Stoffwechsel außer Rand und Band

Die diabetische Ketoazidose ist die gefährlichste Akutkomplikation des Typ-1-Diabetes bei Kindern. Obwohl sich die Beschwerden meist über mehrere Tage entwickeln, werden sie häufig erst spät erkannt. (Medical Tribune 20/18)

Mädchen entgleisen etwas häufiger ketoazidotisch als Buben, und Jugendliche häufiger als kleinere Kinder.

Ein pädiatrisches Problem, bei dem in den letzten 30 Jahren nicht wirklich Fortschritte erzielt wurden, ist der hohe Prozentsatz von Ketoazidosen bei der Manifestation eines Typ-1-Diabetes. „Zuletzt ist unsere Ketoazidoserate sogar wieder leicht angestiegen“, berichtet Assoz. Prof. Dr. Sabine Hofer, Department für Pädiatrie 1, Medizinische Universität Innsbruck. Nach wie vor wird bei rund 23 % der Kinder der Diabetes erst durch die diabetische Ketoazidose diagnostiziert. Im Kleinkindalter liegt der Prozentsatz sogar bei 70 %. „15 % der sehr jungen Kinder manifestieren mit einer schweren diabetischen Ketoazidose!“, kritisiert die Pädiaterin. „Wir denken offensichtlich zu wenig daran, dass auch Kleinkinder an einem Typ-1-Diabetes erkranken können.“

Eine diabetische Ketoazidose, also eine schwerwiegende Stoffwechselentgleisung bei Insulinmangel, kann sich natürlich auch bei bereits bekanntem Diabetes entwickeln. Klassische Ursachen sind Infektionen, Complianceprobleme, eine schlechte Stoffwechseleinstellung und Katheterprobleme bei der Pumpentherapie. Mädchen entgleisen etwas häufiger ketoazidotisch aus Buben, Jugendliche häufiger als Schulkinder. Weitere Risikofaktoren sind: Diabetesdauer über zwei Jahren, Migrationshintergrund und hohe HbA1c-Werte (> 8,5 %). Zwischen Pumpen- und Injektionstherapie gibt es keine Unterschiede in der Ketoazidose-Inzidenz.

Drei Problemfelder

Bei der Behandlung der diabetischen Ketoazidose müssen drei Problemfelder therapiert werden: Die Azidose (entsteht durch die vermehrte Lipolyse und die verstärkte Ketonkörperproduktion), die Hyperglykämie und die Dehydratation und Hyperosmolalität (Folgen der Glukosurie). Die wichtigste therapeutische Maßnahme ist die intravenöse Flüssigkeitszufuhr. Für die Rehydrierung mit physiologischer Kochsalzlösung und den Ausgleich der Elektrolytverluste sollte man sich 48 Stunden Zeit nehmen, unter Umständen sogar noch länger. Zusätzlich ist schon initial eine Kaliumsubstitution erforderlich, da man sonst die Patienten nach Beginn der Insulintherapie in die Hypokaliämie treiben würde. Durch die Volumengabe und die periphere Perfusionssteigerung wird nicht nur die Azidose reduziert, sondern auch die Hyperglykämie günstig beeinflusst: „Schon mit dem Beginn der Infusionstherapie kommt es zu einem Abfall der Blutglukose“, so Hofer.

Für die Insulinsubstitution wird bei einer diabetischen Ketoazidose vorzugsweise ein Perfusor verwendet. Auch hier ist große Eile fehl am Platz: Die Dosierung sollte so gewählt werden, dass der Blutzucker pro Stunde nicht mehr als 50–100 mg/dl abfällt. Dafür sind meist von 0,05 IE/kg/h ausreichend (Kleinkinder brauchen meist weniger, Jugendliche eher 0,1 IE/kg/h). Ganz wichtig: Kein Insulin bei bestehender Hypokaliämie! Diese muss vor Beginn der Insulintherapie ausgeglichen werden. Durch die Insulinzufuhr wird die Hyperglykämie reduziert, zugleich aber auch die Ketonkörperproduktion gestoppt. Insulin ist also auch eine kausale Therapie der Azidose. Spätestens wenn die Glukosewerte unter 250 mg/dl absinken, sollten zusätzlich zu 0,9%igem NaCl auch glukosehaltige Lösungen infundiert werden. Die Kalorienzufuhr hat ebenfalls den Zweck, die Ketonkörperproduktion zu beenden, und wirkt sich daher günstig auf das Problem Azidose aus.

Mögliche Komplikationen

Bei Persistenz der Azidose muss das Flüssigkeitsregime überdacht oder eventuell die Insulindosis erhöht werden. Keine Lösung ist die Gabe von Bikarbonat, da dadurch das Risiko für ein Hirnödem steigt. Die potenzielle Hypokaliämie lässt sich durch wiederholte Messungen des Kaliumspiegels und eine daran angepasste Substitution mit Kaliumchlorid und Kaliumphosphat vermeiden. Die gefürchtetste Komplikation der diabetischen Ketoazidose im Kindesund Jugendalter sind die zerebralen Veränderungen, die zum Tod führen können. Statt von „Hirnödem“ spricht man heute wegen des komplexen pathophysiologischen Geschehens eher von „cerebral injury“. Eine wichtige Rolle spielen dabei neben Faktoren, die den zerebralen Blutfluss reduzieren, auch Reperfusionsschäden und inflammatorische Prozesse. Etwa 0,5–0,9 % der Kinder mit diabetischer Ketoazidose zeigen klinische Zeichen derartiger zerebraler Veränderungen. „Diese können zum Teil schon beobachtet werden, bevor wir mit der Flüssigkeitszufuhr beginnen“, erläutert Hofer, warum ein Ödem als alleinige Erklärung zu kurz greift. „Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass bereits vor Auftreten des Ödems strukturelle Veränderungen und kognitive Defizite gefunden werden können.“

Prävention verbessern

Dass jedes vierte Kind, das neu an Typ-1-Diabetes erkrankt, mit einer schweren, potenziell tödlichen Stoffwechselentgleisung ins Krankenhaus kommt, zeigt, dass die Strategien zur Diabetes-Früherkennung bisher nicht sehr erfolgreich waren. Kampagnen zur Aufklärung über typische Diabetes-Symptome und das Filmprojekt „Beinah zu spät“, das betreuende Personen und Mitschüler sensibilisieren soll, Anzeichen der Erkrankung zu erkennen, haben bisher nicht genug Awareness geschaffen. „Wir müssen einfach noch besser werden“, so das nüchterne Resümee der Pädiaterin.

34. Frühjahrstagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft; Graz, April 2018

Klinische Zeichen der Ketoazidose

  • Dehydratation
  • Tachykardie
  • Tachypnoe/Kussmaulatmung
  • Erbrechen, Übelkeit
  • Bauchschmerzen
  • Bewusstseinstrübung

Sehen Sie das Interview mit Prof. Hofer zum Thema

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune