarare diseases“ zu diagnostizieren und ihnen einen Namen zu geben. „Das ist für mich aber nur ein Teil der Faszination meines Arbeitsgebietes“, sagt Konstantopoulou, die zum Medizinischen Beirat von Pro Rare Austria gehört. „Schön und zugleich herausfordernd ist es für mich ebenso, die Familien zu begleiten, idealerweise bis zur Transition der Kinder in die Erwachsenenmedizin. Ich möchte, so gut es geht, dazu beitragen, dass die Familien maximales Wissen und bestmögliche Unterstützung bekommen.“
Doch selbst wenn Kinder keine so gute Prognose haben, so weiß die engagierte Wiener Kinderärztin von vielen Familien zu berichten, denen es mit hohem Engagement gelingt, ihrem Kind trotz schwerer Erkrankung das bestmögliche Umfeld zu bieten. „Dazu brauchen sie aber sehr viel Hilfe, etwa dabei, die Erkrankung anzunehmen, ihre Ängste oder die Reaktionen des Umfelds zu verarbeiten.“
Zu Pro Rare Austria stieß Konstantopoulou übrigens beim damals ersten Österreichischen Kongress für Seltene Erkrankungen: „Ich bin überzeugt davon, dass sehr viel bewegt werden kann, wenn wir unsere Kräfte entsprechend bündeln.“
Einige Unterschiede, aber viele gemeinsame Anliegen
Eine Aussage, die Holzer nur gerne bestätigt: „Mit Pro Rare Austria bieten wir ein Dach für die vielen verschiedenen seltenen Erkrankungen. Auch wenn alle individuelle Themen und Bedürfnisse haben, so gibt es sehr viele gemeinsame Anliegen.“ Die Anfragen an Pro Rare Austria reichen von der Vernetzung mit anderen Betroffenen über Fragen zu Ansuchen für Rollstühle bis hin zu Problemen etwa bei der Vermittlung von einem Platz in einem Integrationskindergarten. Vor allem wollen viele zunächst aber wissen, wohin sie sich wenden können, um eine klare Diagnose bekommen. „Wir von Pro Rare Austria sind gleichsam Mittler zwischen denen, die etwas wollen, und jenen, die etwas ändern können“, betont Holzer.
Ebenso setzt sich das Team von Pro Rare Austria für die Wissensvermittlung ein – in Laien- wie in Fachkreisen: „In allen meinen Vorlesungen spreche ich immer über seltene Erkrankungen und sage den Student:innen: Denken Sie an das Häufige und an das Seltene zugleich“, berichtet Konstantopoulou. „Wünschenswert wäre zudem eine gemeinsame Kampagne mit der Ärzteschaft: Mit mehr Wissen vor allem unter niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten kommen Patienten früher zur Diagnose und das ist das wichtigste Ziel“, ergänzt Holzer. Beide Damen setzen dabei stets auf das Prinzip Hoffnung: Betroffenen Möglichkeiten zur Besserung ihrer Situation zu zeigen, ihnen in medizinischen Fragen genauso weiterzuhelfen wie bei bürokratischen Hürden und sie vor allem in die Mitte der Gesellschaft zu holen, sind die zentralen Anliegen. „Gerade die Edukation von Patient:innen und Eltern kann sehr viel helfen, denn mit besserem Wissen gelingt es uns allen besser, uns in Entscheidungen einzubringen“, resümiert Konstantopoulou.
Fakten-Check: Pro Rare Austria – Allianz für seltene Erkrankungen
Rund 450.000 Menschen in Österreich sind laut Angaben von Pro Rare Austria von einer seltenen Krankheit betroffen. Ein Teil davon ist in Selbsthilfegruppen organisiert, doch bei vielen Diagnosen ist dies oft gar nicht möglich, etwa wenn die Erkrankung so selten ist, dass es kaum mehr als eine Handvoll Patient:innen in Österreich gibt. Als Dachverband von derzeit rund 100 Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen für seltene Erkrankungen – von Alpha-1-Österreich bis YAO-Syndrom – versteht sich Pro Rare Austria als „Sprachrohr“ und Aktionsbündnis für alle Menschen mit seltenen Erkrankungen.
Hilfe und Auskunft zu allen Themen rund um seltene Erkrankungen zu geben und auf Wunsch auch Kontakte zu vermitteln – „dafür sind wir da“, betont die Obfrau von Pro Rare Austria, Ulrike Holzer. Einen klaren Handlungsauftrag sehen die Vertreter:innen der Organisation auch darin, die Rahmenbedingungen in der Versorgung der Patient:innen mit seltenen Erkrankungen zu verbessern und dazu mit den „Stakeholdern“ Ärzteschaft, Sozialversicherungen sowie Gesundheits- und Sozialpolitik in Dialog zu treten.
Unter den Zielen des Vereins werden etwa die Verbesserung der medizinisch-klinischen Versorgung Betroffener durch Errichtung bzw. Auswahl von Expertisezentren, die Leistungsanerkennung und Förderung der Selbsthilfe oder die internationale Vernetzung genannt. Auf der Website des Vereins gibt es dazu wissenswerte Informationen rund um seltene Erkrankungen. Regelmäßig tritt das Team von Pro Rare Austria zudem mit Veranstaltungen an die Öffentlichkeit, das nächste Mal am Samstag, 15. April 2023 in Wien mit dem für Interessierte frei zugänglichen Pro Rare Austria Vernetzungstreffen. Programm und Anmeldung: Pro Rare Austria Vernetzungstreffen 2023 (prorare-austria.org)
Geleitet wird Pro Rare Austria von einem ehrenamtlichen sechsköpfigen Vorstand, dem ein Ethikbeirat und der Medizinische Beirat zur Seite steht. Operativ sind fünf Mitarbeiter:innen in der Geschäftsstelle tätig, die Finanzierung erfolgt mehrheitlich durch öffentliche Förderungen und privatwirtschaftliche Unterstützungen, Spenden und Sponsoring.
www.prorare-austria.org
Serie: Die Gesichter Seltener Erkrankungen
Seltene Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und bestmöglich zu behandeln bzw. zu managen gehört zu den größten Herausforderungen der Medizin im dritten Jahrtausend. Mitunter sind es vielleicht nur zehn, zwölf Menschen in Österreich mit derselben Diagnose, die oft erst nach jahrelangen Wegen durch Ordinationen und Ambulanzen wissen, woran sie tatsächlich leiden. Die Diagnose erhielten sie meist von engagierten Ärztinnen und Ärzten, die auf den richtigen Pfad kamen und sich um Therapie und Management bemühen.
In der medonline-Serie in Kooperation mit dem Referat für Seltene Erkrankungen der Ärztekammer Wien wollen wir die Gesichter Seltener Erkrankungen vorstellen mit dem Ziel, das Bewusstsein dafür zu stärken: Seltene Erkrankungen sind zwar selten, aber es gibt sie! Mitunter sind sie aber viel zu wenig bekannt. Wir stellen Ihnen daher engagierte Ärztinnen und Ärzte und ihre Patientinnen und Patienten bzw. deren Eltern vor. Ihre Erfahrungen sollen dazu beitragen, Seltene Krankheiten besser bekannt zu machen und vielleicht rascher zur richtigen Diagnose und zur bestmöglichen Behandlung zu kommen.
Mag. Christina Lechner (Koordinierende Redakteurin) und Mag. Simone Peter-Ivkić (CR medonline.at) mit Dr. Christoph Buchta (Ärztekammer Wien/Referat für Seltene Erkrankungen)
In Kooperation mit der Ärztekammer Wien
Referat für Seltene Erkrankungen