24. Mai 2023Österreichisches Gesundheitssystem

Kosten onkologischer Versorgung steigen enorm

Krebserkrankungen stellen eine der größten Herausforderungen für das österreichische Gesundheitssystem dar. Verstärkte Zentrenbildung und Ambulantisierung, Etablierung einer abgestuften Versorgung und Einsatz von eHealth-Anwendungen könnten Abhilfe leisten.

Konzept der teuren Medizin
Vitalii Petrushenko/GettyImages

Die Gesundheitsausgaben sind in Österreich zwischen den Jahren 2000 und 2020 um insgesamt 43% gewachsen, das Bruttoinlandsprodukt allerdings nur um 13%. Somit lag das Kostenwachstum im öffentlichen Gesundheitssystem deutlich über dem Wachstum der Gesamtwirtschaft, berichtet Dr. Markus Kraus, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.

Ausgaben im onkologischen Bereich steigen am meisten

Betrachtet man nur die Ausgaben im onkologischen Bereich, so sind diese seit dem Jahr 2000 um 300% gestiegen. Die Ausgaben in der allgemeinen Gesundheitsversorgung sind im selben Zeitraum allerdings nur um 47% gestiegen. Wieso die Kosten im onkologischen Bereich so viel stärker steigen, hat zahlreiche Gründe, erklärt Kraus.

Krebserkrankungen sind die zweithäufigste Todesursache in Österreich. 2021 waren rund 23% aller Todesfälle auf Krebserkrankungen zurückzuführen. Die jährlichen Krebs-Neuerkrankungen pro altersstandardisierter Bevölkerung sind zwischen 1985 und 2020 relativ konstant geblieben. Im selben Zeitraum war die Zahl der Todesfälle bei Männern als auch bei Frauen sogar rückläufig.

Werden allerdings die absoluten Zahlen jährlicher Neuerkrankungen betrachtet, so ist eine deutliche Steigerung erkennbar. Folglich steigt auch die Zahl der zu behandelnden Krebspatientinnen und Krebspatienten stark an. Grundlegend für diesen Anstieg ist eine alternde Bevölkerung in Österreich und die Tatsache, dass das Risiko an Krebs zu erkranken mit dem Alter deutlich steigt, so Kraus.

Innovationen führen zu Herausforderungen

Im Bereich der Onkologie kam es in kürzester Zeit zu einer Vielzahl an Innovationen. Kontinuierliche Entwicklungen in der medizinischen Forschung führen zu mehr Behandlungsoptionen und einer Verbesserung der Überlebensraten von Krebspatientinnen und -patienten. Allerdings erhöht sich somit auch die Zahl der Betroffenen, die chronisch mit einer Krebserkrankung zu kämpfen haben. Rezidivierende Tumoren, weitere Nachsorge und das gestiegene Volumen an Patientinnen und Patienten bringen das onkologische Gesundheitswesen an die Grenzen des Machbaren. Gleichzeitig sind neue Medikamente oft sehr teuer.

„Reden nicht nur über Geld“

„Wir reden hier aber nicht nur über Geld, sondern auch über das benötigte Personal“, hebt Dr. Thomas Czypionka, ebenso Gesundheitsökonom am IHS, hervor. Dass diese dynamischen Entwicklungen im onkologischen Bereich auch weiter voranschreiten werden, davon zeigt er sich überzeugt.

Die konstante Verbesserung der Vorsorge führt zudem dazu, dass Krebserkrankungen früher erkannt werden und somit mehr Menschen kurativ behandelt werden können. „Gleichzeitig haben wir es inzwischen mit einer gesünderen älteren Bevölkerung zu tun, die belastendere Therapien auch im Alter besser verträgt,“ so Czypionka. Auch in der Diagnose hat es durch die Entwicklungen von Next-Generation-Sequencing und dem Detektieren zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) in den letzten Jahren einige Fortschritte gegeben. Um dieses extrem starke Anwachsen an Leistungen im onkologischen Gesundheitswesen zu kontrollieren, muss sich einiges in der Versorgung ändern, betont Czypionka.

Verstärke Zentrenbildung nötig

Die Komplexität in der Biologie und somit auch in der Behandlung vieler Tumorentitäten benötigt einen hohen Spezialisierungsgrad, sowohl klinischer als auch technischer Art.

Es ist erwiesen, dass die Ergebnisqualität für Patientinnen und Patieten mit der Anzahl der durchgeführten Behandlungen einer Abteilung steigt. Dies hat sich auch in der Onkologie bestätigt. Wenn also mehr Karzinome eines bestimmten Typs in einem Zentrum behandelt werden, verbessert das den Outcome für die Betroffenen. Das ist auf Lern- und Synergieeffekte zurückzuführen und ist der Grund für einen bestehenden Trend in Europa, die Zentrenbildung zu fördern. Erstdiagnose, Einstufung und Einstellung der Behandlung sollten daher in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.

Ambulante Therapien müssen ermöglicht werden

Gleichzeitig benötigt es eine abgestufte Versorgung. Es muss entschieden werden, wohin ein Patient/eine Patientin nach der Behandlung in einem Zentrum überwiesen wird. Je nach Tumortyp und Therapie wird dies unterschiedlich sein und kann bis hin zur Therapie zu Hause reichen.

Allerdings werden hierfür etliche Änderungen und Anpassung der Prozesse im Gesundheitssystem benötigt. Eine Voraussetzung ist eine Verbreiterung des Personals. Qualifiziertes Pflegepersonal, wie z.B. Cancer Nurses, müsste ausgebildet werden. Auch zusätzliche Apothekerinnen und Apotheker müssten vermehrt für das Management von Medikamenteninteraktionen eingesetzt werden. Zudem wären Hotlines von Spezialistinnen und Spezialisten für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, z.B. bei Rückfragen zu Nebenwirkungen, erforderlich.

Benötigen mehr eHealth-Anwendungen

Um die Last der Kliniken zu mildern, benötigt es zudem einen vermehrten Einsatz von eHealth-Anwendungen. Ein elektronischer Befundaustausch und online abgehaltene Tumorboards sind unabdingbar für eine verbesserte Absprache zwischen Fachärztinnen und Fachärzte. Auch der Erhalt einer Therapie in den eigenen vier Wänden könnte durch ein Telemonitoring der Symptome gewährleistet werden.

Grundsätzlich bieten eHealth-Anwendungen zahlreiche Vorteile. Sie verringern die Behandlungslast und können zugleich die Lebensqualität verbessern. Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung fördert das Vertrauen und der Informationsaustausch wird verbessert. Zudem führen die Anwendungen zu mehr freien Kapazitäten in den Krankenhäusern.

Müssen mit Innovationen Schritt halten

„Die Entwicklung im onkologischen Gesundheitswesen ist stark geprägt durch Neuerungen in den Therapiemöglichkeiten, die wir nicht kontrollieren können“, erläutert Czypionka. Da die Leistungen stark steigen, erhöhen sich folglich auch die Kosten.

Die Versorgung müsse dringendst angepasst werden, um mit den Innovationen Schritt halten zu können. Dies ist durch Einführung der genannten Punkte – verstärkte Zentrenbildung und Ambulantisierung, Etablierung einer abgestuften Versorgung und Einsatz von eHealth-Anwendungen – machbar.

Pressekonferenz „Zukunftsperspektiven der onkologischen Versorgung“ des Instituts für Höhere Studien (IHS), virtuell, 23.5.23