Forschungseinrichtungen: Von Krebsen und Tumoren

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ist die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Grundlagenforschung gehört ebenso zum Programm wie die Translation von Erkenntnissen in die Klinik. (CliniCum 09/17)

Foto: Tobias Schwerdt, Chris Lukhaup/DKFZ

Tumorzellen beeinflussen ihre Umgebung, um der körpereigenen Immunantwort zu entgehen. Von soliden Tumoren ist schon seit Längerem bekannt, dass sie Makrophagen und Monozyten, die Vorläuferzellen der Fresszellen, für ihre Zwecke manipulieren. Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) haben nun belegt, dass auch bei Leukämie Ähnliches passiert: Auch Leukämiezellen beeinflussen Monozyten, um der körpereigenen Immunantwort zu entgehen und für günstige Wachstumsbedingungen zu sorgen. Dies gelingt ihnen, indem sie Exosomen absondern – kleine Bläschen, die Zellen dazu dienen, miteinander zu kommunizieren und ihr Verhalten gegenseitig zu beeinflussen –, die sogenannte Y-RNA enthalten, eine Klasse von kurzen RNA-Molekülen, über deren Funktion bislang noch recht wenig bekannt ist. Diese Y-RNA bringt die Monozyten dazu, Botenstoffe auszusenden, die zur Entzündungsantwort des Immunsystems gehören und das Wachsen und Vermehren der Krebszellen unterstützen. Außerdem aktiviert Y-RNA einen Rezeptor, der die Immunbremse PD-L1 verstärkt.

400 Doktoranden

Wie Leukämiezellen auf die Immunbremse steigen, ist eines der aktuells­ten Forschungsergebnisse aus dem DKFZ in Heidelberg. Mitteilungen dieser Art schickt das DKFZ im Wochenrhythmus aus. Der Grund für diesen enormen Output: Das DKFZ ist die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Knapp 1.300 Wissenschaftler gehen hier ihren Forschungen nach und betreuen dabei auch noch über 400 Doktoranden. Obwohl das DKFZ 1964 als reine Forschungseinrichtung gegründet wurde, wird größter Wert auf die Translation gelegt, also auf die Überführung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die klinische Anwendung. Zu diesem Zweck unterhält das DKFZ gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg eine eigene Einrichtung: das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), eine architektonisch beeindruckende onkologische Tagesklinik mit einer Tumorambulanz. Bei einer von European Union of Science Journalists’ Associations (EUSJA) organisierten Studienreise nach Heidelberg wurde den Teilnehmern seitens des DKFZ jedoch vor allem Grund­lagenforschung präsentiert.

Gedächtnisforschung

Die Neurobiologin Prof. Dr. Hannah Monyer zum Beispiel beschäftigt sich mit Gedächtnisforschung. Am Mausmodell konnte die Wissenschaftlerin unter anderem zeigen, wie die sogenannten inhibitorischen Interneurone, die den Neurotransmitter GABA produzieren, mit anderen Nervenzellen verschaltet sind und diese im Millisekundenbereich synchronisieren. Derzeit konzentriert sie sich auf die Plastizität des Gehirns, also seine Anpassungsfähigkeit, die auf der Integration neu geborener Nervenzellen in bestehende Netzwerke beruht. Diese Fähigkeit ist die Grundlage aller Lernprozesse. „Wir wussten bisher nicht, über welche molekularen Prozesse veränderte Umweltbedingungen in die Produktion neuer Nervenzellen übersetzt werden“, erzählt Mon­yer. In ihrer aktuellen Arbeit konnte sie nun zeigen, dass das kleine Peptid DBI der entscheidende Vermittler ist. Der Name DBI steht für Diazepam binding inhibitor: Das Peptid wurde zunächst entdeckt, weil es an den Rezeptor für den Hirnbotenstoff GABA bindet und dort das Medikament Diazepam verdrängt.

DBI kurbelt in der sogenannten subventrikulären Zone des Gehirns die Nervenneubildung an. Dieses Ge­hirnareal ist zuständig für den Nervennachschub im Riechsystem, das bei Nagetieren extrem fein ausgebildet ist. Dieselbe Funktion übt das Peptid auch im Hippocampus aus – also in derjenigen Region im Gehirn, in der die Gedächtnisbildung und das Lernen verortet sind. Mit verschiedenen genetischen Methoden schalteten die Forscher um Monyer das DBI-Gen gezielt in dieser Gehirnregion der Mäuse aus oder aber kurbelten es besonders an. Die Folge: Ohne DBI ging im Hippocampus die Zahl an Nervenstammzellen zurück. Eine Überversorgung mit dem Peptid bewirkte das Gegenteil, die Wissenschaftler fanden mehr Nervenstammzellen und Vorläuferzellen. Der Wirkmechanismus: Das Peptid bindet in den Nervenstammzellen an den Rezeptor für den Hirnbotenstoff GABA, dämpft dessen Wirkung und fungiert dadurch als molekularer Gegenspieler des Neurotransmitters.

