Genetisch prädisponiert zum Allroundstar
Dr. Johannes Längle „brennt für das, was ihn am Leben hält“: Tumore herausschneiden und dann beforschen. Mit der krebs:hilfe! spricht der angehende Chirurg nicht nur darüber, was Krebszellen stresst, sondern auch über den eigenen Kortisolspiegel. (krebs:hilfe! 5/19)
Längle, 29, ist Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Chirurgie, Wien, und erhielt für seine wissenschaftliche Tätigkeit bereits einige Auszeichnungen. Dazu zählen eine Förderung der Fellinger Krebsforschung, der Theodor-Billroth-Preis der Wiener Ärztekammer sowie Vortrags- und Posterpreise bei (inter)nationalen Kongressen. Im März wurde er zum Researcher of the Month der MedUni Wien gewählt.
Immunität initiieren?
Die prämierte Arbeit widerlegt vorklinische Ergebnisse und zeigt, dass DNA-Schäden im Tumor einen negativen Einfluss auf das Überleben bei kolorektalen Lebermetastasen haben (Laengle J et al., Theranostics 2018). Sie weist sogar darauf hin, dass Patienten, die viele DNA-Schäden haben, eine Hochrisikogruppe darstellen. Um zu verstehen, warum, untersucht Längle nun, ob Stress-, Stammzell- und Metastasierungsmarker mit DNA-Schäden korrelieren. „Das würde bedeuten, DNA-Schäden weisen nur darauf hin, dass Tumorzellen schon Stammzell- und Stressprogramme raufgefahren haben, daher aggressiver und resistenter werden und leichter Zellen absiedeln.“
Die spannendste Frage für Längle ist: „Wie kann ich dem Körper helfen, den Tumor als böse zu erkennen? Wenn ich ein Immunsystem habe, das den Tumor erkennt, dann habe ich ein gutes Überleben, egal, was ich sonst mache, OP, Chemo- oder Strahlentherapie, etc. Viele Therapien wirken nicht mehr, wenn ich ihnen das Immunsystem wegnehme. Umgekehrt stressen oder zerstören Chemo-/Strahlentherapien Tumorzellen zum Teil, sodass Tumormaterial frei wird und eine Immunantwort auslöst.“ Um das Immunsystem durch Stress zu stimulieren, will Längle untersuchen, ob es z.B. bei der Strahlentherapie ausreicht einen Startreiz zu setzen, d.h. eine geringere Dosis und Dauer, und damit einen abscopalen Effekt auszulösen. „Wahrscheinlich ist es gar nicht notwendig, die Zelle zu töten.“
Ständiges Streben
Warum der ambitionierte Forscher Chirurg werden will? „Erst einmal haben wir damit den Zugang zum Material, denn wir schneiden den Tumor heraus“, lautet die pragmatische Antwort. „Darüber hinaus ist die Chirurgie das rationalste Konzept: Da ist etwas faul, das schneidet man weg. Außerdem hat man einen direkten Erfolg, es ist etwas, das man mit den eigenen Händen macht. Und die Chirurgie ist immer schon sehr individualisiert. Man muss extrem adaptiv handeln.“ Daneben beschreibt Längle die außergewöhnliche Dankbarkeit, die man als Chirurg erfährt. „Wenn jemand sich so anvertraut, dass man eine aktive Körperverletzung begeht und er nachher gesund wird, ist einem dieser Mensch bis ans Lebensende dankbar.“
Nach seinen Herausforderungen gefragt, nennt Längle das „ständige Streben“ nach Erkenntnis. „Kaum ist eine Frage beantwortet, hat man zehn neue. Das ist ernüchternd, weil man nicht zur Ruhe kommt und auch Erfolge nicht so realisiert. Da ist ein Feuer, das einen antreibt und an dem manche vielleicht zugrunde gehen.“ Diese Gefahr sieht er bei sich aber nicht. „Solange es Freude macht und man dabei leben kann, mache ich so viel ich will, soll und kann.“ Dazu zählt auch die Selbstverständlichkeit, jederzeit ins Krankenhaus zu kommen, wenn es einem seiner Patienten plötzlich schlechter geht. Und dann ist da noch der Wunsch „alles einmal gekonnt zu haben“, und zwar alle Standardoperationen und darüber hinaus. Ob sein Vater, Univ.-Doz. Dr. Friedrich Längle, Primar der Chirurgie am Landesklinikum Wr. Neustadt, diesbezüglich ein Vorbild ist? „Ja, definitiv.“
Primum non nocere
Selbst irgendwann die „Grenzen der Biologie“ zu spüren, ist aber durchaus etwas, das den Jungarzt beschäftigt. „Ich habe dieselben Risiken, Krebs zu bekommen wie andere Menschen auch. Der hohe Kortisolspiegel macht kurzfristig glücklich, lässt aber auch altern.“ Früher, so Längle, sei er sehr sportlich gewesen. Sport gegen Stress geht sich heute nicht mehr in demselben Ausmaß aus wie früher. Was den angehenden Chirurgen hingegen nicht stresst, ist sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen. „Man lernt dabei selber viel über ,das Leben‘ und kann dann im familiären Bereich auch besser damit umgehen.“
Und: „Nur wenige können Gespräche mit Patienten gegen Ende des Lebens gut führen. Oft denkt man: ,In dem Stadium hat es schon ein anderer Arzt gemacht.‘ Aber vielen ist das unangenehm. Ich habe hier einiges von den Palliativmedizinern lernen können. Begleite, sei da, unterstütze!“ Das Wichtigste seien Ehrlichkeit und Aufklärung. „Man muss verständlich erklären, was auf die Menschen zukommt und klar machen, wir unterstützen und sind dabei. Würdevoll sterben heißt auch, etwas weglassen, das nicht (mehr) hilft oder gar schadet.“
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