4. Juli 2024Wer eine spezielle Überwachung benötigt

Pankreas und Leber bei Diabetes im Blick behalten

Bislang gibt es kein Screening für Pankreaskrebs. Bei Patientinnen und Patienten über 60 Jahre mit neu aufgetretenem Typ-2­-Diabetes und Gewichtsverlust sollte man aber an einen Tumor der Bauchspeicheldrüse denken. Eine Überwachung auf Leberkrebs lohnt in der Gruppe der Erkrankten mit Typ-2-Diabetes ab einem FIB-4 von 1,3 und einer Elastografie ≥8kPa.

Arzt verbindet kontinuierlichen Glukosemonitor mit Smartphone, um Blutzuckerspiegel in Echtzeit zu überprüfen.
Halfpoint/AdobeStock

Ein Typ-2-Diabetes erhöht bekanntermaßen das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Wie Prof. Dr. Hans Scherübl, Vivantes-Klinikum Am Urban, Berlin, erläuterte, gilt das u.a. für das Pankreaskarzinom, in Deutschland die dritthäufigste tumorbedingte Todesursache.1 Effiziente Maßnahmen zur Früherkennung existieren bisher allerdings nicht.

Pankreaskarzinom

Die Beziehung zwischen Bauchspeicheldrüsenkrebs und Typ-2-Diabetes sei bidirektional, so der Referent: Ein langjähriger Diabetes Typ 2 (>5 Jahre) erhöhe das Risiko für ein Pankreaskarzinom um 50–100%. Umgekehrt verursache der Tumor in 80–85% der Fälle eine gestörte Glukosetoleranz. 25–30% der Patientinnen und Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs haben zuvor einen neu aufgetretenen Diabetes. „Der Prozess ist umkehrbar“, sagt Scherübl. Gelingt bei adipösen Menschen eine Remission des Typ-2-Diabetes über 10 Jahre, so sinkt das Krebsrisiko im Vergleich zu fortbestehender Erkrankung um die Hälfte.

Unspezifische Symptome gehen Diagnose voraus

Der Großteil der Pankreaskarzinom-Diagnosen erfolgt in der palliativen Situation. In nur rund 20% der Fälle kann der Tumor noch reseziert werden. 1–3 Jahre vor der Diagnose befinden sich andererseits etwa 80% der Betroffenen bereits aufgrund unspezifischer Symptome in ärztlicher Behandlung.

Der Bauchspeicheldrüsenkrebs sei eine metabolische Erkrankung und gehe mit Beschwerden wie Bauch- und Rückenschmerzen, Appetitlosigkeit, Sarkopenie, Gewichtsverlust und weiteren GI-Symptomen einher. Eine wichtige Rolle spielen extrazelluläre Vesikel, die Onkometabolite enthalten. „Der Tumor reguliert über die Stoffe, die er freisetzt, seine Metastasierung und sein eigenes Wachstum“, erläuterte der Experte. Darüber hinaus interagiere der Krebs mit den Beta-Zellen des Pankreas, sodass es zu einer gestörten Insulinsekretion kommt. Das Zusammenspiel mit Adipozyten, Hepatozyten und Muskelzellen führe wiederum zu einer Insulinresistenz. Infolgedessen entstehen Diabetes, Muskelschwund und Kachexie.

Menschen über 50 Jahre mit einem BMI <25 kg/m2, bei denen ein Diabetes neu auftritt und die an Gewicht verlieren, haben ein um den Faktor 20 gesteigertes Risiko für ein Pankreaskarzinom. Aber auch Übergewichtige zeigten diese Assoziation, wenn auch schwächer ausgeprägt. Der Zusammenhang lässt sich potenziell zur Früherkennung nutzen. „In angelsächsischen Ländern setzt man das schon im Alltag um“, betont Scherübl.

