10. Jän. 2025medonline Medizingeschichte #40

Frederick Banting und die Entdeckung des Insulins

Frederick Grant Banting wird am 14. November 1891 als jüngstes von fünf Kindern von William Thompson Banting und Margaret Grant auf der Farm seiner Familie in Ontario, Kanada, geboren.

Sir Frederick Grant Banting
Foto: Public Domain/University of Toronto

Frederick Bantings Jugendjahre

In einer Umgebung, die vom Rhythmus der Landwirtschaft geprägt ist, bewegen ihn zwei Erlebnisse in seiner Kindheit dazu, eine medizinische Laufbahn einzuschlagen. Als in seiner Gegenwart ein Dach einstürzt und zwei Arbeiter unter sich begräbt, läuft Frederick zum Gemeindearzt und holt ihn an die Unfallstelle. Die Anwesenheit des Mediziners beruhigt die bis dahin chaotischen Verhältnisse vor Ort, was bei dem Kind einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Später erkrankt eine seiner engsten Freundinnen im Alter von 14 Jahren an Diabetes mellitus. Bis dahin ein lebhaftes und energiegeladenes Kind, verliert sie Gewicht, klagt über unstillbaren Durst und erliegt wenige Monate später ihrer Erkrankung. Frederick, einer der Sargträger des Mädchens, ist am Boden zerstört und fragt sich, warum noch niemand eine Heilung für diese schreckliche Krankheit gefunden hat. In der Folge wächst in ihm der Wunsch, Arzt zu werden.

Frederick und Thompson Banting, ca. 1900.
Foto: Public Domain/wikimedia

Der ca. 10-jährige Frederick Banting mit seinem älteren Bruder Thompson in einer undatierten Aufnahme um 1900.

Dieser Wunsch steht zunächst im Konflikt mit den Vorstellungen seiner Familie. Als diese Differenzen aufgelöst sind, beendet Frederick sein an der Universität Toronto begonnenes Theologiestudium und wechselt an die Medizinische Fakultät. Während des Ersten Weltkriegs unterbricht er seine Ausbildung und dient im Canadian Army Medical Corps in Frankreich. Nach dem Krieg schließt er seine Ausbildung als orthopädischer Chirurg am Hospital for Sick Children in Toronto ab und eröffnet eine Praxis in London, Ontario.

Frederick Banting in Forschung und Lehre

Da die Geschäfte nur schleppend laufen, ist er nebenbei als Professor an der University of Western Ontario tätig. Für eine seiner Vorlesungen über die Bauchspeicheldrüse beschäftigt sich intensiv mit dem Organ. Bekannt ist damals, dass die Bauchspeicheldrüse verschiedene Flüssigkeiten produziert, die im Darm eine Rolle bei der Verdauung spielen. Experimente von Dr. Joseph Freiherr von Mering und Dr. Oscar Minkowski im Jahr 1890 zeigten darüber hinaus, dass Hunde ohne Bauchspeicheldrüse viele Symptome von menschlichem Diabetes aufweisen. Im Jahr 1900 stellte Dr. Eugene Lindsay Opie fest, dass die Bauchspeicheldrüse von Diabetikern äußerlich normal erscheint, mit der Ausnahme, dass die Zellinseln (Langerhans-Inseln) geschrumpft sind. Dr. Moses Barron berichtet von einer Autopsie, bei der die Bauchspeicheldrüsengänge eines Patienten durch Steine blockiert waren. Während die Azinuszellen zerstört waren, blieben die Inselzellen intakt. Ähnliche Ergebnisse erzielte Dr. Leonid Sobolew 1901 in Experimenten mit Hunden. In Dr. Frederick Bantings Tagebuch findet sich folgender Eintrag: „Diabetus [sic]. Ligate pancreatic ducts of dog. Keep dogs alive till acini degenerate leaving islets. Try to isolate the internal secretion of these to relieve glycosurea [sic].“

Frederick Bantings Entdeckung des Insulins

Frühere Experimente mit Extrakten aus einer gesunden Bauchspeicheldrüse zeigten keine Wirkung bei Diabetikern. Banting schlägt vor, einen gereinigten Extrakt ausschließlich aus den Inselzellen zu gewinnen. Er wendet sich an Professor John James Rickard Macleod, einen Experten für Kohlenhydratstoffwechsel, der ein großes Labor an der Universität Toronto leitet. Obwohl Macleod zunächst skeptisch ist, erlaubt er Banting schließlich die Nutzung seines Labors. Im Mai 1921 beginnt Banting zusammen mit Charles Herbert Best, einem 21-jährigen Medizinstudenten, seine Experimente. Sie binden die Bauchspeicheldrüsengänge von Hunden ab, entnehmen nach einigen Wochen die degenerierte Bauchspeicheldrüse und gewinnen einen Extrakt. Diesen injizieren sie einem kranken Hund namens Marjorie, dessen Bauchspeicheldrüse einige Tage zuvor entfernt wurde. Innerhalb einer Stunde zeigt der Hund eine deutliche Verhaltensänderung. Er hebt den Kopf, steht auf und wedelt mit dem Schwanz. Der Blutzucker des Hundes sinkt dramatisch. Banting nennt den Extrakt „Isletin“.

