13. Nov. 2018DGHO 2018

Therapie in Zeiten der Präzisionsmedizin

Ein Bild von der Jahrestagung der internistischen Onkologen in Wien.
FOTO: DGHO SERVICE GMBH/FOTOGRAFIE ULI REGENSCHEIT

Bei der Jahrestagung der deutschsprachigen Fachgesellschaften für internistische Onkologie in Wien standen unter anderem aktuelle Entwicklungen im Bereich der Zelltherapie im Fokus. Auch darüber, wie Forschung in Zukunft aussehen kann, wurde diskutiert. (krebs:hilfe! 11/18)

Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie war auch in diesem Jahr zentraler Termin für die in der Versorgung von Bluterkrankungen und soliden Tumoren Tätigen. Etwa 5.600 Experten haben sich im Austria Center in Wien fünf Tage lang über therapeutische Neuerungen informiert und medizinische, versorgungspolitische, ökonomische und ethische Fragestellungen diskutiert.

Immunologische Therapien

Eines der Schwerpunktthemen und Highlights des diesjährigen Kongresses waren die zelltherapeutischen Ansätze und das T-Zell-Engineering. Mit der Ende August auch in Europa erfolgten Zulassung der Therapie mit chimären Antigen-Rezeptor-T-Zellen (CAR-T-Zellen) für die Behandlung von Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) oder diffus großzelligem B-Zell-Lymphom wird das therapeutische Portfolio um ein völlig neues, in ersten Studien teilweise hoch effektives Prinzip für die Behandlung von Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen erweitert. „In klinischen Studien erreichen wir Ansprechraten von 60 bis 90 Prozent bei der ALL und 30 bis 50 Prozent bei Non-Hodgkin- Lymphomen in fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Das ist bei diesen bisher schwer zu behandelnden Patienten weit mehr als mit anderen Therapien“, betonte Kongresspräsidentin Univ.-Prof. Dr. Hildegard Greinix, LKH-Universitätsklinikum Graz.

Die CAR-T-Zellen seien dabei nur ein Beispiel für die enormen therapeutischen Fortschritte, die in den letzten Jahren speziell auf dem Gebiet der immunologisch basierten Anti-Tumor-Therapien zu verzeichnen sind. Zu den Immuntherapien zählen auch die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die unter anderem bei der Behandlung von Patienten mit malignem Melanom eine neue therapeutische Ära eingeläutet haben. Immuntherapien seien ein gutes Beispiel dafür, wie langjährige und beharrliche Grundlagenforschung – in diesem Fall zu den Interaktionen zwischen Immunsystem und malignen Zellen – letztlich den Patienten zugutekommt. Was für die Immuntherapien gilt, gelte auch für die gezielten Krebstherapien, die sich an den individuellen genetischen Eigenschaften des jeweiligen Tumors orientieren.

Vernetzte Forschung stärken

Insgesamt wurden im Jahr 2016 von der Europäischen Kommission 14 neue Arzneimittel in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie zugelassen. Im Jahr 2017 waren es bereits 19. „Das ist deutlich mehr als in anderen Fachgebieten, wo Zulassungen meist nur im einstelligen Bereich liegen, illustriert die enorme Entwicklungsdynamik im Bereich der Onkologie und macht deutlich, dass sich Investitionen in Forschung auszahlen“, sagt OeGHO-Präsident Univ.-Prof. Dr. Andreas Petzer, Ordensklinikum Linz. Die Fortschritte im Bereich der Grundlagenforschung und die letztlich daraus resultierende, immer stärkere Stratifizierung bzw. Personalisierung bei der Behandlung von Bluterkrankungen und soliden Tumoren sind dabei nicht nur ein Segen für viele Patienten. Sie sind aber auch eine Herausforderung für die klinische Forschung, da klinische Studien auf ganz bestimmte, immer kleinere Subgruppen von Patienten zugeschnitten werden müssen.

Petzer illustrierte das am Beispiel des Lungenkarzinoms – einer Entität, bei der mittlerweile zahlreiche therapierelevante genetische Mutationen bekannt sind, die zumindest teilweise nur einen einstelligen Prozentsatz aller Patienten mit Lungenkarzinom betreffen. „Diese Entwicklung führt dazu, dass ein Zentrum, das an einer klinischen Studie teilnimmt, heute weniger Patienten in eine entsprechende Studie einbringen kann“, so Petzer. Für das Fachgebiet in den deutschsprachigen Ländern kann das ein Nachteil sein, weil sich kleinere oder mittelgroße Krankenhausstrukturen mitunter schwertun, genug Patienten zu rekrutieren, um für internationale Studienprojekte attraktiv zu sein. „Wir müssen deswegen Netzwerkstrukturen weiter ausbauen und klinische Studien noch besser zentrenübergreifend koordinieren, um unseren Patienten auch künftig frühzeitig innovative neue Therapieoptionen zur Verfügung stellen zu können.“

Wissensgenerierende Versorgung

Einen weiteren Ansatz, um in Zeiten steigender Behandlungskosten und immer stärkerer Ausdifferenzierung der therapeutischen Konzepte in der klinischen Forschung konkurrenzfähig zu bleiben und einen frühen Zugang von Patienten zu innovativen Krebsmedikamenten dauerhaft zu gewährleisten, brachte der geschäftsführende Vorsitzende der DGHO, Prof. Dr. Michael Hallek vom Universitätsklinikum Köln, in die Diskussion. Er plädierte für eine stärkere Verquickung von klinischer Forschung und Versorgungsforschung im Sinne einer wissensgenerierenden Versorgung. Bei diesem Ansatz ist letztlich jede Behandlung auch gleichzeitig klinische Forschung.

„Das würde ermöglichen, innovative Arzneimittel früh in die Versorgung zu bringen und gleichzeitig auf Basis aktueller Daten schnell zu reagieren, wenn sich eine Therapie beispielsweise in spezifischen klinischen Konstellationen oder bei bestimmten Subgruppen als besonders günstig oder ungünstig erweist“, so Hallek. Eine der Voraussetzungen für einen solchen Paradigmenwechsel sind umfassende Patientenregister, die in Echtzeit oder zumindest sehr zeitnah analysiert werden können. Das kann nur bei konsequenter, einrichtungsübergreifender und intelligent standardisierter Digitalisierung der Versorgungsdaten gelingen. Entsprechende Netzwerke und Register befinden sich in den USA bereits im Aufbau und sollten auch in Europa zügig umgesetzt werden.

Hochrechnung für 2025

Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung beeinflussen Häufigkeit und Verteilung von Krebserkrankungen. Die DGHO hat dies zum ersten Mal im Jahr 2012 in einem umfangreichen Gutachten analysiert, das nun für das Jahr 2025 unter Berücksichtigung neuer Bevölkerungsprognosen und einer stärkeren Zuwanderung aktualisiert wurde. Die Wissenschaftler gehen von einer deutlichen Zunahme der Neuerkrankungen insbesondere bei altersabhängigen Tumorerkrankungen wie dem Prostatakarzinom aus. DGHO-Vorsitzender Prof. Dr. Carsten Bokemeyer, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: „Das Gutachten zeigt, dass die Bedeutung von Krebserkrankungen auf absehbare Zeit weiter zunehmen wird. Darauf müssen sich die Gesundheitssysteme einstellen, nicht zuletzt, weil dies mit steigenden Kosten verbunden sein wird.“