1. Jan. 2023Vorgehen in kardiologischen Risikosituationen

Gerinnungshemmung ist immer eine Gratwanderung

Die Gerinnungshemmung steht bei Menschen mit chronischen Herzerkrankungen an der Tagesordnung. Doch in den vergangenen Jahren gab es einige Änderungen, wann welche Wirkstoffe indiziert sind. Im Rahmen einer Fortbildung* beleuchtete Dr. med. Federico Moccetti, Oberarzt mbF der Kardiologie am Luzerner Kantonsspital, die Neuigkeiten und aktuellen Indikationen von Antikoagulantien und Plättchenhemmer.

Bei der Gerinnungshemmung hat es in den vergangenen Jahren einige Neuerungen gegeben
Oksana Kuznetsova/gettyimages

Bei den Gerinnungshemmern gibt es im Grossen und Ganzen zwei Gruppen: Die direkten oralen Antikoagulantien (DOAK) dienen der Primärprävention von Thromboembolien und der Behandlung von Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern, zur Prophylaxe eines Schlaganfalles. Thrombozytenaggregationshemmer hingegen werden in der Regel bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung (insbesondere nach einer Intervention) verschrieben.

Optionen der Gerinnungshemmung

  • Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. Acetylsalicylsäure, bzw. ASS oder Aspirin, Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) reduzieren die Zusammenlagerung von Thrombozyten.
  • Direkte Antikoagulanzien (DOAK, z.B. Apixaban, Rivaroxaban, Dabigatran und Edoxaban) hemmen die Funktion von Gerinnungsfaktoren und damit direkt die Blutgerinnung.
  • Indirekte Antikoagulanzien (in der Schweiz der Vitamin-K-Antagonist Marcoumar) blockieren die Produktion der Gerinnungsfaktoren und hemmen damit indirekt die Blutgerinnung.

Bei Patienten mit rheumatischer Herzkrankheit assoziiertem Vorhofflimmern stimmt das Nutzen-Risiko-Profil von Vitamin-K-Antagonisten

Hier erwähnt Dr. Moccetti eine aktuelle Studie (INVICTUS), die zeigte, dass das DOAK Rivaroxaban bei Patienten mit rheumatischer Herzerkrankung und Vorhofflimmern im Vergleich zu einem Vitamin-K-Antagonisten nachteilig ist. Rivaroxaban war dabei im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten auch mit einem erhöhten Risiko für einen ischämischen Schlaganfall verbunden. In unserem Breitengrad betrifft dies aber eine kleine Patientenzahl, weltweit hingegen ist das Vorhofflimmern, welches mit posttraumatischem Mitralklappenvitium assoziiert ist, viel häufiger. Der Referent betont, dass diese Analyse die aktuellen Behandlungsrichtlinien zur Verwendung eines Vitamin-K-Antagonisten zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit rheumatischer Herzerkrankung und Vorhofflimmern unterstützt.

Eine weitere Studie bestätigt, dass auch bei Patienten mit mechanischer Herzklappe Vitamin-K-Antagonisten bevorzugt werden sollten – DOAKs zeigten in dieser Gruppe klare Nachteile.

Rivaroxaban immer mit dem Essen einnehmen

Auch was die Einnahme von Gerinnungshemmern angeht, gibt es jeweils Besonderheiten. Das zeigen auch Fälle, die Dr. Moccetti selbst in der Praxis erlebt hat. So auch eine Patientin mit Sklerodermie, die nach Einnahme von Dabigatran immer an Thoraxschmerzen litt. Die Abklärung ergab eine Oesophagusmotilitätsstörung aufgrund ihrer Grunderkrankung Sklerodermie. «Besteht Dysphagie aufgrund der grossen Kapseln von Dabigatran, kann eine Umstellung auf Apixaban erfolgen,» empfiehlt der Kardiologe. Die Dabigatran Kapsel messen 18mm, Apixaban hingegen 5 oder 10mm, je nach Dosis.

Eine Patientin, die der muslimischen Glaubensrichtung angehört, erlitt einen Schlaganfall während des Ramadan. Bei der laborchemischen Untersuchung zeigte sich der Rivaroxaban-Spiegel viel zu tief, obwohl die Patientin behauptete, dass sie Rivaroxaban täglich einnahm. Rivaroxaban muss mit dem Essen eingenommen werden, sonst sinkt seine Bioverfügbarkeit um einen Drittel. Die Patientin hatte während des Ramadans Rivaroxaban weiter morgens eingenommen, obwohl sie erst am Abend Nahrung zu sich nahm. „Die Abhängigkeit mit der Nahrungsaufnahme muss den Patienten jeweils ausdrücklich gesagt werden», betont Dr. Moccetti.

Auch bei Vitamin-K-Antagonisten verhilft eine regelmässige, ausgewogene Nahrungsaufnahme zu einem gleichmässigen Plasmaspiegel. «Sollte trotz regelmässiger, ausgewogener Nahrungsaufnahme und guter Compliance der INR schwanken, kann eine kontinuierliche, sehr tief dosierte Vitamin-K-Substitution in Betracht gezogen werden. Das sollte die Gerinnungshemmung wieder stabilisieren.» Dies ist aber selten notwendig und kann mit der Spitalapotheke organisiert werden.