Diese Erfolge sind jedoch nur von kurzer Dauer, da der Blutzuckerspiegel nur vorübergehend sinkt. Banting erkennt, dass er eine größere Quelle für Bauchspeicheldrüsenextrakte benötigt. Er erfährt von einem Bericht, wonach die Bauchspeicheldrüse von Föten und neugeborenen Tieren einen höheren Anteil an Inselzellen hat. Mit seinem Wissen aus der Landwirtschaft beschafft Banting Föten von geschlachteten, trächtigen Kühen. Zu seiner Freude wirkt das Kuh-Isletin genauso gut wie der aus Hunden gewonnene Extrakt. Als Macleod aus Schottland zurückkehrt, hinterfragt er die Ergebnisse und fordert weitere Experimente. Obwohl Banting dies als persönlichen Angriff wertet und droht, seine Arbeit in den USA fortzusetzen, überzeugt ihn die Fakultät zu bleiben. Das Verhältnis zwischen Banting und Macleod bleibt aber in der Folge zerrüttet.

Im weiteren Verlauf von Bantings Experimenten erkennt Macleod die Bedeutung der Entdeckung und widmet die Ressourcen seines ganzen Labors dem Projekt. Mit Hilfe des Biochemikers Dr. James Collip gelingt es dem Team schließlich, Insulin für den Gebrauch am Menschen zu raffinieren. Im Frühjahr 1922 injizieren Banting und seine Kollegen Insulin einer Gruppe von an Diabetes erkrankten Kindern. Sie liegen im diabetischen Koma und haben nur noch wenige Tage zu leben. Schon während den letzten Patienten das Extrakt verabreicht wird, beginnen die ersten Kinder aus dem Koma zu erwachen. Bald ist die ganze Gruppe ins Leben zurückgeholt. Diabetes mellitus, bis dahin ein sicheres Todesurteil, ist damit behandelbar geworden.

Die genaue Rolle von Macleod in Bantings Forschung bleibt umstritten. Laut Banting hatte Macleod keinen Anteil an den ersten Experimenten und war erst nach seiner Rückkehr aus Schottland beteiligt. Macleod behauptet jedoch, Banting und Best von Anfang an angeleitet zu haben. Trotz ihrer Feindseligkeit erhalten Banting und Macleod 1923 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die Entdeckung von Insulin, Banting mit 32 Jahren als der bis dahin jüngste Preisträger in seiner Disziplin. Er ist aber empört, dass Macleod ebenfalls ausgezeichnet wird, während der seiner Meinung nach viel intensiver involvierte Best nicht einmal erwähnt wird, und lehnt die Auszeichnung zunächst ab. Schließlich akzeptiert er sie und teilt sein Preisgeld mit Best. Macleod wiederum teilt seinen Anteil mit Collip.

Banting malt leidenschaftlich gern, um dem Druck medizinischen Karriere zu entkommen, und verwendet dabei das Pseudonym „Frederick Grant“. 1927 lernt er den Landschaftsmaler A.Y. Jackson kennen, mit dem er häufig in abgelegene Gebiete reist. Als Jackson fragt, ob Banting sich vorstellen könnte, hauptberuflich Maler zu werden, antwortet er: „When I am fifty, that’s what I intend to do.“ 1934 wird er für seine bahnbrechende Entdeckung von König George V. von Großbritannien zum Ritter geschlagen.

Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, dient Banting erneut im kanadischen Militär, diesmal als Koordinator für medizinische Forschung. Am 20. Februar 1941 stürzt ein Flugzeug, in dem er Passagier ist, kurz nach dem Start ab. Erst vier Tage später erreicht Hilfe die Absturzstelle, Banting ist zu diesem Zeitpunkt aber schon seinen Verletzungen erlegen. Das Vorhaben, seine Zeit ausschließlich der Malerei zu widmen, kann er nicht mehr realisieren. Zum Zeitpunkt seines Ablebens ist Frederick Banting 49 Jahre alt.

Diabetes mellitus

Im antiken Griechenland wurde der Begriff „Diabetes“ mit der Bedeutung des „Durchfließens“ verwendet, um den großen Wasserkonsum und den in der Folge großen Harndrang von Diabetikern zu beschreiben. In der römischen Antike etablierte sich das Postfix „mellitus“ – „süß wie Honig“, nachdem der süße Geschmack des Harns von Diabetikern bemerkt wurde. Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Prognose für Kinder mit dieser Krankheit sehr schlecht war – nur wenige überlebten länger als ein Jahr nach der Diagnose. Erwachsenen hatten eine Chance von weniger als 20 Prozent, mehr als zehn Jahre nach der Diagnose zu überleben. Dank der Entdeckung von Insulin durch die Forschungsgruppe um Frederick Banting konnten Millionen Menschen weltweit ihr Leben um Jahrzehnte verlängern.