4. Okt. 2017

Dem Vergessen vorbeugen

FOTO: WILDPIXEL / ISTOCK

ALZHEIMER – Mit dem demographischen Wandel soll die Anzahl der Demenzpatienten drastisch ansteigen. Was ist wirklich dran und welche Therapien versprechen Erfolg? (Medical Tribune 39/17)

In Österreich gibt es derzeit rund 100.000 Alzheimer-Patienten. Bis 2050 könnten hierzulande bis zu 230.000 Menschen an der häufigsten Demenzform erkrankt sein. Zumindest, sofern man den derzeitigen Prognosen der Experten glauben darf.

Impfung gegen Alzheimer?

Gleichzeitig scheinen gegen die amyloiden Plaques gerichtete Immuntherapien in greifbare Nähe zu rücken. Während der gegen lösliches Amyloid gerichtete Antikörper Solanezumab vor ziemlich genau einem Jahr in Phase III gescheitert ist, hat Aducanumab bei Patienten in frühen Krankheitsstadien nicht nur die amyloiden Plaques reduziert, sondern auch den kognitiven Abbau verlangsamt1 (MT berichtete in Ausgabe Nr. 39/16).

Menschen sind keine Mäuse

Für den deutschen Molekularbiologen Univ.-Prof. Dr. Konrad Beyreuther, der in den 1980er Jahren die Bedeutung des Amyloid-Vorläufer- Proteins für die Alzheimer-Erkrankung entdeckt hat und der im Sommer auf Einladung der Firma Biogena in Wien war, ist der Unterschied ganz klar: „Solanezumab ist ein Antikörper, der aus Mäusen entwickelt wurde und der Mäuse geheilt hat“, erklärt er im Gespräch mit MT und fügt hinzu: „Nun sind Menschen aber keine Mäuse.“ Aducanumab dagegen ist ein humander monoklonaler Antikörper, hält Beyreuther fest und erzählt: „Das ist ein menschlicher Antikörper, der bei über 80 Jahre alten Zürichern gefunden wurde, die kognitiv nicht verändert sind.“ Und während sich Solanezumab nur gegen lösliches Amyloid richtet, bindet Aducanumab an die Plaques.

Phase III läuft noch bis 2022

Derzeit muss sich Aducanumab in zwei Phase-III-Studien (ENGAGE und EMERGE) bewähren, die beide 2022 abgeschlossen werden sollen. Beyreuther zeigt sich optimistisch, dass Alzheimer mit diesem Ansatz bis 2025 heilbar werden könnte. Allerdings gibt er zu bedenken, dass ein großer Teil der Alzheimer-Patienten eigentlich an einer Mischdemenz leiden: „50 bis 60 Prozent der Alzheimer-Patienten im 80. Lebensjahr haben auch eine vaskuläre Demenz.“ Eine weitere Einschränkung sieht er darin, dass Aducanumab, genauso wie auch zuvor schon Solanezumab, nur bei Patienten in sehr frühen Stadien der Erkrankung eingesetzt wurde. Der Alzheimer-Forscher gibt zu bedenken: „Bei einer mittelschweren Demenz sind in kritischen Hirnregionen 60 bis 90 Prozent der Nervenzellen untergegangen, bei einer schweren über 90 Prozent.“ Doch so vielversprechend Aducanumab auch ist, hält Beyreuther einen anderen Ansatz für weit bedeutender: die Primärprävention.

„Das Wichtigste ist, dass wir die Menschen überzeugen müssen, primäre Prävention zu machen und eben nicht sekundäre Prävention mit Antikörpern“, betont der Alzheimer-Forscher. Beyreuther führt die wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren an:

  • Bewegungsmangel
  • Bluthochdruck
  • Depressionen
  • Diabetes
  • Stress
  • Rauchen
  • geringe geistige Aktivität.

Lebenlanges Lernen hält Beyreuther für immens wichtig. Die Alzheimer-Prävention fängt für ihn daher schon im Kindergarten und in der Schulzeit an. Dass immer mehr junge Menschen sich für eine weiterführende Ausbildung entscheiden, wird sich laut Beyreuther stark auf die zukünftige Demenz-Prävalenz auswirken. Dass diese so stark ansteigen wird wie prognostiziert, kann er sich daher nicht vorstellen: „Diese Vorhersagen, dass sich die Zahl der Alzheimer-Patienten bis zum Jahr 2050 vervierfachen wird, halte ich für unverantwortlich und mit den heutigen Daten nicht im Einklang.“

1 Nature 537: 50–56; DOI: 10.1038/nature19323

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune