4. Feb. 2022Erschütternde Folgen

Leichtes, sportbedingtes SHT nicht unterschätzen

Ob durch einen Zusammenprall mit dem Gegner, dem Torpfosten oder beim Sturz auf den Boden: In vielen Sportarten sind Gehirnerschütterungen an der Tagesordnung. Meist geht der Spuk schnell vorbei. Doch jeder Zehnte hat länger mit Problemen zu kämpfen.

Kopfschuss unglücklicher Nahaufnahme Asiatischer Junge, der mit geschlossenen Augen an Kopfschmerzen leidet und den Kopf berührt. Kranker Junge, der mit einem kühlen Gelee auf seinem Kopf liegt.
iStock/Wittayayut

Die Gehirnerschütterung ist die mildeste Form des Schädel-Hirn-Traumas. Kommt es beim Sport dazu, spricht man von der sportassoziierten Gehirnerschütterung (sports related concussion, SRC), erklären der Psychiater Dr. Carlos-Bernhard Gonzales Hofmann aus Romanshorn und Kollegen. Ausgelöst wird sie durch Einwirken einer äußeren Kraft, die zwar stark genug ist, um die weiße Hirnsubstanz (diffus) zu verletzen und neurochemische Vorgänge zu unterbrechen, aber in der Regel nicht zu sichtbaren klinischen Symptomen führt.

Die Beschwerden der SRC sind vielfältig. Sie entstehen Minuten bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis und lassen sich in vier Hauptgruppen einteilen.

  • Physische Symptome: Dazu gehören Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Lichtempfindlichkeit, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit.
  • Kognitive Symptome: Hier dominieren Verwirrtheit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und Verlangsamung.
  • Schlafstörungen: Diese zeigen sich als Einschlafstörungen, vermehrter oder verminderter Schlaf oder Schläfrigkeit.
  • Emotionale Symptome: Häufig sind etwa Traurigkeit, Nervosität, Reizbarkeit oder gesteigerte Emotionalität.

Diagnostiziert wird die SRC anhand der klinischen Untersuchung mit Schwerpunkt auf Kognition, Balance und Überprüfung der Halswirbelsäule. Zahlreiche Checklisten stehen dafür zur Verfügung. Goldstandard sind das Sport Concussion Assessment Tool (SCAT5) bzw. die Kinderversion Child-CAT5. Bei Gangschwierigkeiten kann auch das VOMS (Vestibular/Ocular Motor Screening) hinzugezogen werden.

Ganz wichtig ist es, Warnzeichen für ein Schädel-Hirn-Trauma höheren Grades zu erkennen (siehe Kasten). Abhängig von der Persistenz der Beschwerden muss man manchmal auch einen Neurologen, Psychiater oder Psychologen mit ins Boot holen. Verlässliche Biomarker für die sportassoziierte Gehirnerschütterung gibt es bislang nicht. In der Diskussion stehen beispielsweise Tau-Protein, S100b, Neurofilament light chain (NF-L) oder das Saure Gliafaserprotein. Einen neuen Ansatz könnten sncRNAs (kleine nichtcodierende RNA-Fragmente) im Speichel als Commotio-Marker darstellen.

Doch mehr als eine Gehirnerschütterung?

Diese Warnzeichen sind auch ohne äußerliche Verletzungen verdächtig:

  • fokale neurologische Zeichen, Krämpfe
  • Bewegungslosigkeit oder körperliche Starre
  • wiederholtes Erbrechen, ansteigende Kopfschmerzen, ansteigende Verwirrtheit
  • Balanceprobleme, motorische Instabilität
  • Verhaltensauffälligkeiten, leerer Blick, Orientierungslosigkeit

Bei den meisten Sportlern verschwinden die Beschwerden innerhalb von zwei Wochen wieder. Bei Kindern dauert es bis zu vier Wochen. Etwa 10% der Betroffenen entwickeln ein Post-Concussion-Syndrom (PCS), das manchmal bis über ein Jahr anhält. Betroffen vom PCS sind Erwachsene häufiger als Kinder, und Frauen trifft es häufiger als Männer. Als weitere Risikofaktoren für das Post-Concussion-Syndrom gelten vorher bestehende Depressionen, Angststörungen und Migräne sowie eine positive Familiengeschichte für mentale Störungen.

Rückkehr zum Sport muss stufenweise erfolgen

Die Behandlung besteht in körperlicher und mentaler Ruhe – für 24–48 Stunden. Bleiben Beschwerden länger bestehen, erfordert dies meist eine interdisziplinäre Behandlung. Bei körperlichen Problemen hilft eine Physiotherapie. Antidepressiva können beispielsweise Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen verbessern, bei emotionalen Symptomen ist manchmal eine kognitive Verhaltenstherapie nötig.

Für die Rückkehr zu Sport und Lernen gibt es verschiedene Strategien. Übereinstimmend rät man, dies nach der Ruhepause in Stufen vorzunehmen. Diese verlaufen über ein angepasstes (unterhalb der Symptomschwelle), leichtes, allgemeines Training, sportspezifisches Training ohne Kontakt bis hin zum normalen Training. Der Wechsel auf die jeweils nächste Stufe erfolgt nur, wenn die Symptome innerhalb von 24 Stunden nach dem Training nicht exazerbieren. Auch an das Lernen solle das Gehirn nur stufenweise wieder herangeführt werden. Die Rückkehr zum Lernen wird gegenüber der Rückkehr zum Sport priorisiert.

Eine sportassoziierte Gehirnerschütterung kann langfristige Folgen haben. Manche Sportler mit mehr als drei solcher Ereignisse entwickeln Depressionen und scheinen nach Ende der Sportkarriere eine geringere Lebensqualität zu haben. Frauen berichten manchmal über sexuelle Dysfunktion nach einer SRC, bei Männern ließ sich in Einzelfällen ein Testosteronmangel nachweisen. Allerdings muss ein kausaler Zusammenhang erst noch nachgewiesen werden. Ob multiple „Sub-Commotios“ das Risiko für Stimmungsschwankungen oder Demenz erhöhen, wird immer wieder diskutiert, ist aber ebenfalls noch unklar.

Gonzalez Hofmann C et al. Dtsch Z Sportmed 2021; 72: 293–298; doi: 10.5960/dzsm.2021.501

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune