19. Apr. 2024medonline Medizingeschichte #21

That Damn Machine – Philip Drinker und die Eiserne Lunge

Philip Drinker wird am 12. Dezember 1894 in Haverford, Pennsylvania, in eine illustre Familie geboren. Das Jahr seiner Geburt ist, einem Zufall geschuldet, auch das Jahr, in dem in den USA der erste große Polio-Ausbruch stattfindet. Sein Vater ist Henry Sturgis Drinker, Präsident der Leigh University in Bethlehem, PA. Zu seinen Geschwistern zählen Harvard Dean Cecil Drinker, die Biographin Catherine Drinker Bowen und der Anwalt Henry Sandwith Drinker.

Philip ist in seiner Familie keine Ausnahme. Nachdem er 1915 einen Bachelor of Science an der Princeton University erwirbt, studiert er an der Universität seines Vaters für zwei Jahre Chemical Engineering und macht auch diesen Abschluss. 1921 wird er Assistant Professor für Ventilation and Illumination an der neu gegründeten School of Public Health der Harvard University und beginnt mit seiner Arbeit zu Staub und Dämpfen in industriellen Arbeitsumgebungen, die ihm den Beinamen Vater der modernen Industriehygiene einbringen und seine 40 Jahre währende Karriere prägen wird.

Die Eiserne Lunge – eine Zufallsentwicklung

Weltberühmt macht ihn aber eine Erfindung, die nur wenig mit seiner Profession zu tun hat. Drinkers Kollege Louis Shaw arbeitet an einer Apparatur, mit der er die Atmung einer Katze messen will, indem er sie betäubt in eine an ein Manometer angeschlossene Metallbox sperrt. Als Drinker das beobachtet, kommt ihm seine bahnbrechende Idee.

Drinker und Shaw lähmen die Atemmuskulatur des Tieres mit dem Pfeilgift Curare und schließen eine Luer-Spritze an die Box an, mit der sie Luft hineinpumpen und wieder anziehen. Mit dieser Methode schaffen sie es, das Tier für mehrere Stunden am Leben zu erhalten. Nachdem sie mehrere Monate mit der Methode experimentiert haben, sind die beiden zuversichtlich, ihre Methode der künstlichen Beatmung durch negativen Druck am Menschen anwenden zu können.

Kommerzialisierung und Polio-Einsatz des Drinker-Respirators

In den 1920er-Jahren finanziert die Consolidated Gas Company of New York Forschungsbestrebungen auf dem Gebiet der künstlichen Beatmung mit dem Ziel der Wiederbelebung von Personen, die durch Erdgas erstickt sind. Drinker präsentiert sein Konzept und bekommt eine Zuwendung von 500 US-Dollar, um seinen Respirator für die Anwendung am Menschen weiterzuentwickeln.

Während er daran arbeitet, wird Drinker an das Children’s Hospital in Boston gerufen, wo er einen klimatisierten Raum für Frühgeburten konzipieren soll. Am Weg durch die Abteilungen kommt er an der Polio-Station vorbei und sieht dort kleine Kinder, die durch Atemlähmung einen grausamen Erstickungstod sterben. Tief bewegt von den kleinen, blau verfärbten und nach Luft schnappenden Gesichtern, realisiert Drinker das Potenzial seiner Erfindung für an Polio leidende Kinder.

Nachdem er seine Maschine an sich selbst und seinen Kollegen getestet hat, ist 1928 ein achtjähriges, an Polio leidendes Mädchen seine erste Patientin. Als Drinker im Kinderkrankenhaus erscheint, ist das Mädchen schon in seiner Maschine, ihre Atmung hat ausgesetzt. Nachdem er den Respirator eingeschaltet hat, dauert es weniger als eine Minute, bevor die Patientin ihr Bewusstsein wiedererlangt und kurz darauf um Eiscreme bittet. Nachdem sie 122 Stunden erfolgreich beatmet worden ist, stirbt das Mädchen an einem durch Bronchopneumonie verursachten Herzversagen.

Sein Drinker Respirator funktioniert aber und stellt einen der ersten kritischen Momente der modernen Medizintechnologie dar. 1929 publizieren Drinker und Shaw ihre Entwicklung im Journal of Clinical Investigation.*

Drinker wendet sich in der Folge wieder seinem eigentlichen Fachgebiet der Industriehygiene zu und entwickelt im Zweiten Weltkrieg Sauerstoffmasken für Bomberbesatzungen und Gasmasken. Seine Respirators pumpen während der Polio-Epidemien dieser Zeit unermüdlich Luft in die Lungen Erkrankter, bis sie ab Mitte der 1950er-Jahre mit der Entwicklung der Polio-Impfung schrittweise obsolet werden. Dem Schatten dieser Verdammten Maschine, wie er sie bezeichnete, entkommt er aber bis zu seinem Tod im Jahr 1972 nicht mehr.

Quelle: Rebecca Akkermans. Philip Drinker. The Lancet, Respiratory Medicine. doi.org/10.1016/S2213-2600(14)70130-4