„Jede Art von Ausgrenzung lehne ich strikt ab!“

„Ärztin mit Engagement“: Dr. Susanne Kargl-Gruber

Als Arbeitsmedizinerin und hygienebeauftragte Ärztin ist die Wienerin Dr. Susanne Kargl-Gruber an drei niederösterreichischen Spitälern tätig. Ehrenamtlich engagiert sie sich in der medizinischen Betreuung von Flüchtlingen und hält regelmäßig Ordination bei AmberMed. (CliniCum 10/17)

„In Krisensituationen ist vor allem allgemeinmedizinisches Knowhow gefordert.“ Dr. Kargl-Gruber in der AmberMed-Ordination.
„In Krisensituationen ist vor allem allgemeinmedizinisches Knowhow gefordert.“ Dr. Kargl-Gruber in der AmberMed-Ordination.

Engagement zeigte die Allgemein- und Arbeitsmedizinerin Dr. Susanne Kargl-Gruber bereits während ihres Medizinstudiums, wo sie als Pflegehelferin an der damaligen „Wasserbett-Station“ im Wiener AKH mitarbeitete. Durch das Wahlfach Medizinische Psychologie und ihr Interesse an der Psychoonkologie kam Kargl-Gruber darüber hinaus in das Team von Dr. Werner Linkesch, der Ende der 1980er Jahre an der II. Medizinischen Abteilung eine Knochenmark-Transplantationseinheit aufbaute. „Als Studentin gehörte es zu meinen Aufgaben, für die Sterilhaltung der Einheit zu sorgen – von den Wänden der Patientenzimmer bis hin zum Essen der Patienten“, erzählt Kargl-Gruber. Dabei war mitunter Kreativität gefordert, um herauszufinden, welche Speisen nach der Behandlung im Dampf-Autoklav noch genießbar sind.

Nach der Promotion arbeitete Kargl-Gruber zunächst in einer Wohngemeinschaft für minderjährige drogenabhängige Mädchen, Anfang der 1990er Jahre wirkte sie am Aufbau der Drogenberatungsstelle „Ganslwirt“ mit. Nach dem Turnus am Kaiser-Franz-Joseph-Spital bzw. SMZ Ost kehrte Kargl-Gruber zunächst in das Ärzteteam des „Ganslwirt“ zurück, bis sie ihre eigene Ordination in Wien 21 eröffnete. Zusätzlich machte Kargl-Gruber die Ausbildung zur Arbeits­medizinerin, später zur hygienebeauftragten Ärztin und absolviert derzeit die Ausbildung zur systemischen
Psychotherapeutin.

Arbeitsplatz Krankenhaus

Als Arbeitsmedizinerin betreut Kargl-Gruber die Mitarbeiter der Landeskliniken Stockerau, Korneuburg und Hollabrunn. In Stockerau ist sie zusätzlich hygienebeauftragte Ärztin. Zu ihrem Arbeitsalltag im Krankenhaus gehören etwa Einstellungsuntersuchungen, Begutachtungen nach längeren Krankenständen oder Schutzimpfungen, wobei ihre ärztlichen Kollegen genauso zu ihren Patienten werden wie Mitarbeiter aus allen anderen im Krankenhaus tätigen Berufsgruppen. Zudem heißt es, sich aus arbeitsmedizinischer Sicht mit den jeweiligen Arbeitsbedingungen zu befassen: Gibt es etwa neue Blutabnahmesysteme, führt Kargl-Gruber Mitarbeiterschulungen durch; genauso hat sie Anweisungen für den im Umgang mit potenziell schädigenden Arbeitsstoffen zu verfassen. Aktuelles Beispiel: Nachdem Formaldehyd lange Zeit als „potenziell krebserregend“ eingestuft wurde, gilt es heute als „sicher krebserregend“.

Als eine Folge davon sorgt Kargl-Gruber gemeinsam mit den Sicherheitsfachkräften der Krankenhäuser für die nötigen Anpassungen der Arbeitsplätze. „Die Arbeitsmedizin bedeutet für mich eine spannende und abwechslungsreiche Tätigkeit, wobei es mir sicher hilft, gleichermaßen die System-Brille aufzusetzen und alle Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten“, so Kargl-Gruber: „Gute Gesprächsführung gehört darüber hinaus zu den Anforderungen in der Arbeitsmedizin – auch hier hilft mir die systemische Ausbildung.“ Am Landesklinikum Stockerau, wo Kargl-Gruber zugleich hygienebeauftragte Ärztin ist, muss sie sich mit potenziellen Infektionsrisiken für Mitarbeiter genauso befassen wie mit dem Ziel, das Infektionsrisiko für Patienten so gering wie möglich zu halten. „Da heißt es, einmal den arbeitsmedizinischen und einmal den Hygiene-Blickwinkel einzunehmen, wobei ich eng mit der Hygienefachkraft zusammenarbeite.“ Ganz ähnlich wie in der Arbeitsmedizin heißt es zudem in Hygienefragen, mit den medizinischen Entwicklungen Schritt zu halten, nennt Kargl-Gruber ein konkretes Beispiel: „Ebola zeigte uns, wie schnell die Realität uns einholen kann. Es gab zwar immer Krisenpläne für potenzielle Ebola-Infektionen, doch bis tatsächlich die ersten Patienten in Europa gemeldet wurden, rechnete niemand wirklich damit, dass wir sie eines Tages brauchen werden.“

Ehrenamt

„Ich bin sehr zufrieden mit meiner Lebenssituation und mit meinem Beruf und – es mag kitschig klingen – genau deshalb möchte ich etwas zurückgeben. Vor rund drei Jahren habe ich daher aktiv nach einem ehrenamtlichen Betätigungsfeld als Ärztin gesucht, und damals ist mir AmberMed aufgefallen“, schildert Kargl-Gruber im Gespräch mit CliniCum. Das Bedürfnis, sich für Randgruppen zu engagieren, und das Verständnis für Menschen mit Migrationshintergrund, wurzelt auch in der eigenen Familiengeschichte: „Meine Großeltern mussten 1938 nach Südamerika emigrieren, meine Mutter wurde in Südamerika geboren, die Familie ist praktisch in der ganzen Welt verstreut“, erzählt Kargl-Gruber. Da Zugehörigkeiten zu den drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam in der Familie vertreten sind, liege auch „das Verständnis für unterschiedliche Werthaltungen ebenso in der Familie wie eine grundsätzliche Haltung der strikten Ablehnung von Rassismus und Ausgrenzung“.

Dr. Susanne Kargl-Gruber, Arbeitsmedizinerin und Hygienebeauftragte im LKH Hollabrunn: „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Lebenssituation, möchte daher etwas zurückgeben.“
Dr. Susanne Kargl-Gruber, Arbeitsmedizinerin und Hygienebeauftragte im LKH Hollabrunn: „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Lebenssituation, möchte daher etwas zurückgeben.“

Durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit bei AmberMed war Kargl-Gruber 2015 auch unter jenen Ärztinnen und Ärzten, die bei der von der Initiative „Medical Aid for Refugees“ (www.medical ­aidforrefugees.at) organisierten medizinischen Versorgung von Flüchtlingen mithalf, damals etwa am Wiener Hauptbahnhof oder im Dusika-Stadion. Zur Gründung der Organisation erklärt Mag. Mariella Jordanova-Hudetz, Stv. Leiterin von AmberMed: „Im Sommer 2015 fragte die Caritas bei uns an, ob wir gemeinsam mit weiteren Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, dem Diakonie-Flüchtlingsdienst oder Amnesty International die medizinische Betreuung in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen übernehmen möchten. Daraus entstand die Initiative ,Medical Aid für Refugees‘, wobei zunächst bei AmberMed tätige Ärzte aktiv wurden, später rief etwa auch die Wiener Ärztekammer zur Mithilfe auf.“

Neuer Blick auf eigene Tätigkeit

Für Kargl-Gruber bedeutete der Einsatz auch, die Tätigkeit als Allgemeinmedizinerin in einem neuen Licht zu sehen: „Damals habe ich gelernt, meine Profession noch mehr zu schätzen als bisher. Mitunter stehen wir in einem „Ärzte-Ranking“ im Vergleich zu vielen Spezialisten nicht unbedingt an erster Stelle, doch genau in dieser Krisensituation war vor allem allgemeinmedizinisches Know-how gefordert.“ Nur mit Stethoskop und Blutdruckmessgerät ausgerüstet, hieß es, unter den vielen Menschen mit Beschwerden rasch jene mit möglichen lebensbedrohlichen Situationen wie einer Magenblutung zu erkennen und die nötigen Maßnahmen zu setzen. Auch in der Ordination von AmberMed steht die allgemeinmedizinische Tätigkeit an erster Stelle: „Grundsätzlich unterscheidet sie sich nicht von jener in meiner Ordination. Wir verfügen über eine sehr gute Ausstattung an diagnostischen Geräten, und meistens ordinieren zur gleichen Zeit auch ein oder mehrere Fachärzte, sodass Überweisungen oder Konsultationen rasch und unkompliziert erfolgen“, berichtet Kargl-Gruber.

Persönlicher Gewinn

Ob sich durch die Tätigkeit bei AmberMed auch etwas an ihrer gesundheitspolitischen Einstellung geändert habe? „Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, und – auch wenn dies in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist – es gibt auch für nicht versicherte Patienten selbst bei schweren und akuten Erkrankungen immer eine Lösung. Besonders schön war es für mich auch zu erleben, wie besonders in der Situation der Flüchtlingskrise viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Spitalsbereich rasch und unkompliziert mitgeholfen haben und nicht zuletzt unsere Standesvertretung hinter dem Engagement stand.“ Auf der „Kos­tenseite“ des Engagements steht nur ein Punkt: Zeit, die sie allerdings gerne aufwendet. Auf der „Nutzenseite“ steht dagegen ein hoher persönlicher Gewinn, nicht zuletzt durch die Arbeit mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Wertvorstellungen.

 

AmberMed – Ärzte dringend gesucht!
AmberMed bedeutet ambulant-medizinische Versorgung, soziale Beratung und Medikamentenhilfe für Menschen ohne Versicherungsschutz. Als Einrichtung der Diakonie in Kooperation mit dem Österreichischen Roten Kreuz ist AmberMed mit der Ambulanz im 10. Wiener Bezirk eine Anlaufstelle für Menschen ohne Versicherungsschutz, vor allem Asylwerber, Migranten, aber auch Österreicher, die den Anspruch auf die soziale Krankenversicherung verloren haben. 2015 betreute AmberMed rund 2.500 Patienten vor Ort, insgesamt fanden fast 8.000 Patientenkontakte statt, ein Zuwachs von mehr als 24 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Hinzu kamen rund 3.000 Behandlungen von durchreisenden Flüchtlingen und Asylwerbern in Kooperation mit anderen Hilfsorganisationen. Rund 50 Ärzte aller Fachrichtungen arbeiten ehrenamtlich in der Ordination, etwa 80 kooperieren mit AmberMed, indem sie in ihren Ordinationen Patienten im Bedarfsfall kostenfrei behandeln. Dennoch kann damit der Bedarf nicht abgedeckt werden: AmberMed sucht daher dringend Ärztinnen und Ärzte zur ehrenamtlichen Mitarbeit!
www.amber-med.at 

 

Vorschläge und Empfehlungen für eine Ärztin oder einen Arzt mit besonderem sozialem Engagement gerne an die Redaktion: v.weilguni@medizin-medien.at