27. Sep. 2019Late-breaking abstracts

ESMO 2019: Sind neue Krebstherapien ihre Kosten wert?

Im Vergleich zur Standardtherapie weisen viele neue Krebsmedikamente nur wenig Zusatznutzen für Patienten auf, sind dabei aber wesentlich teurer. Das geht aus zwei Studien hervor, in denen der Zusammenhang zwischen klinischem Nutzen und Preisgestaltung in Europa und den USA geprüft  wurde.

Untersucht wurde, ob neue Arzneimittel, die in den letzten 10 bis 15 Jahren in Europa und Amerika zur Behandlung von soliden Tumoren eingeführt wurden, ihre monatlichen Kosten wert sind – im Vergleich zur Standardtherapie und hinsichtlich des klinischen Nutzen der behandelten Patienten bei Überleben, Lebensqualität oder Behandlungskomplikationen.

Geringer Mehrwert, teure Medikamenten

In der ersten Studie1, die in Frankreich durchgeführt wurde, wies fast die Hälfte der zwischen 2004 und 2017 neu in Europa zugelassenen Arzneimittel für die Behandlung solider Tumoren auf der von der ESMO festgelegten Skala zur Einschätzung des klinischen Nutzen (ESMO Magnitude of Clinical Benefit Scale; ESMO-MCBS) einen nur geringeren Mehrwert verglichen mit der Standardtherapie auf.
Auf der von der französischen Arzneimittelregulierungsbehörde eingesetzten ASMR-Skala (Added Therapeutic Benefit Ranking Scale) waren es sogar über zwei Drittel. Im Durchschnitt kosteten neue Arzneimittel jedoch monatlich um 2.525 Euro mehr als die verglichene Standardtherapie.

„Dies ist die erste Studie in Frankreich, die Medikamentenpreise mit ihrem durch zwei anerkannte unabhängige Skalen gemessenen klinischen Nutzen verglich. Sie zeigte dass es hier zwar einen Zusammenhang zwischen Kosten und Zusatznutzen gibt, dieser aber schwach ist“, so Studienmitautor Dr. Marc Rodwin.

US-Kosten doppelt so hoch wie in Europa

Prof. DDr. Kerstin Vokinger

In einer zweiten ähnlichen Studie2 wurde der klinische Nutzen von Arzneimitteln, die von 2009 bis 2017 in vier europäischen Ländern und in den USA zur Behandlung von soliden Tumoren bei Erwachsenen zugelassen wurden, anhand des ESMO-MCBS und einer amerikanischen Skala, dem ASCO-VF (American Society of Clinical Oncology Value Framework) bewertet. Sie fand überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den Arzneimittelkosten und ihren klinischen Nutzen.
Insgesamt lagen die durchschnittlichen Kosten für Krebsmedikamente in Europa deutlich unter den US-Preisen: Die monatlichen Durchschnittskosten für Arzneimittel mit laut ESMO-MCBS niedrigen Werten beim klinischen Nutzen lagen in den europäischen Ländern zwischen 4.361 und 5.273 US-Dollar, in den USA bei 12.436 US-Dollar.

„In keinem der untersuchten Länder waren die Arzneimittelkosten mit dem klinischen Nutzen korreliert. Beispielsweise wiesen einige der teureren Medikamente gegen Prostatakrebs und Lungenkrebs in der Schweiz niedrigere ESMO-MCBS-Werte auf, während billigere Medikamente höhere Werte aufwiesen“, so Studienmitautorin Prof. DDr. Kerstin Vokinger von der Universität Zürich. Sie spricht sich dafür aus, dass sich die Preisgestaltung von Arzneimittel nach ihren klinischen Nutzen richte. Außerdem sollten die ohnehin schon begrenzten Ressourcen für innovative Medikamente, die bessere Ergebnisse erzielen, eingesetzt werden.

Unterstützung für Therapieentscheidungen

Die Österreicherin Dr. Barbara Kiesewetter, PhD, von der MedUni Wien, die Mitglied der ESMO-MCBS Working Group ist, gab an, dass diese Forschungsarbeiten zeigen, wie wichtig der ESMO-MCBS in der klinischen Praxis in Europa dabei ist, Ärzte und Patienten bei Diskussionen und Entscheidungen bezüglich unterschiedlicher Therapieoptionen zu unterstützen.

Dr. Barbara Kiesewetter, PhD

Laut Kiesewetter seien die Kosten einer der Hauptgründe, warum Patienten der Zugang zu neueren Krebsmedikamenten verweigert wird. Mit ESMO-MCBS könne man klar nachweisen, welche Medikamente für Patienten den größten Nutzen bringen. Die Skala sei einfach zu bedienen und helfe, die Faktoren zu verstehen, die zur Beurteilung des klinischen Nutzens von Arzneimitteln herangezogen werden – nicht nur zur Entscheidungsfindung im Klinikalltag, sondern auch, um Entscheidungen bezüglich Arzneimittelerstattungen zu assistieren und damit Benachteiligungen bei der Behandlung zu reduzieren.

Kiesewetter: „Indem wir aufzeigen, welche Medikamente mit größter Wahrscheinlichkeit ihre höheren Kosten auch wert sind, können wir hoffentlich den Zugang zu jenen Medikamenten mit dem größten klinischen Nutzen erleichtern, sodass Patienten eine standardisierte, optimale Therapie erhalten – egal wo sie leben.“

Quelle

ESMO Congress 2019

Referenzen

1  Marino P et al. The price of added value for new anti-cancer drugs in France 2004-17, Abstract 1629O_PR

2 Vokinger K et al. Clinical benefit and prices of cancer drugs in the US and Europe, Abstract 1631PD_PR