4. Juni 2014

40 Jahre Mutter-Kind-Pass

Seit der Einführung des Mutter-Kind-Passes im Jahre 1974 wird jeder schwangeren Frau, die in Österreich ihren Wohnsitz hat, ab dem Feststehen einer Schwangerschaft ein Pass ausgehändigt.

Die im Mutter-Kind-Pass-Programm vorgesehenen Untersuchungen sollen die gesundheitlichen Vorsorge für Schwangere und Kleinkinder bis zum fünften Lebensjahr gewährleisten – und das seit mittlerweile 40 Jahren. Das Vorsorgeprogramm inkludiert gynäkologische und Ultraschalluntersuchungen für Schwangere, eine Laboruntersuchung inklusive HIV‐Test, im Bedarfsfall ein oraler Glukosetoleranztest, eine Hebammenberatung in der Schwangerschaft und später Untersuchungen für Kinder. Die im Mutter-Kind-Pass vorgeschriebenen Untersuchungen können von Allgemeinmedizinern oder Fachärzten durchgeführt werden. Seit November 2013 ist auch eine Hebammen-Beratung in der 18. bis 22. Schwangerschaftswoche Teil des Mutter-Kind-Passes. Die Durchführung der pränatalen Untersuchungen durch Ärzte ist Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgelds, die Hebammenberatung wird dafür nicht verlangt.

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Neben den fünf Schwangeren-Untersuchungen sind auch fünf Untersuchungen in den ersten 14 Lebensmonaten des Kindes Voraussetzung für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld. Bis ins fünfte Lebensjahr sind weitere vier Vorsorgeuntersuchungen vorgesehen.

Seit die damalige Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter im Jahr 1974 den Mutter-Kind-Pass in Österreich etablierte, sind die Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit stark gesunken. 1973 stellte Österreich mit einer Säuglingssterblichkeit von 23,5 pro Tausend Kindern das Schlusslicht Westeuropas dar. Zehn Jahre nach Einführung des Mutter-Kind-Passes hatte sich die Säuglingssterblichkeit auf 11,4 Promille fast halbiert. Durch den finanziellen Anreiz gabe es fast keine Schwangeren, die nicht an dem Programm teilnahmen. 2004 belief sich die Säuglingssterblichkeit auf 4,5 Promille, 2012 nur mehr auf 3,2 Promille. Die perinatale Sterblichkeit sank von 23,2 Promille im Jahr 1974 auf 5,1 Promille im Jahr 2012.

Während in Österreich 4,1 Todesfälle pro tausend Lebendgeborener bis zum Alter von fünf Jahren registriert werden, sind es in Island nur 2,4, in Schweden 2,7. Die Mortalität der britischen Kinder bis zum Alter von fünf Jahren entspricht mit 4,9 Todesfällen in etwa jener in Polen und Serbien.

Seit 1974 wurde das Untersuchungsprogramm mehrfach erweitert und adaptiert. So kamen eine fünfte Untersuchung und zwei Ultraschalluntersuchungen hinzu, die die Laboruntersuchungen wurden angepasst. 2010 wurden eine dritte Ultraschalluntersuchung, das Screening nach Gestationsdiabetes im Rahmen des oralen Glukosetoleranztests und eine HIV-Untersuchung hinzugefügt. Seit 2014 ist eine Hebammenberatung möglich.

Immer wieder wurden Adaptionen des Mutter-Kind-Passes an neue Erfordernisse propagiert. So kann sich etwa der Wiener Ärztekammerpräsident Dr. Thomas Szekeres eine Ausdehnung des Mutter-Kind-Passes weit über das sechste Lebensjahr hinaus vorstellen.

40 Jahre Mutter-Kind-Pass – eine Erfolgsgeschichte

Die Österreichische Ärztekammer lud am 4. Juni zu einer festlichen Enquete ins Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien, an der auch Gesundheitsminister Alois Stöger teilnahm. Ärztekammer-Präsident Dr. Artur Wechselberger wies bei der veranstaltung darauf hin, dass der außergewöhnliche Erfolg des Mutter-Kind-Passes wesentlich auf der Begleitung durch Mediziner und auf laufenden Anpassungen an den wissenschaftlichen Standard beruhe.

Minister Stöger würdigte die Leistung seiner Amtsvorgängerin Ingrid Leodolter, die 1974 die Einführung des Mutter-Kind-Passes durchgesetzt hatte. Für Stöger sei es wichtig, dass dieses Vorsorgeinstrument auch in den nächsten 40 Jahren die Vorreiterrolle in der Gesundheitsförderung überehmen werde. Der Gynäkologe Univ.-Prof. Dr. Sepp Leodolter, Sohn der damaligen Ministerin betonte, dass in keinem anderen Teilbereich der Humanmedizin in den vergangenen 40 Jahren solche Fortschritte gemacht wurden wie in der Peri- und Neonatalmedizin.

Mutter-Kind-Pass auf Schulkinder ausdehnen

Der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, Univ.-Prof. Reinhold Kerbl, erklärte in seinem Vortrag, dass sich der ungebrochene Erfolg des Mutter-Kind-Passes keineswegs auf die geglückte Senkung der Sterblichkeitsraten beschränke. So konnten Tausende Kinder durch die im Lauf der Zeit hinzugekommenen Untersuchungen und Präventivmaßnahmen vor Erkrankungen bewahrt oder rechtzeitig therapiert werden. Als Beispiele
nannte Kerbl Stoffwechsel- und Hörscreening, Hüftultraschall und Routineimpfungen. Aus Sicht der Kinder- und Jugendheilkunde wäre es sinnvoll, den Mutter-Kind-Pass auf Schulkinder auszudehnen. Zudem sollten die erhobenen Untersuchungsdaten elektronisch erfasst und analysiert werden, um den Gesundheitszustand von Schwangeren, Neugeborenen und Kleinkindern in Österreich beurteilen und weitere gezielte Maßnahmen setzen zu können. Erweiterungen im Bereich der psychosozialen und der Zahngesundheit seien Kerbl zufolge ebenso überlegenswert wie Maßnahmen gegen Übergewicht und Bewegungsmangel.

Mutter-Kind-Pass-Kommission

Der Obmann der Bundesfachgruppe Frauenheilkunde und Gynäkologie in der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Thomas Fiedler, erklärte bei der Veranstaltung im Billrothhaus, dass der Mutter-Kind-Pass von Beginn an medizinisch-wissenschaftlich begleitet worden sei. Bis 1996 sei die Beratung über den Obersten Sanitätsrat erfolgt, danach sei eine eigene Unterkommission für den Mutter-Kind-Pass eingerichtet worden, die sich bis 2010 für die Weiterentwicklung des
Präventionsinstruments eingesetzt habe. Danach sei die Kommission nicht mehr nachbesetzt worden, was Fiedler “aus ärztlicher Sicht untragbar” finde. Daher habe die Ärztekammer eine interdisziplinäre Expertenkommission Mutter-Kind-Pass initiiert. Als deren Vorsitzender plädierte Fiedler eindringlich
dafür, medizinische Experten wieder in gesundheitspolitische Entscheidungen rund um den Mutter-Kind-Pass einzubinden.

Quelle: BMSG, APA