Angewandt wird hier der END-PAC*-Score. Beträgt dieser ≥3, könne man zumindest an einen Tumor der Bauchspeicheldrüse denken. Punkte gibt es für ein Alter >50 bzw. 60 Jahre, Gewichtsverlust und neu aufgetretenen Diabetes. Das NICE-Institut in London empfiehlt dann – aber erst ab 60 Jahren – eine Schnittbildgebung des Pankreas innerhalb von 14 Tagen. Abschließend rät Scherübl, Personen mit Diabetes regelmäßig zur Krebsfrüherkennung der gesetzlichen Krankenkassen zu schicken.

Hepatozelluläres Karzinom

Etwas weiter mit Screening bzw. Überwachung ist man beim Leberkrebs. Prof. Dr. Münevver Demir, Charité – Universitätsmedizin Berlin, erinnert daran, dass die Inzidenz des hepatozellulären Karzinoms in der Gruppe der Menschen mit Diabetes rund dreimal so hoch ist wie bei Personen ohne.2 Das Risiko steigt, je schlechter der Blutzucker eingestellt ist. Entscheidend bleibe aber das Stadium der Fibrose; am höchsten sei die Gefahr im Falle einer Leberzirrhose.

Metformin bei bestehender Lebererkrankung erwägen

In der deutschen HCC-Leitlinie gibt es bisher keine allgemeine Empfehlung für die Surveillance von Personen mit Typ-2-Diabetes, erläutert Demir. Die Autorinnen und Autoren raten, bei Menschen mit chronischer Lebererkrankung das Fibrosestadium wiederholt zu erheben, um das HCC-Risiko besser einzuschätzen. Liegt gleichzeitig ein nicht-Insulin­abhängiger Diabetes mellitus vor, sollte man eine Behandlung mit Metformin prüfen, damit jenes sinkt. Auch in der europäischen Leitlinie findet sich keine Empfehlung zu einem generellen Screening, da der Nutzen nicht für alle Risikogruppen nachgewiesen wurde.

Um die Gefahr einer MASLD**, den Fibrosegrad und letztendlich das HCC-Risiko einzuschätzen, eigne sich folgender Algorithmus:

  • FIB-4 <1,3 (niedriges Risiko): Die Überwachung bleibt in der primärärztlichen Versorgung oder in der diabetologischen Praxis.
  • FIB-4 >1,3 und <2,67 (intermediäres Risiko) und FIB-4 >2,67 (hohes Risiko): Spezialisierte Versorgung (Gastroenterologie, Hepatologie oder zugehörige Hochschulambulanzen)

Neu in den Expertengremien der Diabetologischen Gesellschaften: Der diagnostische Algorithmus „Liver Health Check“. Wie Demir berichtet, wird nun empfohlen, diesen in die Standard-Überwachung bei Typ-2-Diabetes zu integrieren. Der Check beinhaltet die Bestimmung des FIB-4:

  • FIB-4 < 1,3: jährlicher Check
  • FIB-4 ≥ 1,3: Elastografie oder weiterer nicht-invasiver Fibrosetest (ELF-Test); bei Elastografie ≥8 kPa oder ELF ≥9,8: Überweisung in die spezialisierte Versorgung; dort HCC-Surveillance mittels Ultraschall alle 6 Monate

Zielgruppen für ein Pankreas-Screening

Scherübl präsentierte eine Studie, in der Menschen, die einen Diabetes neu entwickelt hatten (<1 Jahr), nach der Resektion ihres Pankreaskarzinoms hinsichtlich des OS besser abschnitten als diejenigen ohne. „Daher kommt das Interesse der Pankreaschirurgie an der Untergruppe mit neu aufgetretenem Diabetes“, so der Referent. Ähnliche Ergebnisse erhielten japanische Forschende in einer retrospektiven Studie. Zurzeit laufen prospektive Untersuchungen hinsichtlich der Früherkennung bei ausgewählten Personen mit rezenter Diabetesdiagnose. „Wir müssen die nächsten Jahre abwarten, ob es mit diesen Studien gelingt, die Personengruppen besser zu definieren, die man vielleicht überwachen sollte“, so Scherübl.

*             Enriching New-onset Diabetes for Pancreatic Cancer

**           Metabolic Dysfunction-associated Steatotic Liver Disease

Quelle: Diabetes Kongress 2024; Berlin, 8.–11.5.2024

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum onko