Epigenetik

Auf den ersten Blick hat auch das Forschungsgebiet von Prof. Dr. Frank Lyko nichts mit Tumorforschung zu tun. Der Biologe beschäftigt sich nämlich mit dem Marmorkrebs Procambarus virginalis, einem Bioinvasor, der vor 30 Jahren aus dem Everglades-Sumpfkrebs hervorgegangen ist und sich mittlerweile weltweit verbreitet hat. Eine Besonderheit allerdings macht das Tier für die Krebsforschung interessant: Alle bisher untersuchten Tiere sind weiblich, pflanzen sich ohne männliche Hilfe durch Jungfernzeugung fort und weisen exakt das gleiche Erbgut auf. Dennoch können sich die Krustentiere im Phänotyp deutlich voneinander unterscheiden. „Diese Unterschiede einzelner Exemplare in Aussehen oder Verhalten müssen auf epigenetische Vorgänge zurückzuführen sein“, erklärt Lyko. Die Epigenetik beschäftigt sich mit kleinsten Veränderungen am Erbgut, die zur Folge haben, dass ein Gen stärker oder weniger stark aktiv ist. Das spielt eine Rolle beim Anpassen des Organismus an verschiedene Umweltbedingungen, etwa die Ernährung, die Populationsdichte oder die Temperatur. „Weil auch die Krankheit Krebs häufig epigenetische Ursachen hat, ist der Marmorkrebs ein höchst interessantes Modell für die Krebsforschung“, unterstreicht Lyko.

Der Marmorkrebs Procambarus virginalis kommt ausschließlich in weiblicher Form vor. Er pflanzt sich ohne männliche Hilfe durch Jungfernzeugung fort. Alle Tiere weisen exakt das gleiche Erbgut auf, die Unterschiede einzelner Exemplare in Aussehen oder Verhalten müssen daher auf epigenetische Vorgänge zurückzuführen sein. Weil auch die Krankheit Krebs häufig epigenetische Ursachen hat, ist der Marmorkrebs ein höchst interessantes Modell für die Krebsforschung.
Der Marmorkrebs Procambarus virginalis kommt ausschließlich in weiblicher Form vor. Er pflanzt sich ohne männliche Hilfe durch Jungfernzeugung fort. Alle Tiere weisen exakt das gleiche Erbgut auf, die Unterschiede einzelner Exemplare in Aussehen oder Verhalten müssen daher auf epigenetische Vorgänge zurückzuführen sein. Weil auch die Krankheit Krebs häufig epigenetische Ursachen hat, ist der Marmorkrebs ein höchst interessantes Modell für die Krebsforschung.

Bevor Lyko den Marmorkrebs ins Labor holte, hatte seine Gruppe schon einige Tiermodelle getestet, bei denen die Epigenetik eine große Rolle spielt: Etwa Bienen, bei denen die mit Gelee Royal gefütterten Larven zur Bienenkönigin heranwachsen, mit Nektar allein aber nur eine kleine Arbeiterin werden. Oder Heuschrecken, die allein im Käfig dezent grün, in Schwarmhaltung jedoch auffällig braun-gelb getönt sind. Doch beide Tiere erwiesen sich nicht als geeignetes Modell für die Krebsforschung, wie der Biologe erzählt: „Bienen lassen sich nicht im Labor züchten, vor den Heuschre­cken ekeln sich alle.“ Den Marmorkrebs hält Lyko für das ideale Modell für die epigenetische Krebsforschung.

Krebsgene auf Kaperzug

Allen Forschungsschwerpunkten des DKFZ – Zell- und Tumorbiologie, funktionelle und strukturelle Genomforschung, Krebsrisikofaktoren und Prävention, Tumorimmunologie, Bildgebung und Radioonkologie, translationale Krebsforschung sowie Infektion, Entzündung und Krebs – gerecht zu werden, würde den Rahmen sprengen. Daher zu guter Letzt ein anderes aktuelles Forschungsergebnis, das dazu beitragen könnte, neue Therapieansätze für bislang unheilbare Formen von kindlichen Hirntumoren zu entwickeln. Medulloblastome sind bösartige Tumore des Kleinhirns, die meistens bei Kindern auftreten. Der Begriff Medulloblastom umfasst vier molekularbiologisch definierte Untergruppen, die mit sehr unterschiedlichen Krankheitsverläufen und Heilungschancen einhergehen. Kinder erkranken besonders häufig an Tumoren der Gruppen 3 und 4, die bislang wenig verstanden sind und deren Behandlung daher häufig schwierig ist.

„Selbst wenn die Patienten gut auf die Behandlung ansprechen, werden sie oft zu einem hohen Preis geheilt, da sich die Therapie negativ auf das Gehirn, den IQ und die weitere Entwicklung der Kinder auswirken kann“, gibt Prof. Dr. Stefan Pfister, Wissenschaftler am DKFZ, Oberarzt am Universitätsklinikum Heidelberg und Direktor am Hopp-Kindertumorzentrum am NCT Heidelberg (KiTZ), zu bedenken. Dazu analysierte ein internationales Forscherteam knapp 500 Medullo­blastome. Dabei stellten sie fest, dass die Hirntumore genetisch weit vielfältiger sind als angenommen. Insbesondere in den Gruppen 3 und 4 waren mehr als die Hälfte der zugrundeliegenden genetischen Veränderungen bislang gänzlich unbekannt. Konnten vorher gerade 30 Prozent der Tumore molekularbiologisch erklärt werden, sind nach Abschluss dieser Analyse 80 Prozent der Tumore schärfer definierbar und individueller behandelbar.

Darüber hinaus haben die Wissenschaftler Veränderungen auf der Ebene der Genregulation als einen typischen Mechanismus für das Auftreten von Medulloblastomen identifiziert. Häufig „kapern“ Krebsgene regelrecht Verstärkungselemente (Enhancer) der DNA. Wissenschaftler sprechen vom „Enhancer Hijacking“. Durch Strukturveränderungen in der DNA wandert ein Krebsgen, das eigentlich inaktiv sein sollte, in einen anderen Bereich, wo es von einem Verstärker aktiviert wird und zur Krebsentstehung beiträgt.