Blutungsgefahr durch Sturz bei DOAK-Einnahme

«Bei der DOAK-Einnahme ist die Angst vor intrakraniellen Blutungen gross», so Dr. Moccetti. Soll man sturzgefährdeten Patienten trotzdem ein DOAK rezeptieren? Ja, betont der Experte. Denn eine Studie habe gezeigt, dass es 295 Stürze bräuchte, damit das Risiko einer intrakraniellen Blutung den Vorteil der Schlaganfallprävention überholen würde. Der Referent bringt das Beispiel eines leidenschaftlichen Mountainbikers, der aufgrund einer Lungenembolie Rivaroxaban einnehmen musste, aber wieder Sport treiben wollte. Abhilfe kann in solchen Fällen das richtige Timing schaffen. «Bei der Einnahme von Rivaroxaban ist der Spiegel nachts am höchsten. Der Mountainbikefahrer soll Rivaroxaban also jeweils abends einnehmen, und tagsüber Sport treiben.»

Dr. Moccetti erinnert ausserdem, dass Patienten, die an einem Antiphospholipid-Syndrom leiden, keine direkten oralen Antikoagulanzien wie Apixaban erhalten sollen sondern Marcoumar. Auch hier gibt es in Einzelfällen Ausnahmen.

Plättchenhemmer in der Akutsituation: Mit der zweiten Gabe warten!

Bei einem akuten Koronarsyndrom sind grundsätzlich Aspirin (250mg i.v. oder 500mg p.o.) und 5.000 Einheiten Heparin angezeigt. Beim STEMI kann sofort eine Loading Dose eines zweiten Plättchenhemmers verabreicht werden. Neu in der ESC Clinical Practice-Leitlinie von 2020 ist jedoch, dass beim Nicht-ST-Strecken-Elevations-Myokardinfarkt (NSTEMI) anfänglich kein zweiter Plättchenhemmer gegeben wird.

Das liegt am Wirkungseintritt der neuen Plättchenhemmer: Dieser liegt bei Prasugrel und Ticagrelor bei etwa 30 Minuten. Wenn nun ein Stent implantiert werden soll, ist dies kein Problem - sollte die Entscheidung jedoch auf eine Bypassoperation (zum Beispiel aufgrund einer anatomischen Voraussetzung) fallen, braucht es mehrere Tage, bis die Wirkung des zweiten Plättchenhemmers wieder erloschen ist.

Akutes Koronarsyndrom: doppelte Plättchenhemmung, doppelte Dauer

Beim akuten Koronarsyndrom muss bei der Wahl der Medikation anfänglich zwischen stabilem und akutem Koronarsyndrom unterschieden werden: Ein stabiles Koronarsyndrom liegt vor, wenn in Ruhe Beschwerdefreiheit besteht und die Symptome belastungsinduziert auftreten. Das akute Koronarsyndrom hingegen resultiert aus einer akuten Obstruktion einer Koronararterie; dabei liegen die Symptome meist auch in Ruhe vor. Dr. Moccetti rät: «Bei stabiler koronarer Herzkrankheit mit niedrigem Blutungsrisiko soll eine doppelte Plättchenhemmung mit Aspirin und Clopidogrel für sechs Monate angestrebt werden - bei hohem Blutungsrisiko nur ein bis drei Monate.»

Beim akutem Koronarsyndrom mit tiefem Blutungsrisiko hingegen sind Aspirin und Ticagrelor/Prasugrel für zwölf Monate und bei hohem Blutungsrisiko Aspirin und Clopidogrel/Ticagrelor für sechs Monate indiziert. Der Trend geht aber klar zur Verkürzung der dualen Plättchenhemmung. Dies zeigen auch die Ergebnisse der MASTER DAPT-Studie: Die Resultate zeigen, dass eine kürzere Dauer der doppelten Plättchenhemmung die Rate an relevante Blutungen sinkdohne die Mortalität, Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu erhöhen.

Stent und Vorhofflimmern: Antikoagulation und Plättchenhemmer

Fünf bis acht Prozent der Stent-Patienten weisen zusätzlich ein Vorhofflimmern auf, weshalb bei ihnen eine Antikoagulation indiziert ist. Das DOAK soll in reduzierter Dosis gegeben werden, eine allfällige Tripeltherapie (d.h. DOAK plud Aspirin plus Clopidogrel) sollte so kurz wie möglich (1-4 Wochen) gehalten werden und in gewissen Fällen reduziert werden auf DOAK plus Clopidogrel. Alle Patienten mit hohem Blutungsrisiko sollen zudem einen Protonenpumpenhemmer erhalten, solange sie DOAK und Plättchenhemmer zusammen einnehmen.

Ob ein Plättchenhemmer gestoppt werden kann, wenn eine Operation ansteht, kann nicht pauschal gesagt werden, so der Experte. Sinnvoll ist hier, dass eine gute Kommunikation zwischen dem Operateur und dem Arzt, der das Stenting gemacht hat, stattfindet.

Quelle

* WebUp Expertenforum «Update Kardiologie» des Forum Medizin Fortbildung (FOMF) vom 29.09.2022